Regierung will Tarifeinheit per Gesetz: Wort halten
Politik und DGB haben den Arbeitgebern ein Gesetz versprochen, das es womöglich gar nicht geben kann. Arbeitsministerin Andrea Nahles will in den kommenden Tagen einen ersten Entwurf vorlegen. Der Widerstand ist erheblich.
Die größten Widerständler informierte die Ministerin selbst. Erst kam vor ein paar Tagen Beamtenchef Klaus Dauderstädt zu Andrea Nahles, dann Rudolf Henke vom Marburger Bund. Der oberste Lokführer Claus Weselsky wurde von Nahles Staatssekretär Thorben Albrecht versorgt. Die Botschaft der Politiker: Es gibt bald einen Gesetzentwurf über die Tarifeinheit. Widerstand zwecklos, die Koalition zieht das durch. So ähnlich klang das auch schon im Sommer 2010, kurz nachdem das Bundesarbeitsgericht die Tarifpluralität vor die Tarifeinheit stellte (siehe Kasten). Das Thema ist also ein paar Jahre alt, und Angela Merkel selbst hat über die Zeit mehrmals ein Gesetz zugesagt. Es kam nicht. Nun macht die Kanzlerin Druck und hat der SPD-Arbeitsministerin Nahles den Auftrag erteilt, in Kürze einen Gesetzentwurf vorzulegen. Im Dezember will das Kabinett entscheiden, im ersten Quartal 2015 soll das parlamentarische Verfahren laufen und im Sommer das Gesetz durch sein. Vielleicht aber auch nicht. Das Minenfeld ist groß bei diesem Thema.
DIE ARBEITGEBER
Seit dem Streik der Lokführer 2007/2008 bastelt Reinhard Göhner an einem Gesetz über die Tarifeinheit, um Berufs- oder Spartengewerkschaften das Geschäft zu vermiesen. Der Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeber und einflussreiche CDU-Politiker spricht gerne von englischen Verhältnissen, wenn er seine Sicht auf die Dinge erläutert und Angst hat um Deutschland: Nach Lokführern, Piloten und Ärzten gründen alle möglichen Beschäftigtengruppen ihre eigene Berufsgewerkschaft, um ihr spezielles Tarifsüppchen zu kochen und hohe Einkommen durchzusetzen. Wie in den 80er Jahren in England gibt es dann permanent Arbeitskämpfe mit verheerenden Folgen für einzelne Firmen und die Wirtschaft insgesamt. Bald ist die Industrie kaputt.
Als Lösung dachte sich Göhner eine Vormachtstellung der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern aus. Der DGB spielte mit, weil nicht selten eine der acht DGB-Gewerkschaften die größte im Betrieb ist. Doch Piloten, Lokführer und Ärzte sahen ihre Existenz bedroht und blockierten mit Hilfe der FDP die Pläne der damaligen Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Vor knapp einem Jahr begann das Spiel dann erneut.
Am Rande der Koalitonsverhandlungen trafen sich im Herbst 2013 Politiker mit Gewerkschaftern und Arbeitgebern. Die Runde verständigte sich auf ein Geschäft: SPD und Gewerkschaften bekommen den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro und die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren; für Arbeitgeber und CDU wiederum gibt es ein Gesetz über die Tarifeinheit. An diese Absprache fühlen sich Merkel, SPD-Chef Sigmar Gabriel und der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann gebunden.
DIE GEWERKSCHAFTEN
Hoffmann, erst im Mai dieses Jahres gewählt, hat ein schweres Erbe übernommen. Gegenüber seinem Sozialpartner, Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer, hat er indes immer versichert, dass er sich nicht gegen ein Gesetz stellen werde. Das ist schwer genug für den DGB-Vorsitzenden, denn sein eigener Laden ist keineswegs einig. Verdi-Chef Frank Bsirske war lange für ein Gesetz – bis ihn die eigene Basis zurückpfiff, weil der BDA/DGB-Vorschlag das Streikrecht betraf: „Die Friedenspflicht gilt damit während der Laufzeit des vorrangigen Tarifvertrages auch gegenüber anderen Gewerkschaften.“ Eine Gewerkschaft, die nicht streiken darf, taugt aber nichts.
Doch der DGB steht im Wort bei den Arbeitgebern und fasste deshalb einen Beschluss für die Tarifeinheit und für das Streikrecht. „Jegliche Eingriffe in die bestehenden Regelungen, die das Streikrecht oder die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie beeinträchtigen, lehnen die DGB-Gewerkschafen ab.“ Die Berufsgewerkschaften, die um ihre Existenz fürchten, glauben das aber nicht. Tatsächlich läuft eine gesetzliche Festschreibung der Tarifeinheit ohne Einschränkung des Streikrechts ins Leere. Arbeitsministerin Nahles hat nun die Aufgabe, zwei Ziele zu verbinden, die nicht zusammenpassen: Tarifeinheit regeln und dabei Streikrecht respektive Grundgesetz (Koalitionsfreiheit) nicht tangieren.
DIE POLITIK
Vor der Sommerpause wollte sich das Kabinett mit „Eckpunkten für eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit“ befassen. Im letzten Moment war das CDU-Frakionschef Volker Kauder nicht geheuer, und er nahm das Thema von der Tagesordnung. Der heißeste Punkt: „Soweit sich im Betrieb Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften überschneiden, kommt nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft zur Anwendung, die im Betrieb mehr Mitglieder hat (Mehrheitsgewerkschaft).“ So weit, so gut, aber dann geht es weiter: „Das schließt insoweit auch eine Erstreckung der Friedenspflicht aus dem Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft auf die Minderheitsgewerkschaft ein.“ Diese explizite Einschränkung des Streikrechts ist vor allem für Bsirske schwer verträglich. Der Boss der zweitgrößten Gewerkschaft will in einem Jahr wiedergewählt werden und muss Rücksicht auf seine Organisation nehmen. Also einigte man sich inzwischen auf eine andere Formulierung. Im Gesetz soll jetzt nur der Satz stehen, „es gilt der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft“. Implizit, so die Auslegung der Gesetzestüftler, bedeute das auch eine Einschränkung der Streikmöglichkeiten der Minderheitsgewerkschaft(en). Die IG Metall spricht in dem Zusammenhang von einer „grundgesetzschonenden Regelung“.
Da schwingt viel Hoffnung mit. Beamtenbund und Marburger Bund werden in jedem Fall das Gesetz vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen. Bis ein Ergebnis vorliegt, dürften Arbeitsgerichte entscheiden, inwieweit Arbeitskämpfe von Minderheitsgewerkschaften mit dem neuen Gesetz vereinbar sind. „Das einige Spartengewerkschaften für ihre Partikularinteressen vitale Funktionen unseres gesamten Landes lahmlegen, ist nicht in Ordnung“, sagt Andrea Nahles mit Blick auf Piloten und Lokomotivführer. Deren Streiks kommen ihr gerade recht, um das überaus sperrige und brisante Thema in ein Gesetz zu packen. Juristische Bedenken sind jetzt nachrangig – die Regierung will Wort halten.
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