GDL-Chef Claus Weselsky: Wenn er will, stehen alle Züge still
Eine Elite, so sehen sich die Lokführer. Und ihr Leitwolf Claus Weselsky erinnert die Republik daran, wie mächtig er ist. Seine Kritiker nennen seinen Stil diktatorisch. Ein Porträt.
Wenn ihm alles zu viel wird, taucht er ab. Unter Wasser herrscht Ruhe, niemand, der plappert oder diskutieren will. Hier ist Claus Weselsky, 55, der Chef der Lokführergewerkschaft GDL, ganz bei sich. Nur er, der Hobbytaucher, und ein paar kleine Fische. Oder er steigt auf sein Motorrad. Auch da ist er der Mann am Steuer, der bestimmt, wo es langgeht. „Ich bin keiner, der ständig im Team arbeiten muss“, hat er mal gesagt.
Das passt zu einem Lokführer. Wer sich diesen Job aussucht, muss ein Einzelgänger sein – alleine im Führerstand, mit der Verantwortung für das Leben einiger hundert Fahrgäste oder für ein paar tausend Tonnen Güter. Eine Elite, so sehen sich die Lokführer. Und Claus Weselsky ist ihr Leitwolf. Seit Montagabend erinnert er die Republik daran, wie mächtig er und seine Leute sind. Wenn Weselsky will, bleiben ICEs stehen und S-Bahnen, bekommen Autofabriken und Kraftwerke keinen Nachschub mehr, weil Güterzüge stoppen. Die Verantwortung dafür, da lässt er keinen Zweifel, sieht er nicht bei der GDL. „Die Bahn provoziert Auseinandersetzungen auf dem Rücken der Fahrgäste.“
Markige Worte bescheren ihm Rücktrittsforderungen
Auf die Person an der Spitze kommt es bei Tarifkonflikten an, das weiß Weselsky. Es geht um markige Worte und simple Botschaften, um die eigenen Leute zu mobilisieren. Doch Weselsky ist in die Defensive geraten, seit er vor ein paar Tagen die falschen Worte gewählt hat. Von Kranken, die sich miteinander ins Bett legen und „etwas Behindertes“ zeugen, dröhnte er in einer Rede – und meinte die aus seiner Sicht unglückliche Fusion der Konkurrenzgewerkschaften Transnet und GDBA zur EVG.
Seitdem stapeln sich die Protestnoten auf seinem Schreibtisch, die ihn in die rechte Ecke rücken und seine Demission verlangen. Dass der Warnstreik der Lokführer das Augenmerk auf anderes lenkt, stört Weselsky sicherlich nicht.
1975 begann er bei der DDR-Reichsbahn seine Lehre
Ob es ein Ausrutscher war oder Ausrufezeichen sein sollte, das weiß niemand so genau. Viel ist nicht über den Menschen Claus Weselsky bekannt: Geboren in Dresden, 1975 bei der Reichsbahn als Lehrling angefangen, ein Sohn, geschieden. Seit 2002 arbeitet er hauptamtlich für die GDL. Bekannt wurde er erstmals 2007, als sich die Lokführer über Monate einen eigenen Tarifvertrag erstritten. Da war noch der gemütliche Manfred Schell Chef der GDL und Weselsky der Strippenzieher, der verhinderte, dass Schell gegenüber Hartmut Mehdorn allzu schnell klein beigab.
Seitdem ist viel passiert. Weselsky wurde 2008 zum Vorsitzenden gewählt. Er und seine Leute wissen nun, dass die Republik vor ihnen zittert – weil die GDL den höchsten Organisationsgrad aller Gewerkschaften hat, weil sie, 1867 gegründet, die älteste im Land ist. Weselsky weiß um seine Macht, und so tritt er auch auf: In hartem Ton, kompromisslos, schneidend. „Der duldet keinen Widerspruch“, sagt ein langjähriger Weggefährte.
Gegner nennen seinen Führungsstil diktatorisch
Als Tarifexperte ist er intern unumstritten. Viele in der Gewerkschaft hatten aber gehofft, dass er als Spitzenmann umgänglicher würde, lockerer. Bislang scheint eher das Gegenteil eingetreten zu sein. Eine „diktatorische und rechtsverletzende Amtsführung“ werfen ihm Gegner innerhalb der GDL vor. Sie haben eine „Initiative für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie“ gegründet – ein Name, der für sich spricht.
Jetzt steht für Weselsky viel auf dem Spiel. Seit dem legendären Abschluss von 2008, mit elf Prozent mehr Geld, gab es nicht nur Erfolge. Der Plan von 2011, einen Flächentarifvertrag für alle Lokführer abzuschließen, erwies sich als eine Nummer zu groß. Und die Konkurrenzgewerkschaft EVG erreichte bessere Regelungen für Ältere.
Im aktuellen Tarifstreit will der Sachse daher unbedingt nicht nur für Lokführer verhandeln, sondern auch für Zugbegleiter. Selbst um den Preis, durch ein Bundesgesetz, das die Tarifeinheit regelt, komplett entmachtet zu werden. „Er will ein noch größeres Denkmal als Manfred Schell“, sagt ein langjähriger Mitarbeiter. „Aber er vergisst, dass dazu vor allem ein solides Fundament nötig ist.“
Carsten Brönstrup