Harter Brexit: Worauf sich Anleger einstellen müssen
Von der Währung bis zur Versicherung: Welche Folgen ein unkontrollierter EU-Austritt der Briten für Sparer hätte
Die Lage ist verfahren. Eigentlich soll Großbritannien am 29. März aus der EU austreten. Es gibt zwar einen Austrittsvertrag, den die britische Regierung mit Brüssel ausgehandelt hat, doch das britische Unterhaus lehnte ihn im Januar mit großer Mehrheit ab. Die EU ihrerseits verweigert – bisher – Nachverhandlungen. Kommt es nun Ende März zu einem Brexit ohne Vertrag, also einem harten Brexit? Damit würden quasi über Nacht Tausende Regeln und Bestimmungen für den bisher freien Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital zwischen der EU und der Insel ungültig. Beim Import von der Insel auf den Kontinent würde die EU automatisch die für Drittländer gültigen Zölle erheben, ebenso wie Großbritannien umgekehrt. Insgesamt gälten die Regeln der Welthandelsorganisation WTO. Was könnte ein harter Brexit für Aktionäre, Verbraucher oder Sparer mit Verträgen, Versicherungen, Wertpapieren in Großbritannien bedeuten? Ein Überblick.
Britisches Pfund
Nachdem das britische Parlament den von Theresa May und Brüssel ausgehandelten Vertrag abgelehnt hatte, stieg das Pfund. Auch die Devisenmärkte demonstrierten also Gelassenheit. Das Pfund hat zwar seit dem Brexit-Referendum im Juni 2016 um etwa 13 Prozent abgewertet, aktuell jedoch notiert es etwa 3,5 Prozent fester als noch im Dezember. Die Entwicklung des Kurses preise bereits zahlreiche Belastungen ein, heißt es bei der Société Générale. Sollte es zu einem geordneten Brexit kommen, sehen die meisten Analysten deshalb eher ein stärkeres Pfund am Horizont.
Anders bei einem No-deal-Brexit: Hier reichen die Prognosen von starken Schwankungen bis zu einer Abwertung um 25 Prozent. In jedem Fall würde ein bevorstehender Brexit ohne Vertrag die Spekulanten auf den Plan rufen. Ein schwaches Pfund würde Reisen aus der Euro-Zone auf die Insel verbilligen und Erträge deutscher Firmen in Großbritannien schmälern. Umgekehrt würden britische Exporte in die Eurozone begünstigt, Importe jedoch teurer.
Kredite und Geldanlagen
Wer bereits jetzt einen Kredit in Pfund hat, könnte im Fall eines Chaos-Brexits profitieren. Denn fällt das Pfund, sinkt damit – in Euro gerechnet – die Kreditsumme. Stiege das Pfund jedoch nach einer turbulenten Phase wieder, verteuerte sich der Kredit. Dies gilt umgekehrt für Geldanlagen. Ein schwaches Pfund würde den Wert schmälern, umgekehrt könnten Anleger von einem unproblematischen oder gar gecancelten Brexit profitieren.
Um die Sicherung ihrer Einlagen müssen sich deutsche Kunden der Royal Bank of Scotland oder von Lloyds keine Sorgen machen. Die Einlagensicherung bleibt bei 75000 Pfund pro Kunde, solange die Briten keine anderweitigen Regelungen beschließen. Zudem sind viele britische Banken Mitglied im freiwilligen Einlagensicherungsfonds deutscher Banken, der noch deutlich höhere Summen absichert.
Versicherungen
Auf rund 500000 deutsche Kunden, die eine Lebensversicherung bei den britischen Versicherern Standard Life, Clerical Medical, Friends Prominent oder Royal London haben, kommen gerade Veränderungen zu. Die britischen Versicherer haben wegen des Brexit die Verträge ihrer EU-Kunden auf irische oder luxemburgische Tochtergesellschaften übertragen – vor allem, weil die Rechtsfolgen des EU-Austritts im Einzelnen unklar und konkrete Regelungen nicht vorhanden sind. Das Problem: In Irland und Luxemburg gibt es nur eine abgespeckte Version einer Insolvenzsicherung, die im Fall einer Pleite des Versicherers einspringen würde. Verbraucherschützer raten nun, erst in Ruhe abzuwarten, kurzfristig bestehe kein Handlungsbedarf. Vorschnelle Kündigungen seien fast immer mit Verlusten verbunden, zudem stünden die Verträge nun weiter unter der Finanzaufsicht der EU.
Fonds
Nicht wenige Fonds für europäische Aktien enthalten auch ein Gutteil britischer Aktien – vor allem aus dem Leitindex FTSE 100. Der Goldman Sachs Europe Core Equity zum Beispiel hält 25 Prozent seines Anlagevermögens in britischen Papieren. Beim Pictet Europe und dem Deka Europa Value sind es gut 26 Prozent, ähnlich wie in passiven Index-ETF, die gesamteuropäisch investieren. Britische Fondshäuser, etwa Fidelity, setzen häufig auch in Europa-Fonds rund ein Drittel des Geldes im eigenen Land ein. Bisher war dies kein Nachteil: Denn seit dem Brexit-Votum im Juni 2016 legte der FTSE 100 gut 16 Prozent zu, der Dax aber nur knapp neun und der EuroStoxx 50 sogar nur gut fünf Prozent.
Wer als Anleger britische Aktien zunächst eher reduzieren oder meiden will, hat dennoch eine breite Auswahl an Europafonds, die mit niedrigerem Briten-Anteil fahren, etwa die Europa-Fonds von Union Investment oder der Postbank. Daneben sind auch eine ganze Reihe von Fonds auf dem Markt, die mit dem Zusatz „ex UK“ ausdrücklich britische Papiere ausschließen.
Aktien
Fast alle Unternehmen, die Teile ihres Geschäfts in oder mit Großbritannien abwickeln, bereiten sich seit vielen Monaten mit Notfallplänen auf einen No-deal-Brexit vor. 2500 deutsche Firmen sind direkt auf der Insel aktiv, viele weitere beziehen Waren oder sind in ihrer Fertigung auf britische Zulieferer angewiesen. Die gute Nachricht für Aktionäre: Bei den meisten börsennotierten Unternehmen mit britischem Geschäft handelt es sich um multinationale Konzerne, sodass sie Probleme bei einem harten Brexit leichter abfedern können. Am stärksten betroffen sind die Branchen Automobil, Chemie, Pharma und Maschinenbau, denn hier wird der Großteil des britisch-deutschen Handels abgewickelt: Deutsche Firmen exportieren insgesamt Waren für 85 Milliarden Euro, Briten umgekehrt nur Produkte für 37 Milliarden Euro. Allerdings sind die Zölle für Drittländer nur im Automobilsektor recht hoch, sonst liegen sie meist zwischen einem und drei Prozent.
Dennoch: Ein harter Brexit, hat beispielsweise die Unternehmensberatung Oliver Wyman ausgerechnet, könnte deutsche Unternehmen bis zu neun Milliarden Euro kosten, unter anderem durch Währungsturbulenzen, stockende Lieferketten und Zoll-Bürokratie. BMW etwa besitzt vier Werke in Großbritannien, produziert dort zwei seiner drei Konzernmarken, nämlich Mini und Rolls Royce Cars. Um eine mögliche Chaos-Phase Anfang April auszusitzen, hat man die jährliche Routine-Schließung zur Wartung direkt in die Zeit nach dem Brexit gelegt, zudem Lager- und Luftfrachtkapazitäten erhöht. Nachgedacht wird auch über eine teilweise Verlagerung der Produktion in die Niederlande. Auch Ford, die meistverkaufte Automarke in Großbritannien mit zwei Werken, denkt über Verlagerungen nach. Im Falle eines Chaos-Brexit rechnet der US-Autobauer mit Zusatzkosten von bis zu einer Milliarde Dollar.
Auch bei Airbus ist die Anspannung groß: Das Unternehmen fertigt auf der Insel fast alle Tragflächen für seine Passagier-und Frachtflugzeuge, fürchtet um geordnete Lieferketten und hat deshalb die Lager maximal aufgefüllt. „Wir planen für den schlimmsten Fall, hoffen aber weiter das Beste“, sagt Airbus-Chef Tom Enders. Auch Speditionen und Logistikunternehmen sehen für einen Chaos-Brexit Probleme, vor allem, weil Lkw-Kolonnen an den französischen und niederländischen Häfen Richtung Insel dann Zollformalitäten umsetzen müssen.
Große Konsumkonzerne aus der EU wie zum Beispiel Unilever, Nestle oder Danone mit Umsatzanteilen von nur fünf Prozent in Großbritannien sollten derweil kaum Probleme haben. Auch der Chemie-Sektor könnte mit einem blauen Auge davonkommen, meinen die Experten des Analysehauses Morningstar. Die BASF etwa teilt mit, man schätze die Kosten auf etwa 60 Millionen Euro pro Jahr, das sind gerade einmal 0,1 Prozent vom Gesamtumsatz. Unter den britischen Papieren stärker belastet sein könnten vor allem kleinere Firmen, weshalb Investitionen in den marktbreiteren Index FTSE 250 risikoreicher wären.
Betroffen sind zudem Finanzwerte. Allerdings haben die Wertpapieraufsicht Bafin und die Europäische Zentralbank bereits Pläne ausgearbeitet, die im Fall eines harten Brexit am 29. März greifen und transnationale Geldgeschäfte sichern sollen. Zudem haben britische Banken mit Geschäften auf dem Kontinent bereits neue Lizenzen beantragt, um weiterhin in der EU aktiv bleiben zu können.