Studie: Harter Brexit gefährdet in Deutschland 100.000 Jobs
Forscher haben düstere Folgen für deutsche Arbeitsplätze bei einem ungeregelten Brexit berechnet. Die Niederlande dagegen profitieren schon jetzt.
Bei einem Brexit ohne Kompromiss- und Auffanglösung sind nach einer Studie des Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) mehr als 100.000 deutsche Arbeitsplätze gefährdet. Die Ökonomen Hans-Ulrich Brautzsch und Oliver Holtemöller vom IWH und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg spielten in einer Analyse den "harten Brexit" durch und brachen den Effekt bis auf die einzelnen Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland herunter, wie die "Welt am Sonntag" berichtete.
Nach einem ungeregelten Brexit würden wieder Zölle auf Importe nach Großbritannien erhoben. Die Simulation der Wissenschaftler erfasse nur Jobeffekte, die auf den daraus folgenden Exporteinbruch zurückzuführen seien. Weitere Brexit-Gefahren für den Arbeitsmarkt, etwa sinkende Investitionsbereitschaft, bildeten die Zahlen nicht ab.
Demnach stünden etwa im schwäbischen Landkreis Böblingen, wo unter anderem Technologiekonzerne wie IBM oder Siemens und Betriebe der Autoindustrie angesiedelt sind, 726 Jobs auf dem Spiel. Im Märkischen Kreis im südlichen Westfalen gehe es um 703 Stellen. Hier finden sich viele Mittelständler, deren Produkte weltweiten Absatz finden und die den globalen Marktführer auf ihrem Gebiet stellen.
Ergebnisse einer Simulationsrechnung
Besonders harte Einschnitte brächte der unkontrollierte Austritt der Briten für Beschäftigte in Wolfsburg und im niederbayerischen Dingolfing-Landau, stellten die Ökonomen fest. Gemessen an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen wäre der Einschnitt nirgendwo in der Republik größer als in diesen Kreisen. Der Grund: Volkswagen beziehungsweise BMW stellen hier zusammen mit Kfz-Zulieferern die größten Arbeitgeber.
"Die Beschäftigungseffekte eines harten Brexits würden vor allem an den Automobilstandorten spürbar werden", erklärte Holtemöller.
Die Bundesrepublik als ökonomisches Kernland der EU und als große Exportnation hätte unter dem Austritt besonders zu leiden. "In keinem anderen Staat ist der Effekt auf die Gesamtbeschäftigung so groß wie in Deutschland, wo rund 100.000 Personen betroffen sind", betonte der Ökonom.
Andere Experten sind zuversichtlicher
Mit ihrer Prognose liegen die Ökonomen weit über dem, was Experten bislang vorhergesagt haben. Die Unternehmensberatung Deloitte, die ebenfalls schwerpunktmäßig die Automobilbranche untersucht hat, sieht zum Beispiel lediglich 14000 deutsche Jobs in Gefahr.
Dass die Zahlen der Forscher aus Halle so viel höher ausfallen, liegt an ihrer Herangehensweise. Untersucht haben sie ausschließlich, welche Folgen es hat, wenn die Briten wieder Zölle einführen und die Exporte auf die Insel deshalb einbrechen. Weitere Effekte haben sie nicht berücksichtigt.
So steht ihre Simulation dann auch im krassen Gegensatz zu einer Analyse, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) erst vor wenigen Tagen veröffentlich hat. Die Arbeitsmarktforscher aus Nürnberg gehen nämlich davon aus, dass sich die Auswirkungen auf die Beschäftigung im Fall eines harten Brexits „in engen Grenzen halten“ würden. Sie prognostizieren, dass die Handelsströme mittelfristig umgelenkt würden und Großbritannien als Handelspartner weniger wichtig würde. Gleichzeitig könnte Deutschland nach einem harten Brexit auch davon profitieren, dass Firmen ihre Produktionsstandorte hierher verlagern.
42 britische Firmen sind 2018 in die Niederlande umgezogen
In den Niederlanden ist ein solcher Trend schon jetzt erkennbar: Dort haben sich 2018 bereits 42 britische Unternehmen angesiedelt und 2000 neue Arbeitsplätze geschaffen, wie das Wirtschaftsministerium am Samstag in Den Haag mitteilte. Damit waren rund 291 Millionen Euro Investitionen verbunden, rund 2000 neue Arbeitsplätze seien geschaffen worden.
Zu den Unternehmen und Organisationen, die Großbritannien den Rücken kehrten, gehört auch die europäische Arzneimittelagentur Ema, die ihren Sitz nun in Amsterdam hat. Auch der japanische Elektronikkonzern Panasonic verlegte seinen europäischen Sitz in die Niederlande. 2017 waren schon 18 Unternehmen von Großbritannien in die Niederlande umgezogen.
Nach dem Jahresbericht der niederländischen Agentur für Auslandsinvestitionen planen noch weitere 250 Unternehmen, wegen des Brexits in die Niederlande umzuziehen. Dazu gehörten der Agentur zufolge vor allem Unternehmen aus dem Finanzsektor sowie Medien- und Logistik-Unternehmen. Der TV-Sender Discovery und auch das Medien-Unternehmen Bloomberg haben ihren Umzug angekündigt. Im vergangenen Jahr zogen insgesamt 372 ausländische Unternehmen in die Niederlande um. Sie sorgten für Investitionen von rund insgesamt 2,85 Milliarden Euro und schufen etwa 10.000 neue Arbeitsplätze. (AFP, dpa)