Finanzexperte Gerhard Schick im Interview: "Zu viel Geld in schlechte Produkte"
Gerhard Schick ist Finanzexperte der Grünen im Bundestag. Mit dem Tagesspiegel spricht er über den Garantiezins bei Lebensversicherungen und sagt, wie sinnvoll Riester-Verträge sind.
Herr Schick, die Bundesregierung will bei den großen Versicherern den einheitlichen Garantiezins für Lebensversicherungen abschaffen. Ist das für die Verbraucher ein Vor- oder ein Nachteil?
Wenn der einheitliche Deckel fällt, muss die Finanzaufsicht Bafin umso mehr darauf achten, dass die Versicherer nicht zu viel versprechen. In der Vergangenheit ist genau das geschehen. Einige Versicherer haben ihren Kunden unhaltbare Versprechungen gemacht. Das dürfte sie in den nächsten Jahren in Schwierigkeiten bringen, obwohl die Branche insgesamt kräftige Gewinne einfährt.
Wie viele Versicherer sind gefährdet?
Das ist schwer zu sagen. Die Branche ist nicht sonderlich ehrlich. Den Politikern wird vorgejammert, wie schlecht es den Unternehmen wegen der Niedrigzinsen an den Kapitalmärkten geht, um versicherungsfreundliche Gesetze zu bekommen. Den Kunden und Investoren wird dagegen erzählt, wie toll das Geschäft läuft, um sie bei der Stange zu halten. Das passt nicht zusammen.
Vielleicht geht es einigen gut und anderen schlecht?
Zumindest gibt es Versicherer, die hohe Dividenden ausschütten.
Das ist doch nichts Schlimmes.
Doch, weil mit dem Geld dringend das Eigenkapital gestärkt werden müsste. Das Eigenkapital der Lebensversicherer beträgt weniger als zwei Prozent der Bilanzsumme und damit deutlich weniger als bei den Banken. Um für die eigene Zukunft vorzusorgen, müssten die Versicherer dringend ihre Eigenkapitalbasis stärken.
Bei den Kunden wird ja schon gespart.
Ja, die Kunden müssen auf Ausschüttungen verzichten, weil ihre Beteiligung an den Bewertungsreserven gekürzt worden ist und die Versicherer mit dem Geld der Versicherten zudem noch eine Zinszusatzreserve aufbauen. Damit soll die Stabilität gewahrt werden. Aber wenn es um die Eigentümer geht und die Aktionäre, dürfen die Versicherungen nach wie vor hohe Ausschüttungen leisten. Das ist ungerecht.
Provisionsverbot - ja oder nein?
Die Bundesbank hat untersucht, ob Versicherer pleitegefährdet sind und für die Branche eher Entwarnung gegeben.
Ja, aber diese Entwarnung gilt nur, wenn nicht nur bei den Kunden gespart wird, sondern auch die Gewinne einbehalten werden. Das ist in der Realität aber nicht der Fall. Einzelne Unternehmen werden Probleme bekommen, weil das Management schlecht gewirtschaftet hat.
Das Lebensversicherungsgeschäft ist langfristig, können Versicherungsmanager überhaupt kurzfristig gegensteuern, um auf die niedrigen Zinsen zu reagieren?
Wir sind ja nicht im Jahr eins der Niedrigzinsphase, sondern mindestens im Jahr sieben. Inzwischen hätte man doch manche Fehlentwicklung korrigieren können. Das Gegenteil ist passiert. Gerade die Unternehmen, die geschwächt sind, haben sich mit hohen Provisionszahlungen an die Vertreter Neugeschäft ins Haus geholt, das kurzfristig eine Erleichterung bedeutet, ihnen aber mittelfristig neue Schwierigkeiten bereitet. Hinzu kommen die hohen Einmalzahlungen. Viele Kunden haben ihr Geld in Form von Einmalbeiträgen bei Versicherungen angelegt, weil diese ihnen höhere Zinsen versprochen haben als die Banken. Dieses Geschäft bricht aber sofort weg, wenn die Versicherer diese Zinsen nicht mehr halten können. Und das wird passieren.
Sind Sie für ein Provisionsverbot?
Es geht viel zu viel Geld für den Vertrieb drauf. Die hohen Vertriebskosten und die übergroße Zahl von 200 000 Versicherungsvertretern sind ein wesentlicher Grund dafür, warum die Altersvorsorge nicht funktioniert. Ich habe also durchaus Sympathien für ein Provisionsverbot. Aber es würde auch schon helfen, wenn man die Provisionen offenlegen, aus den Beiträgen herausrechnen und den Kunden Nettotarife nennen würde. Dann wäre auch ein fairer Vergleich mit den Honorarberatern möglich.
Und die wären besser?
Banken oder Versicherungen haben die Menschen in sehr spezielle und riskante Produkte getrieben wie Schiffsbeteiligungen, Schrottimmobilien oder unrentable Lebensversicherungen und tun das heute noch. Derzeit werden zum Beispiel über eine Million meist intransparente Zertifikate angeboten. Diese Fehlberatung hat viel mit Provisionen zu tun. Erst mit Finanzberatern, die im Interesse der Kunden die Produkte aussuchen, werden sich am Markt auch einfachere Produkte durchsetzen.
Wie sollen denn Ihre einfachen Produkte für die Altersvorsorge aussehen?
Schweden macht das vor: Ein einfaches, standardisiertes Produkt für die Basisvorsorge, das der Staat anbietet, aber privat gemanagt wird und das jeder Mensch bekommt, es sei denn, er entscheidet sich bewusst dagegen. Mit geringen Vertriebskosten, das Geld wird gleich vom Bruttolohn abgezogen.
Das könnte man dann doch auch über die Betriebsrente lösen.
Nein. Die betriebliche Altersvorsorge funktioniert in den großen Industrieunternehmen gut, aber es gibt viele kleine Selbstständige oder Dienstleister, die gar keine Betriebsrente anbieten.
Riester-Förderung - ja oder nein?
Sollte der Staat die Riester-Förderung einstellen?
So wie das im Moment läuft, ist es dem Steuerzahler nicht zuzumuten, Riester zu unterstützen. Es fließt viel zu viel Geld in schlechte Produkte. Und gerade für Geringverdiener lohnt sich Riester gar nicht, weil die Auszahlungen auf die Grundsicherung angerechnet werden.
Der Sparkassenverband fordert eher eine Ausweitung der Förderung.
Es wird viel gefordert. Und die Politik gibt den Forderungen viel zu schnell nach. Das war beim Lebensversicherungs-Reformgesetz so, das passiert jetzt bei den Baukrediten wieder und bei den Bausparkassen. Ohne dass sich die Politik und die Aufsicht vorher wirklich ein Bild von der Lage gemacht haben. Auch bei den Pensionsfonds haben wir jetzt so einen Fall.
Was meinen Sie?
Die Regierung kippt auf Zuruf der Firma Bosch eine Regelung über die Rentenauszahlung, die seit über 100 Jahren für Pensionsfonds gilt und der Sicherheit der Pensionsfonds dient. Die Änderung soll den Rentnern kurzfristig eine höhere Rendite bringen.
Aber das ist doch prima!
Ich frage Sie: Was ist das denn für eine Politik, die Mitte November mal kurzfristig ein Gesetz ändert, damit am 1. Januar 2016 ein Problem mit den Niedrigzinsen vermieden wird? Wo wir diese Niedrigzinsen doch seit Jahren haben!
Bausparen - ja oder nein?
Viele Bausparkassen kündigen derzeit ihren Kunden gut verzinste Verträge. Sie sagen, sonst seien sie in ihrer Existenz bedroht. Glauben Sie das?
Das ist wie bei den Lebensversicherungen. Bei der Politik klagt man und will mehr Freiheit für die Geldanlage, und den Neukunden erzählt man, wie toll das Bausparen ist. Die Wahrheit liegt dazwischen. In den 90er Jahren sind hoch verzinste Verträge abgeschlossen worden, die man jetzt nicht mehr bedienen kann und die man loswerden will. Die Anpassung an die niedrigen Zinsen ist zu spät erfolgt – und auf falsche Art und Weise.
Inwiefern?
Statt erst zu sparen und dann einen Kreditvertrag zugeteilt zu bekommen, wie das im klassischen Bauspargeschäft läuft, haben die Bausparkassen mit dem Segen der Aufsicht Kredit- und Sparverträge zeitlich gekoppelt – für die Verbraucher ist das häufig eine teure Lösung. Diese Koppelgeschäfte machen das Drei- oder Vierfache des klassischen Geschäfts aus. Insofern gibt es schon Handlungsbedarf.
Bei den Baukrediten passiert gerade das Gegenteil. Weil viele Verträge eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung enthalten, können Verbraucher aus den teuren Darlehen aussteigen – und tun das auch. Die Regierung will diese Möglichkeit jetzt im nachhinein einschränken.
Woher wissen Sie denn, dass viele Menschen widerrufen? Die Finanzwirtschaft hat uns solche Zahlen zumindest bislang nicht geliefert. Vielleicht gibt es gar nicht so viele Fälle. Die meisten Kunden, die mit ihrer Bank oder Sparkasse zufrieden sind, widerrufen nicht, auch wegen des hohen Aufwands für einen solchen Widerruf. Auf jeden Fall wäre es ein übler Präzedenzfall, auf Zuruf der Banken die Rechtsposition des Kunden nachträglich zu verschlechtern. Wenn die Rechtslage schlecht für die Kunden ist, wird ja auch nicht nachträglich das Gesetz geändert.
Das Interview führte Heike Jahberg
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