Parteiprogramme nach Dieselgate: Wohin die Verkehrspolitik steuert
Diesel-Drama, Verbrenner-Verbot, Pkw- und Schienen-Maut: Die Parteien beschäftigen sich in ihren Programmen ausführlicher als früher mit Mobilität und Verkehr.
Als der VW-Konzern im September 2015 den Diesel-Skandal öffentlich machte, konnte man sich kaum vorstellen, dass das Thema zwei Jahre lang bis zur Bundestagswahl aktuell bleiben würde. Der Wahlkampf zeigt: Das Diesel-Drama hat sich sogar zugespitzt, Politik und Gesellschaft beschäftigen sich intensiver denn je mit der Zukunft des Verbrennungsmotors, mit steigenden Schadstoffemissionen im Verkehr, mit der Mobilität von morgen auf Straße und Schiene.
Seit Bekanntwerden des VW-Skandals hat sich viel bewegt: In der zweiten Hälfte der Legislaturperiode gab es einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, Regierung und Industrie haben eine milliardenschwere Kaufprämie für Elektroautos aufgesetzt, die Hersteller geben einen Bonus beim Kauf von Diesel- Neuwagen, nach zwei Diesel-Gipfeln wird immer noch über drohende Fahrverbote in deutschen Großstädten diskutiert. In den Hintergrund getreten ist dagegen die Frage, wie die Deutsche Bahn im Personen- und Güterverkehr wettbewerbsfähiger werden kann und nicht wie 2016 weiter Marktanteile verliert. Stattdessen beschäftigte man sich zuletzt mit der Schieflage des Autobahnbetreibers A1 mobil und der Sinnhaftigkeit öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPP) beim Autobahnbau. So kommt es, dass sich die Parteien in ihren Wahlprogrammen den Mobilitätsthemen ausführlicher als bei früheren Wahlen widmen.
Nach Ansicht von Grünen, Linken und Teilen der SPD zeigen der VW-Skandal und die Glaubwürdigkeitskrise der Autoindustrie, dass es einen Paradigmenwechsel in der Verkehrspolitik geben muss. Die Interessen der wichtigsten deutschen Branche mit mehr als 800 000 Beschäftigten und die Nähe der Politik zur Auto- Lobby werden in einem neuen Licht gesehen. Die Transformation – weniger Individualverkehr mit Verbrennungsmotoren, mehr alternative Antriebe, Sharing-Modelle, mehr ÖPNV und Radverkehr – soll mit staatlichem Nachdruck und Geld beschleunigt werden. Auch um den Wegfall von Jobs in der „alten“ Autoindustrie abzufedern und Arbeitsplätze in neuen, nachhaltigen Mobilitätsbranchen zu schaffen.
CDU/CSU, FDP und AfD wollen natürlich auch den Autoverkehr sauberer und den ÖPNV attraktiver machen, warnen allerdings vor einem übereilten Abschied vom Verbrenner, vor technologischen Festlegungen und einer dauerhaften Subventionierung alternativer Antriebe, etwa der Elektromobilität. Wettbewerb statt staatlicher Überregulierung, schärfere Grenzwerte statt Fahrverbote – auf diese Formeln kann man die konservativ- liberalen Positionen bringen. In dieser „technologieoffenen“ Sicht der Dinge bleibt der saubere Diesel noch für Jahre eine „Brückentechnologie“. Wenn es um den Ausbau der Infrastruktur geht, denken Union, FDP und AfD vor allem an die Straße – und, wie alle Parteien, an mehr Ladesäulen für Elektroautos.
Das Wort "Diesel" wird in den Programmen vermieden
Komplizierter wird es im Detail, weil die Parteien über Verkehrspolitik nicht nur untereinander streiten, sondern auch intern. Exemplarisch zeigt sich dies bei den Themen Diesel und Elektromobilität. Erstaunlich dabei: „Diesel“, das Reizwort der vergangenen zwei Jahre, taucht in den Wahlprogrammen kaum auf. Bei SPD und FDP findet es sich gar nicht, bei CDU/CSU und AfD nur jeweils ein Mal, bei Linken und Grünen immerhin sieben beziehungsweise zehn Mal. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff „Elektromobilität“, den die Grünen immerhin acht Mal auf 248 Seiten verwenden – und damit am häufigsten von allen Parteien.
Am schärfsten grenzen sich Grüne und Linke von den anderen Parteien beim Verbrennungsmotor ab: Ab 2030 dürften nur noch abgasfreie Autos neu zugelassen werden, fordern beide. Nicht nur der baden-württembergische Ministerpräsident und Grüne, Winfried Kretschmann, lehnt dies ab, auch Union, FDP und AfD sind gegen einen solchen „Einstieg in den Ausstieg“. Grüne und Linke fordern auch ein Tempolimit auf Autobahnen von 120 km/h.
Die Linke lehnt eine Förderung von E-Autos ab
Bei der Förderung der Elektromobilität trennen sich ihre Wege. Die Linke lehnt Kaufprämien ebenso wie FDP und AfD ab, freilich aus anderen Gründen. Während die Liberalen vor„staatlicher Investitionslenkung“ warnen, plädieren Linke für mehr Elektromobilität im öffentlichen Verkehr. Die Grünen sind wie SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz (Fünf-Punkte- Plan) für eine E-Auto-Quote. Sie schlagen zudem eine Aufstockung der Kaufprämie von 4000 auf 6000 Euro vor und ein Bonus-Malus-System bei der Kfz- Steuer, das schmutzige Autos bestraft.
Lieblingsprojekte wie die Pkw-Maut des amtierenden Verkehrsministers Alexander Dobrindt (CSU) wollen alle wieder abschaffen, außer der Union. Selbst die SPD, die unter Schmerzen dafür gestimmt hat, will die Maut kippen, wenn sie weniger als erhofft einbringt. Auch die von Dobrindt geförderten ÖPP finden nur bei Union und FDP Freunde, die SPD will sie nur unter Bedingungen (Wirtschaftlichkeit wird vom Rechnungshof geprüft), Grüne, Linke und AfD lehnen sie ab.
Mit Blick auf den Schienenverkehr sehen alle Parteien bei der Deutschen Bahn Nachholbedarf bei der Vernetzung der bundesweiten Fahrpläne und bei der Digitalisierung. Im Güterverkehr plädieren alle für weiter sinkende Trassenpreise, um den Wettbewerb zu stärken. Grüne und FDP würden zudem Netz und Betrieb der Bahn trennen – die FDP, weil sie die selbstständige Betreibergesellschaft dann an die Börse bringen will. Das Netz soll dem Bund gehören. Einen bislang unerfüllten Wunsch formulieren auch vor dieser Wahl wieder alle Parteien: Es soll in Zukunft mehr Verkehr auf der Schiene statt auf der Straße stattfinden.