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Cem Özdemir (51) ist gemeinsam mit Simone Peter Bundesvorsitzender der Grünen.
© dpa

Grüne: "Dobrindt hat den Schuss nicht gehört"

Grünen-Chef Cem Özdemir über den Dieselskandal und die Zukunft der deutschen Autoindustrie. Ein Interview.

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Grünen-Chef Cem Özdemir versichert, er wolle Deutschland als Automobilstandort erhalten. Aber er hält einen Umstieg auf abgasfreie Antriebe für notwendig.
Herr Özdemir, die Autokonzerne rüsten jetzt alte Dieselfahrzeuge um. Wird das Fahrverbote verhindern?

Fahrverbote sind damit noch lange nicht vom Tisch. Die paar Mausklicks, welche die Hersteller beim ersten Gipfel zugesagt haben, werden sicher nicht reichen. Ich rechne nicht damit, dass die Gerichte sich davon beeindrucken lassen. Die Bundesregierung hat hier durch jahrelanges Nichtstun versagt. Eine Umstiegsprämie ohne ökologische Lenkungswirkung halte ich für falsch. Selbst die neuen Diesel überschreiten die Schadstoffgrenzwerte im Realbetrieb zum Teil um das Sechsfache. Beim nächsten Dieselgipfel muss die Bundeskanzlerin mit der Autoindustrie verabreden, dass die Prämie nur dann gezahlt wird, wenn jemand ein Elektroauto oder ein Hybridfahrzeug kauft – oder einen Diesel, der auch auf der Straße und nicht nur im Labor die Grenzwerte einhält. Die kommen erst im Herbst auf den Markt.

Die Grünen fordern eine blaue Plakette. Wer einen schmutzigen Diesel fährt, dürfte dann nicht mehr in Innenstädte fahren.

Die Blockadepolitik von Minister Dobrindt gegen saubere Luft ist unerträglich. Die Grenzwerte müssen eingehalten werden, damit die Luft in den Städten sauberer wird. Die Einführung einer blauen Plakette würde genau dieses Ziel erreichen. Doch diese verhindert Dobrindt. Dabei wäre das ein einfaches und bundesweit anwendbares Instrument zum Schutz der Gesundheit der Menschen und des Klimas. Es wäre aber unfair, wenn die Verbraucher die Zeche zahlen, die geglaubt haben, mit dem Diesel ein umweltfreundliches Auto gekauft zu haben. Die Hersteller müssen für Umrüstungen zur Einhaltung der Grenzwerte aufkommen.

Was raten Sie den Verbrauchern: Finger weg vom Kauf eines Diesels?

Wer einen Diesel kaufen will, sollte auf jeden Fall darauf achten, dass die Grenzwerte eingehalten werden. Aber ich sage auch: Der Diesel und der fossile Verbrennungsmotor sind Auslaufmodelle. Die Zukunft ist das abgasfreie Auto. Ich habe den Eindruck, dass allmählich alle bis auf Dobrindt den Schuss gehört haben. Es ist höchste Zeit, dass die Politik den Ordnungsrahmen für die Verkehrswende setzt. Das wird die Aufgabe der nächsten Bundesregierung sein. Schließlich schläft die Konkurrenz nicht. Unsere Automobilindustrie hat in ihrer 130-jährigen Geschichte eine Menge erreicht, aber bei der abgasfreien Mobilität hinkt sie hinterher. Das wollen wir Grüne ändern.

In Deutschland arbeiten 800000 Menschen in der Autoindustrie. Wie viele dieser Jobs wird es in Zukunft noch geben?

Mir geht es darum, Deutschland als Automobilstandort zu erhalten. Nehmen Sie Nokia: Die haben sich darauf ausgeruht, dass sie bei Handys einen Weltmarktanteil von 40 Prozent hatten. Dann kam das Smartphone. Heute stellt Nokia nur noch ein Nischenprodukt her. Ich will nicht, dass deutsche Autos zum Nischenprodukt werden und die Autos der Zukunft in China oder den USA gebaut werden. Doch das wird nur funktionieren, wenn es klare Vorgaben aus der Politik gibt. Der Zickzack-Kurs der Kanzlerin bietet den Unternehmen keine Planungssicherheit. Das sehen wir gerade bei den Energiekonzernen, die sich auf Merkel verlassen hatten und nun enorme Schwierigkeiten haben.

Martin Schulz will europaweit eine Quote für E-Autos einführen. Könnte dies den Umstieg auf moderne Antriebe beschleunigen?

Ich halte es für sinnvoller, wenn die Politik einen zeitlichen Rahmen für den Umstieg vorgibt. Wir schlagen vor, dass ab 2030 nur noch abgasfreie Autos neu zugelassen werden sollen. Um diese Entwicklung zu fördern, wollen wir Fehlanreize in der Kraftfahrzeugsteuer beseitigen. Spritschlucker sollen stärker nach CO2-Ausstoß besteuert werden, emissionsarme Autos erhalten einen Steuerbonus. Außerdem wollen wir das Dieselprivileg schrittweise abschaffen. Die Subventionen im Umfang von sieben Milliarden Euro wollen wir in moderne Mobilität investieren. Dazu gehört der Ausbau des sicheren Radverkehrs, die Förderung von emissionsfreiem Carsharing und exzellenten öffentlichen Nahverkehrssytemen.

Verstärken Sie damit nicht den „Fukushima-Moment“, vor dem Sie die Autoindustrie gewarnt haben?

Nein. Wenn die deutsche Autoindustrie den Wandel verschläft, droht ihr der Untergang. Schauen Sie doch, was längst in der Realität passiert. Continental spricht davon, dass 2023 der letzte Zyklus für den Verbrenner eingeläutet wird. Porsche will bis 2023 die Hälfte der Neuwagenflotte mit Elektroantrieb ausstatten. Großbritannien will bis 2040 aus dem Verbrennungsmotor aussteigen, Frankreich auch. Dem kann sich auch Deutschland nicht entziehen. Das Datum 2030, das wir genannt haben, ist ein Weckruf für die deutsche Industrie. Mit dieser Forderung gehen wir in mögliche Koalitionsgespräche. Am Ende muss ein festes Enddatum stehen.

Aber Sie bestehen nicht auf 2030?

2030 ist unsere Ansage. Eine Koalition mit den Grünen gibt es nur, wenn die Voraussetzungen für den abgasfreien Verkehr geschaffen werden.

Ist der Umstieg auf E-Autos ökologisch sinnvoll, solange es noch Strom aus Atom- und Kohlekraftwerken gibt?

Damit wir am Ende nicht mit Zitronen gehandelt haben, müssen wir gleichzeitig mit dem Kohleausstieg beginnen. Wir wollen deshalb in der nächsten Wahlperiode die 20 ältesten und dreckigsten Kohlekraftwerke vom Netz nehmen und mittelfristig auf 100 Prozent Erneuerbare Energien im Strombereich umsteigen.

Sind die Stromnetze denn dafür ausgelegt, Millionen Elektroautos zu laden?

Ja, die Stromnetze schaffen das, auch weil in den kommenden Jahren ein weiterer Netzausbau stattfindet. Natürlich muss auch die Ladeinfrastruktur weiter ausgebaut werden. Die Menschen müssen ihre Autos zu Hause, bei der Arbeit oder beim Einkaufen bequem laden können.

Die Kanzlerin will mit den Kommunen über die Verwendung eines Fonds zur Förderung moderner Mobilität sprechen. Was sollte mit dem Geld getan werden?

Auch das kann nur ein Einstieg sein. Wir brauchen eine Beschaffungsoffensive für öffentliche Fuhrparks: Emissionsfreie Busse und Taxen können einen Beitrag leisten, um die Städte zu entlasten. Die Mittel für das Zukunftsprogramm Nahverkehr müssen außerdem dauerhaft auf eine Milliarde Euro pro Jahr erhöht werden. Darüber hinaus brauchen wir mehr Bundesmittel für Radwege.

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