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Handwerker haben derzeit so viele Aufträge, dass Kunden oft lange warten müssen.
© dpa

Konjunktur: Wirtschaft wächst stärker als erwartet

Die deutsche Wirtschaft ist im dritten Quartal unerwartet stark gewachsen. Trotzdem sehen Experten Handlungsbedarf.

Ökonomen haben ein neues Lieblingswort. Vom „Boom“ der deutschen Wirtschaft sprechen sie derzeit so oft und gerne wie lange nicht mehr. Im Handwerk, in der Industrie, im Handel: Überall boomt es demnach und das sogar stärker als erwartet. Um 0,8 Prozent ist die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal gegenüber dem Vorquartal gewachsen – Experten hatten eigentlich „nur“ mit einem Plus von 0,6 Prozent gerechnet. Noch deutlicher fällt der Vorjahresvergleich aus: In diesem Zeitraum lag das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts sogar bei 2,3 Prozent. Es wurden also deutlich mehr Waren produziert, Dienstleistungen bereitgestellt und Werte geschaffen, als noch ein Jahr zuvor.

Zu einem Teil liegt das daran, dass es derzeit nicht nur den Deutschen gut geht. Auch die Weltwirtschaft wächst. Und – für Deutschland besonders wichtig – auch die anderen Euro-Staaten haben sich erholt. So können auch Spanien, Frankreich und Italien solide Wachstumsraten vorweisen. Deshalb gelingt es den deutschen Firmen derzeit, mehr Waren ins Ausland zu verkaufen.

Die Unternehmen investieren mehr

Gleichzeitig hat sich aber noch etwas geändert: Waren es bislang vor allem die Verbraucher, die besonders konsumfreudig waren, investieren jetzt auch verstärkt die Unternehmen wieder. Sie hatten sich zuletzt mit größeren Ausgaben eher zurückgehalten, vermutlich aus Furcht, der Aufschwung könne sich abschwächen. Nun haben sie aber wohl so viele Aufträge, dass sie expandieren müssen und mehr Geld für neue Maschinen, Werkshallen und Fahrzeuge ausgeben. Auch das beschleunigt das Wachstum.

Ökonomen stimmen gerade die höheren Investitionen der Firmen optimistisch. „Wenn die Unternehmen nun verstärkt investieren, wird das auch die Produktivität stützen“, meint Volkswirt Michael Holstein von der DZ Bank. Eine höhere Produktivität bedeutet: Firmen können in der gleichen Zeit mehr produzieren als vorher. „Das kann dann auch zu stärkeren Lohnsteigerungen führen“, sagt Holstein. Der Aufschwung komme damit in eine neue Phase. Denn steigen die Löhne, können sich die Menschen mehr leisten und geben mehr Geld für Autos, Möbel und Elektronik aus – mit der Folge, dass die Unternehmen noch mehr Aufträge haben, die Wirtschaft noch stärker wächst.

So glauben auch die meisten Experten vorerst an eine Fortsetzung des „Booms“. Zumal die niedrigen Zinsen der Wirtschaft helfen: Firmen können günstig Kredite aufnehmen und Verbraucher werden eher zum Konsum statt zum Sparen animiert. Unterstützt wird das auch durch die geringere Inflationsrate: Sie ging im Oktober auf 1,6 Prozent zurück, nachdem sie in den beiden Vormonaten noch bei 1,8 Prozent lag. Die Preise steigen also etwas weniger stark – auch das stärkt den Konsum.

Der Boom setzt sich nicht endlos fort

Trotzdem weisen aber die meisten Experten bereits daraufhin, dass sich der Boom nicht endlos fortsetzen kann. Schon jetzt fehlen vielen Firmen Mitarbeiter, um die enorme Zahl der Aufträge abzuarbeiten. Besonders stark ist davon das Handwerk betroffen: Viele Betriebe müssen die Kunden warten lassen, weil sie zu viel zu tun und zu wenig Fachkräfte haben. „Was im Moment vielleicht noch ein Luxusproblem sein mag, wird auf lange Zeit zu einem strukturellen Risiko“, sagt Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank. Zumal es auch noch andere Entwicklungen gibt, die den deutschen Aufschwung abschwächen könnten. Da ist zum Beispiel der für 2019 geplante Brexit: Großbritannien ist hinter den USA und Frankreich der drittgrößte Absatzmarkt für deutsche Unternehmen – der Brexit dürfte sie also hart treffen. Auch eine Rezession in den USA im Laufe der nächsten drei, vier Jahre halten Experten nicht für ausgeschlossen. Auch das träfe Deutschland aufgrund der hohen Abhängigkeit vom US-Markt.

Deshalb warnen Experten davor, sich angesichts der guten Wirtschaftsdaten entspannt zurückzulehnen. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer kritisiert „eine gewisse Selbstzufriedenheit“. Seiner Ansicht nach gäbe es einiges zu tun. So ist Deutschland zum Beispiel in der Rangliste der wettbewerbsfähigsten Standorte der Welt binnen drei Jahren vom sechsten auf den 13. Platz abgerutscht. Bei den Investitionen in die Digitalisierung schafft es die Bundesrepublik nicht mal mehr unter die Top-50, zeigt eine Studie der Schweizer Business School IMD. „Es gibt eine ganze Reihe von Fehlentwicklungen, die irgendwann zum Tragen kommen werden“, sagt Krämer.

Deutschland verliert an Wettbewerbsfähigkeit

Auch Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), nimmt die Zahlen zum Anlass, Forderungen zu stellen. „Aus Sicht der Unternehmen verliert Deutschland als Wirtschaftsstandort an Wettbewerbsfähigkeit“, kritisiert er. Digitalisierung und Bürokratieabbau gehörten deshalb auf die Prioritätenliste der neuen Bundesregierung.

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