Sachverständigenrat: Wirtschaftsweise warnen vor Überhitzung der Konjunktur
Die Wirtschaft brummt seit sieben Jahren. Noch ist kein Ende in Sicht. Doch die Wirtschaftsweisen warnen vor einer Überhitzung. Was raten sie der Politik?
An sich könnten die Nachrichten kaum besser sein: Es haben so viele Menschen wie nie einen Job, die Firmen haben reichlich Aufträge, die Wirtschaft wächst seit Jahren kräftig. Doch die Wirtschaftsweisen mahnen nun zur Vorsicht. In ihrem Jahresgutachten, das sie am Mittwoch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) übergeben haben, warnen die fünf Ökonomen vor einer Überhitzung der Wirtschaft. Mit anderen Worten: Uns Deutschen geht es zu gut. Eine paradoxe Entwicklung.
Was sagen die Ökonomen voraus?
Die deutsche Wirtschaft wächst bereits seit sieben Jahren – und zumindest in diesem und im nächsten Jahr dürfte das so weiter gehen. Die Ökonomen des Sachverständigenrats sagen für 2017 ein Wachstum von 2,0 Prozent, für 2018 sogar von 2,2 Prozent voraus. Gegenüber ihre Prognose vom Frühjahr haben sie ihren Ausblick noch einmal deutlich angehoben. Die Wissenschaftler sprechen von einer Boomphase: Die Firmen produzieren viel, die Verbraucher kaufen viel. Für die Deutschen ist das zunächst eine gute Nachricht. Denn es bedeutet, dass die Arbeitslosigkeit noch weiter zurückgehen dürfte. Je länger diese Phase jedoch anhält, desto schwieriger wird es für die Unternehmen, neue Arbeitskräfte zu finden, um die hohe Nachfrage zu bedienen. Und genau darin liegt aus Sicht der Ökonomen das Risiko. Schon jetzt sprechen sie von einer Überauslastung der Wirtschaft. Das Wachstum stößt also an seine Grenzen.
Warum ist die Überauslastung der Wirtschaft ein Problem?
Wenn die Firmen nicht so viele Mitarbeiter finden, wie sie eigentlich bräuchten, stauen sich die Aufträge. Schon jetzt gibt es Branchen, in denen diese Überauslastung zum Problem wird. Vor allem in der Baubranche haben Unternehmen große Schwierigkeiten, Mitarbeiter zu finden. Wer in Berlin einen Handwerker braucht, wartet im Zweifel bereits mehrere Monate auf einen Termin. So lange diese Überauslastung auf eine Branche begrenzt ist, geht das noch. Schwierig wird es, wenn sie auf andere Wirtschaftszweige wie zum Beispiel die Industrie übergreift. Dann werden die Lieferzeiten für Waren länger und die Unternehmen können höhere Preise durchsetzen. Das kann dann schnell zur Überhitzung der Wirtschaft führen. Das heißt: Die Entwicklung kippt. Denn steigen die Preise, werden Verbraucher und Firmen vermutlich weniger ausgeben, weniger konsumieren. Das wiederum bedeutet aber, dass die Auftragslage der Unternehmen wieder schlechter wird, die Firmen nicht mehr so viele Angestellte brauchen. Das ist dann das Ende des Wirtschafsbooms. Um dem vorzubeugen, müsste die Politik aus Sicht der Ökonomen jetzt aktiv werden. Die derzeit gute Konjunktur sei eine „Chance für eine Neujustierung der Wirtschaftspolitik“, schreiben sie.
Was sollte die Politik tun?
Der Sachverständigenrat will die Mittelschicht stärker entlasten – vor allem durch Steuersenkungen und die Abschaffung des Solidaritätsbeitrags. Gleichzeitig müsste aber auch auf dem Arbeitsmarkt etwas geschehen, sagen die Ökonomen. Zumal in einigen Branchen und Regionen schon jetzt Fachkräfte fehlen und die Zahl der offenen Stellen insgesamt auf einem Rekordhoch ist. Um dem entgegen zu wirken, schlagen die Wirtschaftsweisen unter anderem vor, „das vorhandene Arbeitskräftepotenzial insbesondere von Frauen und Älteren noch besser auszuschöpfen“. Besonders wichtig ist den Ökonomen dabei der Ausbau der Ganztagsbetreuung für Kinder. Ihre Rechnung geht so: Würde der Staat jährlich zehn Milliarden Euro in Kindertagesstätten und Schulen investieren, könnten binnen fünf Jahren knapp 500.000 Vollzeitstellen mehr besetzt werden. Gleichzeitig sollten die Arbeitnehmer aber auch mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit bekommen. So sprechen sich die Wirtschaftsweisen dafür aus, das Arbeitszeitgesetz zu lockern: Die Tageshöchstzeit sollte durch eine Wochenhöchstzeit ersetzt werden – mit der Folge, dass Angestellte stärker selbst entscheiden können, wann sie arbeiten. Auch beim Rentenalter wünschen sich die Ökonomen mehr Flexibilität – verbunden mit der Hoffnung, dass die Deutschen, dann auch im Alter länger arbeiten. Außerdem sprechen sie sich dafür aus, Weiterbildungen und Lebenslanges Lernen stärker zu fördern. „Obwohl Weiterbildung im eigenen Interesse von Unternehmen und Beschäftigten liegt, kommt sie oftmals nicht zustande“, schreiben die Experten. Dabei sei das fatal. Schließlich würden sich aufgrund der stärkeren Digitalisierung in den nächsten Jahren noch viele Berufe und Branchen grundlegend wandeln.
Werden die Einkommen steigen?
So gut es der deutschen Wirtschaft derzeit geht, so haben doch viele Deutsche das Gefühl, dass das bei ihnen nicht ankommt. Schließlich sollte man annehmen: Wenn die Firmen dringend Mitarbeiter brauchen, sollten die Einkommen steigen. Doch wie das Gutachten zeigt, gilt dieses Gesetz derzeit nur begrenzt. Zum einen liegt das der Analyse zufolge an der hohen Zuwanderung. Firmen konnten zuletzt verstärkt Mitarbeiter in anderen EU-Staaten anwerben. Dadurch hätten viele Engpässe vermieden werden können. Gleichzeitig liegt es den Ökonomen zufolge aber auch an den Arbeitnehmern selbst, denen Freizeit schon mal wichtiger ist als Geld. So konnten Mitglieder der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) im Rahmen des letzten Tarifabschlusses zwischen mehr Urlaubstagen oder einer Lohnerhöhung wählen. Und: Mehr als die Hälfte entschieden sich für den Urlaub.
Was droht am Finanzmarkt?
Angetrieben wird die Konjunktur derzeit auch von der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, die für Deutschland viel zu locker ist. Statt in Kredite fließen die Milliarden, die die Notenbanker in den Markt pumpen, in den Aktienmarkt und in Immobilien. Der Sachverständigenrat sieht daher die „Gefahr überhöhter Vermögenspreise“, auch bei Wohnimmobilien. Deshalb hält Wirtschaftsweise Isabel Schnabel auch die Mietpreisbremse für falsch. „Diese macht es für Investoren unattraktiver, in Mietimmobilien zu investieren. Das Angebot wird so weiter verknappt." Dasselbe gelte für zu strenge energetische Anforderungen. Dabei bräuchten wir mehr Wohnraum. „Es müssten stattdessen mehr Flächen als Bauland ausgewiesen werden“, sagt Schnabel.
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