Borussia Dortmund blickt auf die nächste Saison: „Wir haben Freude und Sonnenschein vermittelt“
Carsten Cramer, Geschäftsführer von Borussia Dortmund, über die Vermarktung des Fußballs in Corana-Zeiten, Zuschauer im Stadion und Sponsorengelder
Herr Cramer, wie groß sind die Sorgen vor der neuen Saison?
Wenn Sie mich das vor vier Monaten gefragt hätten, wären die Sorgen sehr groß gewesen. Damals war es ja völlig undenkbar, eine Saison mit Zuschauern überhaupt in Erwägung zu ziehen. Deshalb überwiegt aktuell die Erleichterung darüber, dass wir nach den Spielen vor leeren Rängen, aufgrund der aktuellen Covid19-Situation, wieder über eine zumindest teilweise Öffnung der Stadien für Fans diskutieren können.
Nach dem Rahmenplan der Deutschen Fußballliga DFL könnten in Dortmund, dem größten deutschen Stadion, von 81 000 Plätzen bis zu 30 000 besetzt werden. Ist das eine Größenordnung, die bei dem erforderlichen Aufwand für den Corona-Schutz dem Club finanziell hilft?
Es geht um viele kleine Schritte zurück zur Normalität, und aufgrund der Abstandsregelung, die zwingend einzuhalten ist, planen wir nach derzeitigem Stand eher mit 12 000 bis 15 000 Zuschauern. Das motiviert uns alle und spornt uns an. Selbstverständlich haben wir die Hoffnung, irgendwann wieder in einem vollen Stadion zu spielen. Aber nochmal: Am 15. März, vor dem Derby gegen Schalke, hätte ich nicht gedacht, dass wir im September möglicherweise überhaupt vor Zuschauern spielen.
Trifft es zu, dass der BVB pro Heimspiel vier Millionen Euro verliert, wenn das Stadion leer ist?
Wenn man alles zusammenrechnet, dann ist diese Summe nicht unrealistisch.
Normalerweise verkauft der Club jeden Sommer 55 000 Dauerkarten und nimmt allein dadurch rund 20 Millionen Euro ein. Fällt dieses Geschäft für die Saison 2020/21 komplett aus?
Ja, wir haben den Verkauf quasi ruhen lassen. Wie wir Tickets verteilen würden, diskutieren wir gerade mit den Fan-Vertretern.
DFL-Chef Christian Seifert sieht den Profifußball vor „sehr, sehr großen Herausforderungen“ trotz der erst kürzlich abgeschlossenen TV-Verträge für 2021 bis 2025 im Volumen von 4,4 Milliarden Euro. Was kommt auf die Vereine zu?
Da ist sehr gute Arbeit geleistet worden von der DFL und von Christian Seifert persönlich. Mit Sky und Dazn haben wir starke Partner, dazu kommt in der Uefa Champions League noch Amazon. Im Free TV gibt es weiterhin eine ordentliche Präsenz der Bundesliga, und die Zweite Liga ist mit Sport 1 ab der übernächsten Saison auch wieder im Free TV. Wir sind also hinsichtlich der TV-Vermarktung gut aufgestellt und haben vermieden, dass weitere Anbieter zusätzliche Decoder und Abos erforderlich machen.
Nach den TV-Geldern ist das Sponsoring die größte Erlösquelle im Fußballgeschäft. Wie groß sind in diesem Bereich die Einbußen aufgrund der Geisterspiele?
Alle unsere Sponsoren haben sich extrem partnerschaftlich und loyal verhalten. Es wird beispielsweise anerkannt, dass Borussia Dortmund keine Kurzarbeit für seine 850 Mitarbeiter beantragt hat und bislang auch keine sonstigen staatlichen Hilfen in Anspruch nimmt. Alles in allem haben wir aufgrund von Corona – Stand heute – keine Sponsoren verloren.
Trotzdem dürften die Einbußen in die Millionen gehen.
Wir haben Glück gehabt, weil wir vor der Coronakrise die Vereinbarungen mit den Trikotsponsoren 1+1 und Evonik abgeschlossen hatten und bereits im vergangenen November einen neuen Ausrüstungsvertrag mit Puma unterschreiben konnten. Klar ist aber auch: Wenn wir bestimmte Zusagen aufgrund der Covid 19- Pandemie nicht einhalten können, gibt es Einbußen im Sponsoringbereich.
Nach München gibt es in Dortmund die meisten VIP-Plätze im Stadion, die viel Geld bringen – wenn die Leute auch in die Lounge dürfen.
Wir haben knapp 4000 Plätze im Hospitality-Bereich, und es ist selbstverständlich ein Schlag ins Kontor, wenn diese Einnahmen komplett wegbrechen. Ebenso wie im „normalen“ Zuschauerbereich werden wir hoffentlich einzelne VIP-Bereiche in der neuen Saison öffnen können.
Auch der Transfermarkt ist vom Virus betroffen. Gibt der überraschend niedrige Preis von 45 Millionen Euro, die der FC Bayern für Leroy Sané gezahlt hat, einen Hinweis auf das Ende der fetten Jahre?
Wir haben keinen Einblick in die Zahlen der Konkurrenz und kommentieren diese auch nicht.
Im vergangenen Sommer sind sowohl der BVB also auch die Bayern auf Reisen gewesen, um die Vermarktung in Nordamerika und Asien zu forcieren. Wie stark wirft der Ausfall solcher Trips in diesem Jahr das Marketing zurück?
Es ist doch klar, dass die Internationalisierung ins Stocken geraten ist – die Menschen haben gegenwärtig andere Sorgen. In vielen Ländern der Welt gibt es existenzielle Not, da sollte man sich als Profiverein nicht überhöhen. Wir haben aber auch festgestellt, wie der Spielbetrieb der Bundesliga nach der Wiederaufnahme im Mai auf den ausländischen Märkten größtes Interesse hervorgerufen hat. Ein bisschen Freude und Sonnenschein haben wir hier und da den Menschen vermitteln können.
Gibt es neue Erlösquellen, aus denen die Clubs in Corona-Zeiten schöpfen können?
Wir sind natürlich digital unterwegs. Sponsoring wird insgesamt digitaler mit der Möglichkeit, Menschen über mobile Devices individueller zu erreichen und sie zu begeistern. Doch wenn es vielen Unternehmen nicht gut geht und 6,8 Millionen Menschen allein in Deutschland in Kurzarbeit sind, dann ist das Bedürfnis auf Unterhaltung begrenzt. Alle sind gut beraten, erstmal eine stabile Seitenlange einzunehmen.
Und Geld zu sparen?
Sicher. Infrastrukturmaßnahmen gibt es weniger als im vergangenen Sommer, und wo wahrscheinlich ist, dass sich eine Maßnahme nicht rechnet, lässt man es sein oder verschiebt es.
In der Bundesliga liegt der Anteil des Personalaufwands im Schnitt bei 52 Prozent, beim BVB angeblich nur bei 42 Prozent. Wie ist das möglich bei dem teuren Kader?
Wir haben einen ausgewogenen Mix.
Und es gibt eine Verzichtsbereitschaft der Profis in der Pandemie?
Unsere Spieler haben den Ernst der Lage sehr schnell erkannt. Das war bei uns immer ein Miteinander! Wie genau sie zur Bewältigung der Krisen beigetragen haben, kommentieren wir nicht. Aber selbstverständlich wissen die Spieler, dass ihr Gehaltsverzicht einen anderen Effekt hat, als wenn wir 100 Leute, die im Merchandising arbeiten, auf Kurzarbeit setzen.
Im September geht die „Taskforce Zukunft Profifußball“ der DFL an den Start. Welche Erwartungen hat der BVB?
Es ist jetzt sicherlich der richtige Zeitpunkt für so eine Taskforce, doch mit öffentlich vorgetragenen Erwartungen halte ich mich zurück. Ich persönlich richte meine Arbeit derzeit zu 100 Prozent darauf aus, dass wir möglichst stabil am 11. September in den DFB-Pokal beziehungsweise am 18.9. in die neue Saison starten können.
Was halten Sie von einer Deckelung der Millionengehälter, wie sie hier und da angeregt wird?
Da werden jetzt plakativ öffentlich Einzelthemen auf den Tisch gelegt, was aber keinem hilft und auch keine Probleme löst. Wenn eine Grundsatzdiskussion, dann bitte eine ganzheitliche und nicht populistisch einzelne Gruppen betreffend. Wir möchten es hier in Dortmund schaffen, die Menschen mitzunehmen auf dem langen Weg zur Normalität. Wenn das gelingt, dann leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Zukunft des Profifußballs.
Aber wie sieht die Zukunft aus, wenn der Abstand zwischen Groß und Klein, Reich und Arm noch größer wird?
Wir haben in den vergangenen Monaten alle versucht, uns solidarisch zu verhalten und gemeinsam die Dinge auf den Weg zu bringen, die dann zur erfolgreichen Wiederaufnahme des Spielbetriebs geführt haben. Es ist jetzt der völlig falsche Zeitpunkt, um öffentlich zulasten Einzelner über Verteilungsfragen zu diskutieren und eine Neid- oder Missgunst- Debatte loszutreten. Ich glaube, die Bevölkerung hat dafür momentan 0,0 Verständnis.