Ende der Geistersaison in der Bundesliga: Der Profifußball ist ohne Fans kein Fußball mehr
Die Zuschauer in der Bundesliga sind mehr als nur Kulisse. Das haben die Geisterspiele in der Bundesliga gezeigt. Ein persönlicher Saisonrückblick.
Neulich bin ich gefragt worden, ob ich im Frühjahr, als das ganze Land stillstand und kein Ball mehr rollte, den Fußball eigentlich vermisst hätte. Um ehrlich zu sein: Nein, habe ich nicht. Aber ich vermisse den Fußball, seitdem in der Bundesliga wieder gespielt wird. Ich vermisse das, was das Erlebnis Fußball ausmacht. Nicht das Spiel an sich, sondern das Gesamtkunstwerk Fußball sozusagen.
„Niemand wird Fußballfan wegen des Fußballs“, hat das Magazin „11Freunde“ in seiner neuen Ausgabe geschrieben. „Man wird Fußballfan wegen der Fans.“ Man könnte auch sagen: Man wird Fußballfan wegen des Fanseins. Und man geht ins Stadion, weil man nur dort die Gemeinschaft der Fans wirklich spürt; weil man dort das Gefühl hat, Teil von etwas Größerem zu sein.
Letztlich ist es vielleicht dieses Gefühl, das uns den Fußball als Geschäft überhaupt noch ertragen lässt – und das die vergangenen Wochen vielen Fans so unerträglich gemacht hat, weil es nur noch ums Geschäft ging.
„Jemand, der sagt, Geisterspiele kommen nicht infrage, der muss sich keine Gedanken mehr machen, ob wir künftig mit 18 oder 20 Profiklubs spielen. Dann wird es keine 20 Profiklubs mehr geben“, hat Christian Seifert, der Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga (DFL), ganz zu Beginn der Coronavirus-Pandemie gesagt. „Es geht ums Überleben.“
Aus Sicht der DFL waren die 82 Geisterspiele der Bundesliga daher ein voller Erfolg. Sie haben das Geschäftsmodell Bundesliga gerettet und vermutlich einige Klubs vor der Insolvenz bewahrt.
Auch gemessen an den düsteren Prophezeiungen vor dem Re-Start ist alles erstaunlich glatt verlaufen: Das Hygienekonzept scheint funktioniert zu haben, es gab, soweit bekannt, keine neuen Infektionen unter den Spielern. Auch die unkontrollierbaren Zusammenrottungen der Ultras vor den Stadien, die viele Hardliner aus Polizei und Politik sich fast schon herbeigesehnt zu haben schienen, hat es nicht gegeben.
Und doch bleibt am Ende der ersten Geisterspielzeit ein schales Gefühl.
Der Fußball wirkt kraftlos
In den vergangenen Jahren ist oft über den Profifußball geklagt worden, über die zunehmende Abkopplung dieser hochbezahlten Branche von der Lebenswirklichkeit der normalen Menschen. Nie aber war der Fußball so abgekoppelt wie in den vergangenen Wochen, als viel von einer neuen Demut in der Branche die Rede war. Und selten hat er in seiner Wirkung in die Gesellschaft hinein so kraftlos gewirkt.
Wenn Spieltag ist, spürst du das in normalen Zeiten schon weit vor dem Anpfiff. Der Fußball strahlt auf die ganze Stadt ab. Die Leute reden über das Spiel, sie tragen Trikots und Schals, treffen sich vor dem Weg ins Stadion auf ein erstes Bier in der Kneipe an der Ecke, hoffen oder bangen.
Und jetzt? Nichts. Du siehst, hörst und spürst den Fußball nicht mehr, auch nicht seine – trotz aller Zumutungen – immer noch verbindende Kraft. Die Straßen zum Stadion, sonst hoffnungslos verstopft: leer wie eine Mondlandschaft. Wer ins Stadion darf, fühlt sich wie ein Außerirdischer.
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Drei Geisterspiele habe ich in den vergangenen Wochen im Stadion gesehen. Dreimal habe ich auf dem „Fragebogen für Einlasskontrolle im Rahmen der Durchführung des Sonderspielbetriebs der Bundesliga und 2. Bundesliga“ angekreuzt, dass „kein aktueller positiver Nachweis des Coronavirus SARS-CoV-2“ vorliegt. Dreimal habe ich mir am Eingang zum Stadion die Hände desinfiziert und anschließend Fieber messen lassen. Die neue Normalität.
Beim ersten Mal, beim Derby zwischen Hertha BSC und Union im Olympiastadion, habe ich mich noch unglaublich privilegiert gefühlt. Einer von knapp dreihundert in der riesigen Schüssel. Aber, ganz ehrlich: Geisterspiele im Stadion sind noch besch…eidener als Geistespiele am Fernseher.
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Das Bild, der Ton, nichts stimmt. Die Zuschauer sind eben nicht nur Kulisse, die dazu da sind, den „stimmungsvollen Rahmen“ zu liefern, sie sind ein konstitutiver Teil des Ganzen.
„Fußball ohne Fans ist nichts“
Auf den Rängen der leeren Stadien waren in den vergangenen Wochen diverse Transparente der aktiven Fans zu sehen, die sich am Profitstreben des Profifußballs abgearbeitet haben. Im Borussia-Park von Mönchengladbach zum Beispiel, direkt hinter dem Tor, dort wo sonst die Ultras stehen, hing bei jedem Geisterspiel ein Banner mit der Aufschrift „Fußball ohne Fans ist nichts“.
Über diese Aussage ist kontrovers diskutiert worden. Ist Fußball ohne Fans nicht immer noch – Fußball? Ein Spiel elf gegen elf, zwei Mannschaften, ein Ball, zwei Tore? So wie früher auf der Straße? Oder am Sonntag um elf in der Kreisliga?
Ein solcher Einwand verkennt den generellen Unterschied zwischen Fußball und Profifußball. Als wenn es im Profifußball um die kindliche Freude der 22 Spieler am Fußball als Spiel ginge. Nein, es geht um die Existenz eines Geschäftszweigs, der nach Jahren immer neuer Rekorde urplötzlich mit einer nie zuvor dagewesenen Krisensituation zurechtkommen musste. Das ist nicht ehrenrührig. Aber so ehrlich sollte man schon sein.
Für Fußballfans ist es nicht ungewöhnlich, dass sie „wir“ sagen, wenn sie von ihrem Verein sprechen. „Wir?“, fragen die Schlaumeier dann. „Hast du etwa auch mitgespielt?“ Seit Corona wissen wir: Ja, früher haben wir das getan. Früher durften wir noch mitspielen.