Familienunternehmer Lutz Goebel: "Wir dürfen keine neuen Länder in die EU aufnehmen"
Neue Staaten wie Serbien oder Albanien in die EU aufzunehmen, wäre derzeit falsch, sagt Lutz Goebel. Der Präsident des Verbands der Familienunternehmen spricht im Interview über die Folgen des Brexits, die Erbschaftsteuer und die Integration von Flüchtlingen.
Herr Goebel, die Briten haben für den Brexit, also den Austritt aus der EU, gestimmt. Wie würde ein solches Referendum in Deutschland ausfallen?
Auch knapp, aber knapp für einen Verbleib in der EU. Europa spielt für uns eine größere Rolle als für die Briten oder die Franzosen. Ob die Zustimmung zu Europa jetzt zu- oder abnimmt, hängt davon ab, wie die europäischen Staatschefs, die EU-Kommission und das Parlament auf den Brexit reagieren. Entweder es ändert sich jetzt gravierend etwas in Europa oder die AfD bekommt irgendwann 25 Prozent.
Die Sozialdemokraten wollen nach dem Brexit-Schock mehr Europa statt weniger. Das halten Sie für falsch?
Ja, das treibt die Menschen der AfD in die Arme. Noch engere finanzielle Verflechtungen in Europa kann niemand wollen. Ich finde, Außen-, Sicherheits- und Flüchtlingspolitik sowie die Terrorbekämpfung sollten auf europäischer Ebene geregelt werden, ja. Aber eine Vergemeinschaftung von Schulden und Risiken oder eine europäische Super-Regierung wie von Parlamentspräsident Martin Schulz gefordert, bekommt ein klares Nein von mir. Dennoch sollten wir in der EU enger mit den Franzosen, den Italienern und den Skandinaviern zusammen arbeiten und aufpassen, dass diese Länder in der EU bleiben.
Das klingt sehr nach der Idee von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, ein Kerneuropa zu bilden.
Wichtig ist: Wir dürfen aktuell keine neuen Länder in die EU aufnehmen. Die Türkei, Serbien, Montenegro, Albanien gehören momentan nicht in die EU. Wir müssen außerdem die Haushalte in der EU umschichten, wir brauchen weniger Geld für die Landwirtschaft, aber mehr für Bildung und Digitalisierung. Wir sollten zudem die Zahl der EU-Kommissare senken. Wer braucht 28 Kommissare, wenn die EU sich angeblich auf die großen Themen konzentrieren will? Es muss doch nicht jedes Mitgliedsland einen Kommissar stellen. Die Hälfte reicht auch. Und ich finde es wichtig, dass Regeln eingehalten werden. Es kann nicht sein, dass ständig die Maastricht-Kriterien verletzt werden, ohne dass das Konsequenzen hat. Außerdem sollten nicht länger alle Staaten alles zusammen machen, sondern man sollte in Clubs Themen voranbringen.
Wie soll das denn gehen?
Man bildet für bestimmte Interessen Gemeinschaften, denen Länder beitreten können oder auch nicht. Deutschland könnte etwa beim Thema Energiemarkt einer solchen Gruppierung beitreten, aber dafür bei der gemeinsamen Einlagensicherung außen vor bleiben.
Das ist doch genau die Art der Rosinenpickerei, die Angela Merkel ablehnt.
Nein, heute machen alle bei allem mit, das führt zu einer riesigen Umverteilung und einer völligen Sanktionslosigkeit bei Fehlverhalten.
Was bedeutet der Brexit für die deutschen Familienunternehmen?
Rund ein Drittel unserer Mitglieder rechnet mit negativen Konsequenzen, gut sechs Prozent haben schon konkrete Maßnahmen ergriffen, etwa ihren Vertrieb umgestellt.
Wie ist die Stimmung bei Ihren britischen Freunden. Was sagen die Familienunternehmer auf der Insel?
Die sind völlig entsetzt. Alle, die Geschäfte außerhalb Großbritanniens machen, haben Angst. Easyjet und Vodafone haben ja schon gesagt, dass sie ihre Zentralen verlagern wollen. Die Banken gehen sowieso in die EU.
Die britische Regierung will Firmen mit niedrigen Steuern dazu bringen, im Land zu bleiben. Kann das funktionieren?
Bleibt abzuwarten, ob es reicht, um die Nachteile, die mit einem Austritt aus der EU verbunden sind, aufzufangen. Aber grundsätzlich ist das attraktiv. Wir haben das in Deutschland ja auch so gemacht. Unter Kanzler Schröder wurde die Belastung der Kapitalgesellschaften durch Körperschaft- und Gewerbesteuer auf 30 Prozent gedeckelt. Das hat dann das Steueraufkommen in die Höhe getrieben. Die Briten wollen sich jetzt wie die Schweiz als liberaler Finanzmarkt außerhalb der Euro-Zone positionieren. Sie müssen ja was machen.
Viele Briten bedauern jetzt das Ergebnis.
Ja, vor allem die Jungen. Aber dann hätten sie wählen und sich engagieren sollen. Ich bin früher ja auch auf die Straße gegangen.
Warum?
(lacht) Wir haben uns damals solidarisch gezeigt mit dem Mädchengymnasium.
Das ist nicht gerade hohe Politik.
Ich weiß, aber wir waren früher wirklich viel politischer. Ich habe 1973 Abitur gemacht. Da wusste jeder in der Klasse, was der andere wählt. Wir haben viel politisch diskutiert. Heute ist das anders. Ich glaube, den jungen Leuten geht es zu gut.
Viele sagen, den Unternehmern geht es zu gut. Jetzt wird die Erbschaftsteuer für Firmenerben neu geregelt und Unternehmer zahlen auch nach der Reform kaum Steuern, wenn sie es geschickt anstellen. Ist die Erbschaftsteuer eine Dummensteuer?
Die Erbschaftsteuer zehrt die Substanz auf, sie trifft bereits versteuertes Vermögen. Für die Unternehmen ist das besonders kritisch. Deshalb muss man Betriebsvermögen anders behandeln als Privatvermögen. Die neuen Regelungen sind aber so kompliziert, dass sie kaum jemand versteht. Und einige sind auch schlecht. So werden Firmen viel zu hoch bewertet.
Die Länder haben jetzt den Vermittlungsausschuss angerufen.
Ja, einige Länder wollen Änderungen bei der Unternehmensbewertung, sie wollen Pensionsrückstellungen deckeln und die zinslose Stundung der Steuerschuld von zehn Jahren auf sechs Monate verkürzen. Das ist gefährlich. Das Geld muss ja aus dem Unternehmen entnommen werden.
Verstehen wir das richtig: Mit dem, was der Bundestag beschlossen hat, könnten Sie leben, mit den Änderungswünschen der Länder nicht?
Ja. Das gesellschaftliche Bild und die Realität klaffen auseinander. Viele Menschen denken, Unternehmer seien superreich. Aber das Geld steckt im Unternehmen und ist dort gebunden.
Wäre dann nicht eine Flat Tax besser? Ein niedriger Steuersatz von zehn Prozent, den jeder zahlt?
Wir dachten eher an fünf bis acht Prozent. Theoretisch ist das eine mögliche Lösung, sie erspart viel Streit und Geld für den Steuerberater. Aber wer schützt uns davor, dass die nächste Regierung den Steuersatz dann nicht kräftig anhebt, auf 15, 20 oder 25 Prozent?
Hat nicht jeder Unternehmer, der konnte, seinen Betrieb bereits an die Nachkommen übertragen – mit der bisherigen unternehmerfreundlichen Steuerregelung?
Das haben viele gemacht. Es sei denn, sie haben noch keinen geeigneten Nachfolger oder die Kinder sind noch nicht alt genug.
Was ist mit Ihnen?
Ich habe meinen beiden Töchtern 20 Prozent an meinem Unternehmen übertragen. Ich hoffe, in sechs Jahren übernimmt meine jüngere Tochter die Firma.
Was ist schlimmer: die Vermögen- oder die Erbschaftsteuer?
Die Vermögensteuer. Die fällt jedes Jahr an, ist teuer und aufwendig. Jedes Jahr muss das Vermögen neu bewertet werden. Ich kann nicht verstehen, dass die SPD diesen Vorschlag jetzt wieder aus der Mottenkiste geholt hat.
Vermissen Sie die FDP?
Ja, klar. Aber die ist ja auf dem Weg zurück. Im Bundestag ist die Stimme der Vernunft aus der Wirtschaft unterrepräsentiert.
Was ist mit dem Bundeswirtschaftsminister?
Sigmar Gabriel schwankt immerzu zwischen der wirtschaftlichen Realität und dem Druck der romantisierenden SPD-Funktionäre.
Eine aktuelle Untersuchung zeigt, dass die großen börsennotierten Dax-Unternehmen gerade einmal 54 Flüchtlinge beschäftigt haben, und zwar alle Unternehmen zusammen. Das ist nicht viel. Wie sieht es bei den Familienunternehmen aus?
Wesentlich besser. Zehn Prozent unser Unternehmen, die Hälfte davon in einem regulären Beschäftigungsverhältnis, beschäftigen Flüchtlinge.
Sie auch?
Ich nehme das gerade in die Hand. Ein befreundeter Unternehmer aus Mönchengladbach hat das schon getan. Er hat einen jungen Mann aus Eritrea eingestellt. Er wollte einen Syrer, aber die Arbeitsagentur hatte keinen.
Und dann?
Dann hat er den Mann an die Hand genommen und ist mit ihm zu allen Behörden gegangen. Eine Katastrophe. Die IT-Systeme der Behörden sind nicht kompatibel, jeder Flüchtling muss sich fünf Mal registrieren lassen. Und wenn der einen bezahlten Job hat, bekommt er keine Hilfen mehr und muss aus der Wohnung raus. Das ist doch der Wahnsinn. Wie soll das mit einer Million Flüchtlingen gehen? Unsere IHK Niederrhein hat jetzt zwei Lotsen eingestellt, um die Flüchtlingsarbeit zu managen. Wir haben vorgeschlagen, dass jedes Unternehmen, das einen Flüchtling aufnimmt, monatlich 1000 Euro Zuschuss bekommt, um damit einen Sprachkurs und eine individuelle Unterstützung durch einen eigens dafür abgestellten Mitarbeiter zu bezahlen.
Und?
Frau Nahles, unsere Arbeitsministerin, hat nein gesagt. Dabei wäre das viel billiger, als wenn die Menschen in der Sozialhilfe landen.