Diskussion um die Gemeinsame Agrarpolitik der EU: "Wir brauchen eine Gemeinwohlprämie für Landwirte"
Grün angestrichene Pseudo-Leitlinien helfen Landwirten nicht. Im Gegenteil. Dadurch wird der dringend benötigte Systemwandel verschleppt. Ein Gastbeitrag
Parlamentarier und Regierungschefs aus der gesamten EU ringen derzeit um den mehrere hundert Seiten langen Gesetzestext, der die wirkmächtige Landwirtschaftspolitik der Union für die nächsten sieben Jahre definiert. Wirkmächtig nicht nur aufgrund des dafür vorgesehenen Budgets von fast 40 Prozent des EU-Haushalts, wirkmächtig auch im Hinblick auf viele drängende Herausforderungen wie Klimakrise, Artenvielfalt, Wasser- und Bodenschutz, nachhaltige Ernährung oder auch die Struktur der ländlichen Räume, die in diesem Riesenpaket maßgeblich mitbestimmt werden.
Die Nahrungsmittel- und Futtermittelproduktion ist für etwa 27 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen und rund 70 Prozent der Verluste der biologischen Vielfalt verantwortlich. Auch in Deutschland ist der Artenschwund dramatisch. Das Rebhuhn, das sonst in den Kulturlandschaften allgegenwärtig war, ist trauriger Indikator für eine großflächige biologische Verarmung unserer Landschaft. Gleichzeitig machen uns Bodendegradation, Nitratbelastungen im Grundwasser und eine immer stärkere Anfälligkeit des Agrarsystems gegenüber dem Klimawandel zu schaffen.
All diese Entwicklungen sind mehr als nur traurige Zeugen einer massiven Umweltzerstörung, sie sind bedrohliche Risse im Fundament unserer Ökosysteme, die die Grundlagen unserer Ernährung sind. Jahrelang hat man immer wieder versucht Symptome des kranken Systems mit Technik und Chemie zu bekämpfen, doch nun ist die Krise da, unübersehbar und mit enormen Kosten für die Gesellschaft. Sollte dieses wirkungsreiche Milliardenprogramm aus öffentlichen Geldern nicht endlich in Richtung Nachhaltigkeit umzusteuern sein? So sehen das unter anderem die Umweltagentur der Europäischen Union und der EU-Rechnungshof.
Letzterer hat sowohl die letzte Agrarreform als auch den aktuellen Vorschlag der Kommission als nicht zukunftsfähig bewertet. Beide Institutionen kommen in ihren Zustandsberichten zur Biodiversität überein: Die Biodiversität auf landwirtschaftlichen Nutzflächen ist stark rückläufig; die Gemeinsame Agrarpolitik hat ihre Biodiversitätsziele krachend verfehlt.
Diese klaren Stellungnahmen fügen sich ein in einen Mehrklang aus unzähligen weiteren Gutachten und Warnungen aus der Wissenschaft, mehreren Beiräten des Bundeslandwirtschaftsministeriums und von Umweltverbänden, die für einen fundamentalen Systemwechsel der Förderpolitik plädieren. Darüber hinaus ist der Preisdruck auf die kleinen und mittleren Betrieben weiterhin enorm, denn die größtenteils Flächen-basierten Zahlungen kommen vor allem Großbetrieben und Landbesitzern zu Gute, und haben zusammen mit dem Preisdruck der Agrarmärkte viele kleinere Betriebe zum Aufgeben gezwungen.
Landwirte könnten der Schlüssel sein
Eine Befragung der Europäischen Kommission von 2018 ergab, dass 68 Prozent der Europäischen Bauern mehr für eine nachhaltige Landwirtschaft tun wollen. Schon jetzt gibt es eine Vielzahl von EU-Instrumenten, die dem Schutz der Ökosysteme dienen könnten. Allerdings wurden einige von ihnen bei der letzten Reform bis zur Unwirksamkeit verwässert. Notwendige Änderungen an dieser Förderpolitik wurden in den letzten Jahren immer wieder durch konservative Kräfte blockiert.
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Das mantraartig vorgebrachte Argument, man wolle die Bauern nicht zu sehr belasten, ist mehr als nur fadenscheinig. Denn durch grün angestrichene Pseudo-Leitlinien ohne Wirkung ist keiner Landwirtin ein Gefallen getan. Ganz im Gegenteil wird durch diese Verzögerungstaktik der dringend benötigte Systemwechsel hinausgeschleppt und Ökosysteme werden immer labiler. Dadurch werden Umstellungen umso schwieriger. Es braucht endlich eine langfristige ambitionierte Strategie, die Ökosysteme wieder stabilisiert und die den Landwirten Planungssicherheit bietet. Das Ziel muss eine Ökologisierung der Landwirtschaft mit auskömmlichen fairen Preisen sein. Statt Output und Flächenbesitz sollen Gemeinwohl-orientierte Leistungen entlohnt werden, die Klima, Boden, Wasser, Rebhuhn und Co. schützen – mit einer Zukunftsperspektive für Landwirte.
Wie ein grundlegender Systemwechsel aussehen könnte
Für die neue Förderperiode der Agrarpolitik brauchen wir deshalb starke Grundanforderungen für die Auszahlungen der Gelder in der gesamten EU. Denn nur ein starker Standard in der gesamten EU kann einen nachhaltigen Wandel einleiten. Darüber hinaus müssen alle Landwirte für wirkungsvolle, starke ökologische Leistungen durch eine Gemeinwohlprämie honoriert werden. Zumindest von der Vision her will das ja auch der Green Deal.
Das neue Nachhaltigkeits-Flaggschiff der EU-Kommission setzt mit der Farm-to-Fork und der Biodiversitätsstrategie wichtige Zielmarken zur Reduzierung von Dünger, Pestiziden und Antibiotika mit gleichzeitiger Ausweitung der ökologischen Landwirtschaft auf 25% der EU-Agrarfläche. Das ist gut so, denn der Ökolandbau ist nachweislich die richtungsweisende Antwort auf die genannten Probleme. Neben vielen internationalen Studien der letzten Jahre hat das Staatliche Thünen Institut in einem groß angelegten Forschungsbericht erst kürzlich dem Ökolandbau wieder eine bedeutend höhere Performance in Punkto Arten-, Wasser- und Bodenschutz attestiert. Ein Anbausystem das krisenfester ist und damit auch zur Ernährungssicherung beiträgt.
Die richtige und wichtige Vision des Green Deals kann aber nur dann eine Wirkung entfalten, wenn sie sich auch in der kostspieligen EU-Agrarpolitik niederschlägt. Die Haltung der Konservativen, Sozialisten und Liberalen im EU-Parlament zeigen jedoch, dass der konstante Lobbybeschuss seitens der aktuellen Profiteure Wirkung zeigt und der Green Deal in der Reform der Agrarpolitik hinten runterfallen wird.
Klöckner und ihre Kollegen torpedieren die Ambitionen der EU-Kommission
Die kürzlich vorgestellten Kompromissvorschläge der Deutschen Ratspräsidentschaft zur Agrarpolitik unter Leitung von Julia Klöckner sind nicht nur unambitioniert, sie torpedieren systematisch sämtliche sinnvollen Ziele der Farm-to-Fork- und Biodiversitätsstrategie und sogar des schwachen Kommissionsvorschlags. Damit wird dem Wunsch der europäischen Bürger und vieler Landwirte nach nachhaltigeren Praktiken eine klare Absage erteilt. Der hoffnungsvolle Keimling, der in Farm-to-Fork anklingt, wird durch unheilige Allianzen im Europaparlament erstickt.
Ähnlich agieren die CDU/CSU, SPD und Liberale auch im Europäischen Parlament. Der schwach konzipierte Gesetzesvorschlag der EU-Kommission wird hier gnadenlos weiter verwässert. Das Resultat ist weitere sieben Jahre in die falsche Richtung. Stets mit dem Wissen, dass den Landwirt*innen eine Anpassung auf die Erfordernisse unserer Zeit erheblich erschwert wird. Mehr Risse im Fundament würden folgen - keine besonders guten Zukunftsaussichten für Klima, Wasser, Boden, Rebhuhn und Co.
Auch wenn die Vorlage auf EU-Ebene schwach ausfällt: Wir können in Deutschland dennoch etwas bewirken: Wir Grüne haben einen Plan vorgestellt, der in einer ersten Etappe (von 2023-2024) eine ambitionierte Grüne Architektur vorsieht. Anschließend (2025-2027) sollen die zielorientierten Ausgaben für öffentliche Leistungen kontinuierlich steigen. Zu Beginn der neuen Förderperiode (2028-2030) soll ein Systemwechsel vollzogen werden, der ab 2031 vollständig umgesetzt ist. Die Säulenstruktur soll dann aufgelöst sein, so dass eine grundlegende Transformation hin zur Honorierung gesellschaftlicher Leistungen vollzogen ist.
Wir werden uns auf allen Ebenen dafür einsetzen, dass die Zukunft der Agrarpolitik grüner wird. Dieser Plan für einen konsequenten Systemwechsel ist im Sinne unserer Bäuerinnen und Bauern, der Artenvielfalt und der zukünftigen Generationen.
Renate Künast ist Sprecherin für Ernährung und Tierschutz von B‘90/Die Grünen im Bundestag und ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin. Sie saß vor knapp 17 Jahren für die Bundesrepublik als Ministerin am Verhandlungstisch. Martin Häusling ist heute für diese Reform als Verhandlungsführer der Grünen/EFA im Europaparlament dabei. Er ist agrarpolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament und seit 40 Jahren Bio-Landwirt.
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