Rentenpflicht für Freiberufler: Wie sollen Selbstständige künftig fürs Alter vorsorgen?
Freiberufler werden im Alter oft zum Sozialfall. Die Bundesregierung will sie mit einer Reform in die Rentenversicherung zwingen. Doch vieles ist noch unklar.
Noch ist Bundesarbeitsminister Hubertus Heil mit der Grundrente beschäftigt, da steht ihm bereits die nächste, nicht weniger schwierige Reform ins Haus: die Rente für Selbstständige. Dahinter steht ein drängendes Problem. Von den rund vier Millionen Selbstständigen in Deutschland sind drei Millionen nicht für das Alter abgesichert.
Das soll sich ändern, auch sie sollen sich versichern müssen. Im Koalitionsvertrag hat sich Schwarz-Rot darauf verständigt, auch Heil will es. „Die Einbeziehung in das System der Alterssicherung ist eine große sozialpolitische Reform“, hatte der SPD-Politiker vor einigen Monaten in einem Interview gesagt.
Im Laufe des Jahres will das Ministerium einen Entwurf vorlegen. Nach Tagesspiegel-Informationen kann das bereits nach der Sommerpause der Fall sein. Seit sechs Monaten arbeitet das Ministerium an dem Projekt, zwei Fachrunden mit Vertretern von Wirtschaftsverbänden, Arbeitgebern und Arbeitnehmern haben bereits stattgefunden, zwei weitere sind für September angesetzt. Die Arbeiten sind sehr weit fortgeschritten, wissen Insider.
Viele Selbstständige sind im Alter auf Grundsicherung angewiesen
In einem sind sich Arbeitgeber, Gewerkschafter, SPD- und Unionspolitiker einig: Es muss etwas geschehen. „Neben Alleinerziehenden und Menschen mit Erwerbsminderungen sind es auch Solo-Selbstständige, die im Alter besonders häufig auf Grundsicherung angewiesen sind“, sagt Carsten Linnemann, Vorsitzender der Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU.
Im Alter werden die Unternehmer zu Sozialfällen, die vom Staat unterstützt werden müssen. Auch Rentenexperte Gert G. Wagner sieht das so: „Es ist grundsätzlich vernünftig, dass Selbstständige sich rentenversichern müssen. Gerade „kleine“ Selbstständige und insbesondere viele Solo-Selbstständige laufen sonst Gefahr, im Alter zum Armutsfall zu werden“, sagte der Vorsitzende des Sozialbeirats der Bundesregierung.
Gut 2,3 Millionen dieser Selbstständigen gibt es in Deutschland. Sie betreiben Nagelstudios, Kurierdienste oder schreiben Produktbeschreibungen für Onlinehändler, Mitarbeiter haben sie nicht.
Viele kommen mit dem, was sie verdienen, nur knapp über die Runden. Und selbst wenn das Geschäft im Laufe der Zeit anzieht, wird es schwierig mit der Altersvorsorge. „Am Anfang haben sie kein Geld, dann machen sie sich keine Gedanken, und dann sind sie 40 oder 50 Jahre und damit zu alt, um sich eine private Altersvorsorge leisten zu können“, sagt einer, der solche Fälle aus seiner Rentenberatung kennt. Besonders viele Fälle gibt es in der Hauptstadt, berichtet Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. An der Spree liegt der Anteil der Selbstständigen weit über dem Bundesdurchschnitt, und viele von ihnen arbeiten in der schlecht bezahlten Kreativbranche.
Nach der Vorgabe des Koalitionsvertrags sollen künftig alle Selbstständigen in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sein. Ausgenommen sind Freiberufler wie Ärzte, die in berufsständischen Versorgungswerken abgesichert sind, und die 305000 Menschen, die aus verschiedenen Gründen schon jetzt der gesetzlichen Rentenversicherung angehören. Auf Drängen der Union enthält der Koalitionsvertrag aber eine Opt-out-Regelung: Wer nicht in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen will, soll eine andere geeignete Vorsorgeart wählen können, solange diese insolvenz- und pfändungssicher ist und zu einer Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus führt.
Offen ist, wie Freiberufler vorsorgen sollen
Die Frage ist nun: Welche Alternativen lässt man zu? Während die Arbeitgeber auch Immobilien, Aktienbesitz oder Erspartes gelten lassen wollen, pochen die Gewerkschaften auf eine Versicherungslösung, etwa in Form privater Renten- und Lebensversicherungen. Favorit ist die Rürup-Rente, die einst extra für Selbstständige erfunden worden ist und die schon jetzt gegen Insolvenz und Pfändung geschützt ist. Mehr als 24.000 Euro kann man im Jahr steuersparend ansparen, derzeit gibt es rund 2,2 Millionen Verträge.
Richtig beliebt ist das Produkt aber nicht. Im vergangenen Jahr ist das Wachstum im Neugeschäft um gut sechs Prozent zurückgegangen. Einen Verkaufsschub könnte die Basisrente daher gut gebrauchen. Allerdings wünschen sich die Versicherer ein unkompliziertes Prüf- und Meldeverfahren, weil die Einkünfte von Selbstständigen erfahrungsgemäß schwanken.
Die nächste Frage ist noch schwieriger: Wen soll die Versicherungspflicht betreffen? Für Heil wäre es am leichtesten, wenn seine Reform nur für neue Fälle gilt und Menschen, die bereits jetzt selbstständig sind, außen vor lässt.
Allerdings hätten diese dann einen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber den Jungen, die künftig rund 20 Prozent ihres Gewinns als Beitrag in die Rentenkasse einzahlen müssten. Carsten Linnemann will das verhindern. „Wer keine Vorsorge für das Alter trifft, spart Ausgaben und setzt so Marktpreise, die andere nicht bieten können. Das hat nichts mit einem fairen Wettbewerb zu tun“, sagte der Unions-Fraktionsvize. Wichtig ist Linnemann zudem, dass Gründer in den ersten Jahren, in denen sie ihr Geschäft aufbauen, versicherungsfrei bleiben.
Rentenexperte Wagner rechnet jedoch damit, dass es im neuen Gesetz eine Altersgrenze geben wird. „Für einen Selbstständigen, der 50 Jahre oder älter ist, macht es nicht viel Sinn, erstmals in die Rentenversicherung einzuzahlen.“ An der Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung wird die Einbeziehung der Selbstständigen seiner Meinung nach kaum etwas ändern. „Kurzfristig würden die Beitragseinnahmen steigen, aber dafür werden später höhere Rentenauszahlungen fällig.“ Da voraussichtlich nicht alle Selbstständigen einbezogen werden würden, „werden die Beitragseinnahmen auch nicht hoch sein“, gibt Wagner zu bedenken.