103.000 Jobs im Schiffbau: Wie sich die deutschen Werften in der Coronakrise über Wasser halten
Der Kreuzfahrtschiffbau steht still, Rüstungsfirmen schließen sich zusammen. Doch die Branche glaubt an ihre Zukunft.
Treffender kann man es nicht ausdrücken. „Das Virus unterbricht radikal den aufstrebenden Markt“, klagt Daniel Friedrich, Chef der IG Metall an der Küste. Nach vielen bitteren Jahren in der Nachwendezeit hatte der deutsche Schiffbau zuletzt eine Blüte erfahren, die sich vor allem mit der Beliebtheit von Kreuzfahrten erklärt.
Gut 103.000 Personen verdienten im vergangenen Jahr ihren Lebensunterhalt im Schiffbau: 35.000 direkt bei den Werften, der große Rest bei diversen Lieferanten. Ein Großteil von ihnen befindet sich seit Wochen in Kurzarbeit, und es nicht ausgemacht, ob Entlassungen folgen. Die IG Metall ruft nach staatlicher Hilfe in Form von Krediten, Bürgschaften und staatlichen Beteiligungen. Ein Überblick.
MV Werften
Die MW Werften in Wismar, Warnemünde und Stralsund bauen riesige Kreuzfahrtschiffe für den chinesischen Markt. Die gerade im Dock liegenden Riesen „Global 1“ und „Global 2“ können fast 10.000 Kreuzfahrer aufnehmen – jeweils. „Global 1“ ist schon weit fortgeschritten und „Global 2“ wurde begonnen.
Die Produktion läuft im Verbund: Es beginnt im Dock in Warnemünde, anschließend geht es weiter in Wismar. In Stralsund hat MV ein nobles Kreuzfahrtexpeditionsschiff so gut wie fertiggestellt. Ausgestattet mit großen Kabinen für wohlhabende Reisende soll das Schiff zu Pinguin-Besichtigungstouren in die Antarktis aufbrechen.
Die MV Werften gehören seit 2016 zur Genting Gruppe aus Hongkong, ein Entertainment und Reisekonzern, der sich für seine Kreuzfahrtschiffe die Werftengruppen an der Ostsee plus die Lloyd-Werft in Bremerhaven mit insgesamt gut 3000 Beschäftigten zugelegt hat. Es wurde kräftig investiert und die Belegschaft ausgebaut. Dann kam das Virus und an der Ostsee fragt man sich, ob Genting die „Global“- Schiffe überhaupt noch will. Gebraucht werden sie jedenfalls in absehbarer Zeit nicht.
Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern verhandelt mit dem Bund und Genting über Hilfen von rund 600 Millionen Euro. Für die Zulieferer, die von Genting/MV nicht mehr bezahlt werden, hat das Land bereits ein Darlehensprogramm aufgelegt. Womöglich steigt auch der neue Wirtschaftsstabilisierungsfonds bei MV ein, über den sich der Bund auch an der Lufthansa beteiligen will. An die Zukunft der Kreuzfahrtindustrie glaubt jedenfalls die IG Metall und verweist auf Studien, wonach die Zahl der Kreuzfahrer bis 2020 um zehn auf 30 Millionen steigt. Darauf hofft auch der Branchenprimus aus Papenburg.
Meyer Werft
Die Lage in Papenburg an der Ems ist so bedrohlich wie an der Ostsee. Die Stammbelegschaft der Meyer Werft von rund 3500 Beschäftigten wird nicht zu halten sein, obgleich die Aufträge bis 2023 reichen. „Der Werftstandort in Papenburg ist für die Region Emsland/Ostfriesland und das gesamte Land Niedersachsen von herausragender Bedeutung“, sagt Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU). Neben Papenburg gehört eine Werft in Finnland sowie die Neptun-Werft in Warnemünde (für Flussschiffe und als Zulieferer für Kreuzfahrtschiffe) zum Meyer-Konzern.
Die bisherige Rettungsstrategie der Politik: Man hilft den Reedern, die die Schiffe bestellt haben, und rettet so die Werft. Mit dem Instrument der „Debt Holiday“ (Schuldenferien), können die Reeder die Tilgung ihrer vom deutschen Staat garantierten Kredite strecken. Das soll helfen, den Zeitraum bis zur Auslieferung der Schiffe respektive Wiederbelebung der Kreuzfahrtbranche zu überbrücken.
Lürssen und German Naval Yards (GNY)
Die Lürssen Werft aus Bremen, ebenso wie Meyer ein Familienunternehmen, baut Yachten und Kriegsschiffe. Durch Akquisitionen, unter anderem Blohm & Voss in Hamburg, wuchs die Belegschaft auf 2800. Zur Gruppe gehört auch die Peene-Werft in Wolgast, die einst wegen des Baus von Fregatten für Saudi-Arabien ins Gerede gekommen war.
Lürssen hat vor zehn Tagen den Zusammenschluss des maritimen Geschäfts mit German Naval Yards (GNY) bekannt gegeben. Zu GNY gehört eine Werft in Kiel mit dem Überwasserschiffbau der HDW und der Yachthersteller Nobiskrug in Rendsburg. Eigentümer von GNY ist die französisch-libanesische Privinvest- Gruppe.
„Die Bundeswehr schätzt GNY als zuverlässigen Partner bei Planung, Bau und Wartung von Schiffen“, heißt es bei der Werftengruppe mit ihren knapp 1000 Mitarbeitern. Alle Aktivitäten im militärischen und behördlichen Überwasserschiffbau sollen künftig in ein gemeinsames Unternehmen unter Führung der Lürssen-Gruppe eingebracht werden.
Die Bundesregierung begrüßt den Zusammenschluss auch deshalb, weil er Rechtssicherheit für eines der größten Beschaffungsprojekte der vergangenen Jahre verspricht: Bei der Ausschreibung für das Mehrzweckkampfschiff MKS 180 der Bundesmarine war GNY einer holländischen Gruppe unterlegen und hatte sich dagegen juristisch gewehrt. Da aber Blohm & Voss, die im neuen Joint-Venture von Lürssen und GNY eine tragende Säule sind, beim Bau des MKS beteiligt ist, hat sich die Klage von GNY erledigt. Und der bis zu fünf Milliarden Euro große MKS-Auftrag kann abgearbeitet werden. Aber was macht jetzt TKMS?
Thyssen-Krupp Marine Systems (TKMS)
Mit rund 3500 Beschäftigten ist TKMS nur noch im Unterwasserschiffbau tätig, der Überwasserschiffbau, auf demselben Werftgelände in Kiel angesiedelt wie der U-Boot-Bau, wurde an GNY verkauft – eine der vielen unglücklichen Entscheidungen im Ruhrkonzern, der seit Jahren in der Krise feststeckt. Vor gut vier Jahren verlor TKMS im Auswahlverfahren zum Bau von zwölf U-Booten für Australien gegen den französischen Konkurrenten DCNS.
Nachdem dieses Riesengeschäft im Volumen von deutlich über 30 Milliarden Euro nicht zustande gekommen war und der Mutterkonzern in Essen mehr oder weniger alles verkauft, was Geld bringt, sucht TKMS einen Partner. Mit Lürssen wurde lange verhandelt, doch der Bremer entschied sich dann für GNY. Womöglich fädelt die Bundesregierung noch einen Dreierbund mit TKMS ein, denn der Marineschiffbau gilt als eine Schlüsselindustrie. U-Boote wie Überwasserkriegsschiffe hätte die Regierung gerne von deutschen Werften.
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