Wenn Steuern Geld unfair verteilt werden: Wie niedrige Unternehmenssteuern Ungleichheit verstärken
In einem neuen Buch analysieren Forscher, wie ein Mindeststeuersatz für Unternehmen zu mehr Steuergerechtigkeit beitragen kann. Eine Rezension
Die Ungleichheit in Deutschland liegt auf einem Rekordniveau. Das ist die zentrale Erkenntnis einer neuen Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, die am vergangenen Montag vorgestellt wurde. Die Steuerexperten Emmanuel Saez und Gabriel Zucman, Wirtschaftsprofessoren an der Universität Berkeley, spüren in ihrem Buch „The Triumph of Injustice“ den Ursachen der steigenden Ungleichheit in den USA nach. Ihre Analyse hat zahlreiche Überschneidungen mit der Situation in Deutschland.
Laut den Autoren ist das Steuersystem ein wichtiger Faktor für steigende Ungleichheit. Trugen die Vermögenden und Unternehmen in den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit noch stark zum Gemeinwohl bei, kam es seit den 1980er Jahren zur steuerlichen Wende. In vielen westlichen Ländern sank der Spitzensteuersatz massiv. Die Unternehmenssteuern wurden mehrmals gesenkt. Die Steuerbelastung ärmerer Haushalte blieb konstant oder stieg durch die Erhöhung von Verbrauchssteuern sogar. „1970 zahlten die reichsten Amerikaner noch doppelt so viel Steuern wie die Arbeiterklasse. Nach Trumps Steuerreform von 2018 zahlen Milliardäre zum ersten Mal in den letzten 100 Jahren weniger Steuern als Stahlarbeiter, Lehrer und Rentner“, so die Autoren.
Der Glaube hinter diesen Steuerreformen: Was Reichen und Unternehmen nützt, komme der ganzen Gesellschaft zugute. Die Globalisierung erfordere eine geringe Steuerbelastung, damit einheimische Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben und Vermögende weiter investieren. In den USA, Deutschland und zahlreichen westlichen Ländern sanken die Unternehmenssteuern seit den 1980er Jahren von Raten von 50 bis 60 Prozent auf teilweise weit unter die Hälfte. Geht dieser internationale Steuerwettlauf in gleichem Tempo weiter, sinken die Unternehmenssteuern bis 2050 auf null Prozent.
Konzernlenker sehen Steuern zunehmend als Kostenfaktor. Legale Steuerschlupflöcher und auch gesetzeswidrige Verschiebung von Gewinnen in Steueroasen wurden genutzt, um die Steuerabgaben zu minimieren. Die Folge: Mittlerweile werden 40 Prozent aller Gewinne international agierender Firmen in Steueroasen wie Irland, den Cayman Islands und Luxemburg verbucht.
Hier kommt die Steuervermeidungsindustrie ins Spiel. Steuerberatungsunternehmen wie KPMG, Deloitte, PricewaterhouseCoopers und Ernst & Young entwerfen komplexe Steuervermeidungskonzepte und verkaufen sie an multinationale Konzerne. Gleichzeitig arbeiten sie eng mit Steueroasen wie Luxemburg zusammen, um deren Angebote an Steuervermeider zu verfeinern, wie die Enthüllungen der LuxLeaks zeigten. „Diese Konzeption von Strategien zur Steuervermeidung unterscheidet sich kaum vom Verkauf von Einbruchswerkzeug“, schreiben Saez und Zucman.
Steuervermeidungsindustrie ist weltweit tätig
Der Aufstieg der Steuervermeidungsindustrie ist kein Zufall, so die Autoren. Vielmehr sei die Industrie seit der Präsidentschaft von Ronald Reagan „staatlich genehmigt“ worden. Bis in die 1970er Jahre hätten die Regierungen Steuervermeidung massiv bekämpft. Unter Reagan wurde sie dann als notwendig erachtet, um die Profite und Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Unternehmen zu maximieren. Von den USA aus trat die Steuervermeidungsindustrie ihren Siegeszug um die Welt an. Laut Richard Murphy, Professor an der Universität London und ehemaliger KMPG-Mitarbeiter, ist sie mittlerweile in jeder Steueroase der Welt aktiv. Auch in Deutschland bieten sie ihre Dienstleistungen an.
Die Autoren räumen auch mit Steuermythen auf. Niedrige Vermögenssteuersätze sickern nicht zu den Ärmsten durch. Und die Höhe der Unternehmenssteuern beeinflussen nicht die Investitionsentscheidungen der Unternehmer. Ganz im Gegenteil: Die hohen Spitzensteuersätze der Nachkriegszeit hätten zu einer abnehmenden Ungleichheit geführt. Die Investitionen waren auf einem historischen Höchststand, als auch die Unternehmenssteuersätze bei heute fast unvorstellbaren 50 Prozent lagen.
Die Autoren sind optimistisch, dass die Staaten ihre Steuersysteme wieder gerechter gestalten werden. Saez und Zucman schlagen höhere Spitzensteuersätze und eine Vermögenssteuer vor. Sie fordern Sanktionen gegen Steueroasen, das Schließen von Steuerschlupflöchern sowie die Bekämpfung der Steuervermeidungsindustrie. Zudem sollen die G20 ernst machen und den Vorschlag eines weltweiten Mindeststeuersatzes für Unternehmen umsetzen. Die Autoren schlagen einen Mindeststeuersatz von 25 Prozent vor.
Steuerflucht solle sich nicht mehr lohnen dürfen
Entscheiden sich einige Staaten, ihre Unternehmenssteuer unter 25 Prozent zu belassen, könnten andere Länder die Differenz zu den 25 Prozent Mindeststeuersatz einsammeln, so der Vorschlag von Saez und Zucman. Alle Staaten hätten dann einen Anreiz, die Mindeststeuer umzusetzen, da sie sonst Steuereinnahmen an andere Staaten verlieren würden. Steuerflucht würde sich nicht mehr lohnen, da die Hochsteuer-Länder nachträglich Steuern einziehen würden.
Doch es ist fraglich, ob sich die G-20-Finanzminister auf einen Steuersatz von 25 Prozent einigen können. Experten des Netzwerks Steuergerechtigkeit berichten, dass auf G-20-Ebene über Sätze zwischen zehn und 15 Prozent diskutiert wird. Unklar ist auch, ob die Steuervermeidungsindustrie ihren Einfluss geltend machen und entscheidende Umsetzungsdetails des Mindeststeuersatzes in ihrem Sinne beeinflussen wird.
Dem Buch hätte ein Kapitel über den politischen Einfluss von Wirtschaftsverbänden und der Steuervermeidungsindustrie gutgetan. Zwar sprechen Saez und Zucman den Einfluss dieser Akteure kurz an. Doch das ganze Ausmaß ihrer Lobbyarbeit wird kaum ersichtlich. Wer dies nachlesen will, wird beim ehemaligen Finanzminister Nordrhein-Westfalens und Kandidaten um den SPD-Vorsitz, Norbert Walter-Borjans („Steuern – der große Bluff“), bei Markus Meinzer („Steueroase Deutschland“) oder bei Richard Brooks („Bean Counters“) fündig.
Walter-Borjans beschreibt eingehend, wie der Lobbyeinfluss zu einer Diskursverschiebung in Steuerfragen führt und die Interessen der Vermögenden zu denen der Allgemeinheit umdefiniert werden. Meinzer erläutert, dass diese Diskursverschiebung zu einem massiven Abbau in den Steuerverwaltungen einiger Bundesländer führte. Der Staat entmachtet sich also selbst im Kampf gegen Steuertrickser. Eine Folge: Seltenere Betriebsprüfungen bei Vermögenden, wie eine kleine Anfrage der Linksfraktion zeigt. Trotz der kleinen Schwächen bleibt „The Triumph of Injustice“ ein unverzichtbares Buch und ein wertvoller Beitrag in der Debatte um Steuervermeidung, den globalen Steuersenkungswettlauf und Lösungen zur Überwindung dieser Probleme.
Emmanuel Saez/Gabriel Zucman: „The Triumph of Injustice: How the Rich Dodge Taxes and How to Make Them Pay“, Norton and Company, 288 Seiten, 22,99 Euro.
Nico Beckert
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