Kampf um den SPD-Vorsitz: Zwei, die für eine Überraschung gut sind
Eine Gefahr für Olaf Scholz: Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken haben eine Chance.
Norbert Walter-Borjans kennt sich mit Zahlen aus, daher muss er seine „Partnerin“ Saskia Esken (58) gleich mal korrigieren. Nicht am 13. August habe sie ihn kontaktiert, um zu fragen, ob beide gemeinsam für den SPD-Vorsitz kandidieren wollen. „Der 17. August war es.“ Walter-Borjans antwortete auf die SMS der Bundestagsabgeordneten aus Baden-Württemberg so: „Wir können gerne reden. Aber ich muss jetzt erst mal eine Radtour machen.“
Mit 66 Jahren will es der frühere Finanzminister Nordrhein-Westfalens, den die Genossen „Nowabo“ nennen, noch mal wissen. Und er kann vor allem einem gefährlich werden: Vizekanzler Olaf Scholz. Wenn am Mittwoch in Saarbrücken mit der ersten von 23 Regionalkonferenzen das Casting um die Nachfolge von Andrea Nahles beginnt, wird über allem auch eine Frage schweben: Muss die SPD raus aus der großen Koalition? Das erst vor zwei Wochen gebildete Duo zählt neben Scholz/Klara Geywitz und Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius, der mit Petra Köpping antritt, plötzlich zu den Favoriten.
Esken kommt bei der Vorstellung ihrer Pläne in einem Berliner Hotel gleich zu dem Punkt, der das Ansehen ihres Mitstreiters ausmacht. Der Aufkauf „einer Steuer-CD“. „Da steht einer als Robin Hood für diejenigen, die bereit sind, ihren ehrlichen Steuerbeitrag zu leisten“, sagt sie.
Walter-Borjans betont: „Eine? Es waren elf Steuer-CDs.“ Die hätten 19 Millionen Euro gekostet und dem Staat 7,2 Milliarden an Einnahmen gebracht. Nun ist seine übrige Bilanz, etwa in der Haushaltspolitik Nordrhein-Westfalens, nicht ganz so rosig, aber der frühere Sprecher von Johannes Rau verkörpert die Sehnsucht nach einem Sozialdemokraten von altem Schrot und Korn.
Die Unterstützung vieler Jusos haben sie sicher
Und auch wenn beide nicht mehr die Jüngsten sind, haben sie sehr wichtige Unterstützer, die vieler Jusos, die ein knappes Fünftel der SPD-Mitglieder ausmachen, allen voran die von Juso-Chef Kevin Kühnert. Die jungen Genossen hätten sie ermuntert, zu kandidieren. „Das war ein Grund, es zu machen“, sagt Walter-Borjans. Ein Drittel der Menschen in Deutschland wolle sozialdemokratische Politik, aber nicht mal die Hälfte davon sehe das mit der SPD verbunden. Er und Esken distanzieren sich klar von Bundesfinanzminister Olaf Scholz.
Der tritt zwar inzwischen auch für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer ein. Doch das genügt den beiden nicht. Sie stellen die „schwarze Null“, den Haushalt ohne neue Schulden, infrage, um mehr Geld in Bildung, Kommunen und Infrastruktur investieren zu können. „Wir haben das Standhafte gemeinsam, das Gemeinwohlorientierte“, sagt Esken. „Die Gesellschaft driftet auseinander, da steckt eine große Gefahr drin.“
Walter-Borjans fügt hinzu, neben einer stärkeren Besteuerung der höchsten Einkommen dürften beim Klima die Lasten nicht auf künftige Generationen abgewälzt werden. Die Steuerpolitik der letzten Jahre habe dazu geführt, „dass oben und unten immer weiter auseinanderdriftet“.
Und beide stellen ganz offen die große Koalition infrage – denn die verträgt sich nicht mit ihrem Ansatz, wieder SPD pur zu bieten. Immer wieder fällt das Wort „Glaubwürdigkeit“. Seit der Kanzlerschaft Gerhard Schröders habe es in 14 Jahren bereits zehn Jahre eine große Koalition gegeben. Das habe zur Verwässerung des Kurses der Partei geführt. „Wenn man den Verlauf der SPD-Werte in dieser Zeit betrachtet, spricht das Bände.“
SPD sei gefangen im Korsett der Groko
Die SPD sei gefangen im Korsett der Koalition, gerade bei der Frage einer gerechteren Verteilung in Deutschland – Walter-Borjans und Esken sehen darin einen Teil der Gründe für den AfD-Aufstieg. „Für eine wirklich wirkungsvolle Arbeit an diesen Themen ist die große Koalition keine Grundlage“, sagt Walter-Borjans.
Es dürfte schwer werden für den „Mr. Groko der SPD“, Olaf Scholz, gegen diese Streichler der Parteiseele genug Stimmen zu sammeln. Scheitert er zusammen mit Klara Geywitz, müsste er eigentlich auch als Minister zurücktreten – aber die Koalition könnte dann ja ohnehin schon Geschichte sein.
Wer ihm und der Koalition noch deutlicher den Kampf ansagen, sind die Kommunalvertreter im Bewerberfeld, die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange und der Bautzener Oberbürgermeister Alexander Ahrens. Beide wollen im Falle eines Sieges die große Koalition im Dezember beenden.
„Das geht gar nicht anders. Das wird auf dem Parteitag entschieden“, sagt Ahrens. „Wir haben doch nicht mehr die Beinfreiheit, die für die Partei wichtigen Zukunftsfragen offen zu diskutieren: Klimaschutz, Europa“, sagt Ahrens. „Wenn wir da über neue Wege sprechen, meldet sich immer sofort mindestens einer, der mit dem Koalitionsvertrag wedelt und sagt: Das steht hier doch gar nicht drin.“
Das Gefühl für die Themen, die den Menschen wichtig sind, habe man eher auf der kommunalen Ebene. „Ich glaube, das geht verloren, wenn man zu lange da im Raumschiff Berlin unterwegs ist. Uns steht das Wasser bis zum Hals.“ Scholz sei der komplett falsche Kandidat für den Vorsitz. „Der steht für ein Weiter-so, für ein Verwalten der SPD. Der steht auch für die große Koalition. Wir haben damals keinen Regierungsauftrag bekommen. Auch das nehmen uns die Leute übel, dass zerstört die Glaubwürdigkeit.“
Ahrens: Blockade gegen AfD-Bundestagsvizepräsidenten aufgeben
Ahrens ist OB in einer AfD-Hochburg – und er plädiert dafür, die Blockade gegen einen AfD-Bundestagsvizepräsidenten aufzugeben. „Na, dann wählen wir einen Bundestagsvizepräsidenten von denen, die repräsentieren immerhin einen gewissen Anteil an Leuten, die sie gewählt haben.“ Er gehe offen mit der AfD und ihren Vertretern um, rede mit denen ganz normal. Wenn eine Partei in Sachsen 27 Prozent hole, könne man doch nicht alle Wähler in die Ecke stellen. „Man muss klar aufzeigen: Da kommt nichts Brauchbares von der AfD. Daher werbe ich für mehr Entspannung und Mut.“
Allein diese beiden Paare werden das Rennen beleben. Auch die meisten übrigen Kandidatenpaare, mit Ausnahme von Scholz/Geywitz, zeigen sich kritisch bis ablehnend gegenüber der Groko. Dass der Wortführer des linken Flügels, Parteivize Ralf Stegner, gemeinsam mit Gesine Schwan dafür plädiert, wenigstens die Revision der Regierungserfolge oder -misserfolge abzuwarten, fällt da schon auf.
Für die SPD ist das Ganze eine teure Sache, sie greift allen Bewerbern, acht Duos und der Bundestagsabgeordnete Karl-Heinz Brunner, bei Fahrt- und anderen Kosten unter die Arme. Hinzu kommen die Ausgaben für die Mitgliederbefragungen, die per Brief und online durchgeführt werden. Esken meint, eigentlich hätte man bei 23 Auftritten einen Tour-Bus für alle mieten können: „Das wär’ ne coole Idee gewesen.“ Sie rechnet mit kräftezehrenden Wochen bis zum Ende am 12. Oktober in München. „Das ist schon eine heiße Tour.“ Und Neuland für alle.,
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