Fachkräftemangel: Wie Nachbarn zu Aushilfspfleger werden
Ein Berliner Start-up vermittelt private Helfer für Pflegebedürftige. An ausgebildeten Fachkräften mangelt es zu stark.
Antonia Albert hat aus der Not ein Geschäft gemacht: Als die Großmutter der jungen Unternehmerin vor fast vier Jahren plötzlich pflegebedürftig wurde, suchte sie händeringend nach Helfern. „Wir brauchten nur jemanden, der sich kümmert“, sagt Albert. Nicht etwa für professionelle Pflege, sondern für den ein oder anderen Kontrollbesuch oder einfach als Gesprächspartner gegen die Einsamkeit. Albert fragte in der Nachbarschaft und bei Freunden, „doch die Suche war extrem schwierig“.
Das brachte Albert auf die Idee für Careship. Das Berliner Start-up vermittelt auf seiner Internetplattform private Helfer für Pflegebedürftige. Wer helfen will, kann sich bei Careship bewerben und etwa den Einkauf für Senioren übernehmen, im Haushalt unterstützen oder Patienten zum Arzt begleiten. „Die Pflege ist noch völlig lokal und offline“, sagt Albert. Meistens kümmern sich Familienmitglieder und örtliche Pflegedienste um die Betreuung, oder aber Bedürftige kommen ins Heim. Dabei brauche es gerade in der Pflege vernetzte und digitale Lösungen, sagt Albert. Schließlich würden heutzutage nur noch wenige Kinder in der Nähe ihrer Eltern und Großeltern wohnen.
Fachkräftemangel verschärft sich weiter
Das Ziel von Careship: den Fachkräftemangel im Pflegebereich eindämmen. Das Start-up holt mit seinem Modell nämlich Arbeitskräfte in den Markt, die nicht hauptberuflich als Pfleger arbeiten würden, wohl aber für ein paar Stunden aushelfen möchten. Viele Helfer arbeiten Vollzeit in anderen Branchen, zum Kreis gehören aber auch Studenten und Rentner. Genau die scheint es jedoch zu brauchen, denn der Fachkräftemangel im Pflegebereich hat sich drastisch verschärft. Kamen im Jahr 2010 noch 82 Arbeitslose auf 100 ausgeschriebene Pflegerstellen, sind es gegenwärtig nur noch 39 Arbeitslose. Das geht aus einer Studie des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) hervor. Bis zum Jahr 2030 sollen gut 200 000 Pfleger fehlen, bei fast vier Millionen pflegebedürftigen Menschen.
Auch Investoren haben das Potenzial erkannt. Insgesamt zehn Millionen Euro hat Careship bereits eingesammelt. Ein Kunde zahlt dem Start-up für die Betreuung eines Angehörigen pauschal 20 Euro pro Stunde – abhängig vom Pflegegrad der Bedürftigen übernehmen teils auch die Krankenkassen die Leistungen. Die Amateurpfleger bekommen hingegen 16 Euro Stundenlohn, die restlichen vier Euro pro Arbeitsstunde streicht das Start-up als Provision für die Vermittlung ein. Rund 800 Helfer würden derzeit mehr als 2000 Kunden regelmäßig betreuen – in Berlin, Frankfurt am Main und in Teilen von Nordrhein-Westfalen.
Nur neun Prozent der Bewerber schaffen es
Aufwendig ist allerdings der Bewerbungsprozess: Wer für Careship arbeiten will, muss sich zunächst online bewerben. Kann er überzeugen, wird er zum Telefon-Interview und anschließend zum persönlichen Gespräch eingeladen. Verläuft auch das erfolgreich, muss der Bewerber noch eine Reihe von Dokumenten vorlegen – darunter ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis und die Anmeldung einer selbstständigen Tätigkeit. Erst wer dann noch an einem Workshop teilgenommen hat, darf pflegebedürftige Senioren betreuen. Nur neun Prozent aller Bewerber nimmt Careship als Alltagshelfer auf, heißt es. Meistens scheitere es an den notwendigen Dokumenten oder den Sprachkenntnissen der Bewerber.
Auch andere Plattformen wollen von der angespannten Marktsituation profitieren. Das Start-up Pflegetiger setzt auf ein ähnliches Konzept wie Careship und vermittelt Pflegekräfte an Bedürftige, die etwa bei der Körperpflege oder im Haushalt helfen. Den Vorteil ihres Netzwerks sehen die Gründer in der dezentralen Arbeitsweise. Die Idee: Je dichter das Netz aus Pflegekräften und Kunden, desto kürzer die Wege. Im Optimalfall wohnt der Mitarbeiter nur wenige Meter vom Patienten entfernt. Das spart Zeit und Geld. Im Jahr 2016 gegründet, ist das einstige Venture von Rocket Internet im vergangenen Jahr aber in die Insolvenz geschlittert. Unterschiedliche Vorstellungen der Gesellschafter über die künftige Ausrichtung hatten das Unternehmen in diese Situation gebracht, erklärten die Gründer, ohne Details zu nennen. Die Rettung kam vor wenigen Monaten, als die Berliner Stephanus-Stiftung als Gesellschafter an der neu gegründeten Caretiger GmbH einstieg.
Neue Ideen schon in der Schublade
Die bloße Vermittlung von Helfern soll nicht das Ende der Plattformen sein. Careship-Gründerin Antonia Albert könnte sich vorstellen, Patienten und deren Angehörige mithilfe eines eigenen sozialen Netzwerks samt Nachrichten- und Video-Chat-Funktion künftig stärker zu vernetzen. Betreuer könnten etwa Online-Tagesprotokolle anlegen oder Fotos von Ausflügen mit den Patienten teilen. Noch liegen Ideen wie diese aber in der Schublade. „Erst mal müssen wir Helfer finden“, sagt Albert. Und davon könne es derzeit nicht genug geben.