Start-ups: Besser helfen
Patientenbesuche digital effektiver organisieren oder Krankenhausnachsorge im virtuellen Stationszimmer möglich machen: Wie Gründer Pflege neu denken.
Benjamin Diewald schaut auf sein Smartphone, um den Plan für seine Patientenbesuche abzurufen. „Von der Zentrale bekomme ich morgens immer die günstigste Reihenfolge und was bei wem zu tun ist gesendet“, sagt der Gesundheits- und Krankenpfleger mit einem Bachelor-Abschluss in Pflegemanagement. Er steigt aufs Fahrrad und beginnt seine Tour in Steglitz. Sein Job: Patienten waschen, anziehen, Diabetikern Frühstück machen, Blutzucker messen, Spritzen und Tabletten verabreichen und Verbände wechseln. Sein erster Patient wohnt zehn Minuten entfernt. „Durch die kurzen Wege zu den Patienten in meinem Kiez habe ich mehr Zeit für jeden“, sagt der 30-Jährige.
Seit sechs Monaten arbeitet Diewald bei dem Berliner Start-up „Pflegetiger“. Jahrelang war er davor in der Intensivpflege tätig und hat sich um Wachkoma-Patienten gekümmert. Nun schätzt er es, wieder mehr mit Menschen zu tun und genug Zeit für sie zu haben.
Digitalisierung hilft Pflege
In der Altenpflege gibt es einige Start-ups, die sich auf die ambulante Versorgung von Senioren konzentrieren. Sie nutzen die digitalen Möglichkeiten, um Prozesse zu vereinfachen oder neue Lösungen in der Betreuung möglich zu machen. Der Markt ist groß: Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt stetig an und es gibt bei der Pflegeversicherung Fördertöpfe, die Hilfsbedürftige nutzen können. Außerdem werden fast drei Viertel aller Pflegebedürftigen nicht im Heim, sondern zu Hause versorgt.
Uwe Bettig, der Rektor der Alice Salomon Hochschule, rät Gründern: „Ein mögliches Alleinstellungsmerkmal, beispielsweise die Konzentration auf bestimmte Kundengruppen, kann sehr hilfreich sein.“ Neben guter Pflege sei vor dem Hintergrund des großen Fachkräftemangels in der Pflege die Positionierung als guter Arbeitgeber wesentlich. Neben der Bezahlung seien auch die Arbeitsbedingungen entscheidend.
„Wir haben im Pflegemarkt sehr viel Potenzial gesehen“, sagt auch der Geschäftsführer von Pflegetiger, Moritz Lienert. Von Anfang an wurde das Start-up von Rocket Internet beraten und unterstützt. Mit einem tragfähigen Konzept und qualifizierten Mitarbeitern bekam Pflegetiger die Zulassung für Pflege- und Krankenkassen. Im Oktober 2016 ging es dann los. Inzwischen beschäftigt das Start-up 150 Mitarbeiter und versorgt rund 800 Pflegebedürftige.
Neue Ideen für bessere Angebote
Pflegetiger unterscheidet sich von anderen Pflegediensten durch ein Nachbarschaftskonzept, die Kombination von Grund- und Behandlungspflege und eine starke Technologieunterstützung. Das Unternehmen beschäftigt nur Fachkräfte, die Grund- und auch Krankenpflege abdecken. „Wir kombinieren diese beiden Elemente. So können unsere Mitarbeiter mehr Zeit bei den Kunden verbringen – und die Kunden haben mit weniger Pflegekräften zu tun“, berichtet Lienert. Eine Vollzeitkraft verdient bei Pflegetiger monatlich 3000 Euro brutto.
Die Geschwister Antonia und Nikolaus Albert gründeten 2015 das Berliner Start-up „Careship“ – nachdem sie selbst erlebt hatten, wie schwierig es ist, die passende Betreuung für einen Pflegefall in der Familie zu finden. Careship vermittelt Dienstleistungen, um hilfebedürftige Menschen zu unterstützen und Angehörige zu entlasten. Auf der Webseite sind 500 selbstständige Alltagshelfer, Seniorenbetreuer und Pflegekräfte registriert.
„Die geeigneten Mitarbeiter finden wir durch Stellenanzeigen, Informationsbroschüren, Onlinewerbung und Kooperationspartner“, sagt Antonia Albert. Sie lesen den „Kunden“ vor, gehen einkaufen, sind Reise- und Konzertbegleiter, kochen, staubsaugen und helfen bei der Körperpflege und beim Anziehen. Pro Stunde kostet das Angebot zwölf bis 20 Euro, je nach Leistung und Qualifikation des Betreuers. Ein Fünftel geht als Provision an das Unternehmen, den Rest bekommt der Pfleger. Über 2000 Familien in Berlin, Hamburg und Düsseldorf werden durch Careship versorgt. In Zukunft sollen die Dienstleistungen bundesweit angeboten werden, sagt die 28-jährige Antonia Albert, die Betriebswirtschaft studiert hat.
Eigene Erfahrungen machten auch Maren Lienecke zur Gründerin. Durch mehrere Krankenhausaufenthalte erlebte sie immer wieder, wie nach Operationen die Expertise der Pflegekräfte zu kurz kam und es durch die kurzen Liegezeiten zu wenig Zeit für die Beratung zur Genesung gab. Um diese Lücke zu füllen, gründete sie neben ihrer hauptberuflichen Tätigkeit als PR-Beraterin und Gesundheitsmanagerin 2016 das Unternehmen „recova“ in Potsdam. Recova konzentriert sich auf die Behandlungspflege der Patienten, die eine Klink verlassen haben, und unterstützt sie bei ihrem Genesungsprozess.
Im virtuellen Stationszimmer
Auf der recova-Online-Plattform haben Pflegefachkräfte die Möglichkeit, freiberuflich auf Honorarbasis Hilfsbedürftige zu beraten und auf diese Weise ihr Einkommen zu ergänzen. „Da ich alleinige Gründerin bin und die Finanzierung ausschließlich aus eigenen Mitteln erfolgte, ist es entscheidend, das Unternehmen am Anfang so schlank wie möglich zu halten“, sagt Lienicke. Um es auf solide Füße zu stellen, strebt sie Kooperationen mit regionalen Krankenhäusern und Krankenkassen an.
Und so funktioniert das Angebot: Jeder Nutzer verfügt über ein eigenes virtuelles Stationszimmer, von hier aus kann er online Fachkräften Fragen stellen und sich beraten lassen. Das Angebot kostet für Selbstzahler ab 125 Euro pro Woche. Mit ihrem Konzept hat sich die Gründerin um den diesjährigen Innovationspreis Berlin-Brandenburg beworben.
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