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Markus Söder auf der Zugspitze, auf die er am Donnerstag mit seinen Kollegen fuhr.
© Peter Kneffel/dpa

Verfassungsreform im Sinne Bayerns: Wie Markus Söder den Bundesstaat umbauen will

Bayerns Ministerpräsident fordert einen anderen Föderalismus mit mehr Ländermacht – und will seine Kollegen dafür erwärmen. Zwei sind schon mit im Boot.

Wer in Bayern als Ministerpräsident etwas gelten will, der muss Bundespolitik machen. Und dabei über die Bundespolitik klagen. Weil sie Bayern angeblich nicht so richtig Bayern sein lässt. Aus dem Grund sind bayerische Ministerpräsidenten immer auch Verfassungsreformer. Denn der Föderalismus ist aus Münchener Sicht eigentlich nie so eingerichtet, dass man nichts zu grummeln hätte.

Söder will jetzt auch den Föderalismus reformieren

Das war schon bei dem legendären Hans Ehard vor 60, 70 Jahren so, der stets wähnte, der Bonner Politikbetrieb sei nur dazu, Bayern Nachteile zu bringen. Edmund Stoiber tummelte sich auch gern auf dem föderalen Kriegspfad, wobei die Gefahren in seiner Ära dann schon von Berlin ausgingen.

Franz Josef Strauß war, wie Stoiber, ein großer Föderalismusreformer, allerdings "von oben" her als Bundesfinanzminister, und er erkannte erst später als bayerischer Ministerpräsident, welches Ei er sich und seinem Bayern mit der großen Finanzreform von 1969 gelegt hatte. Von München aus war nur noch Schadensbegrenzung möglich.

Horst Seehofer wiederum, der das Bundesparkett mehr liebt als den bayerischen Holzboden, achtete bei der Finanzausgleichsreform vor einigen Jahren sehr darauf, dass der weiß-blaue Freistaat einen guten Schnitt machte – gern auf Kosten des Bundes.

Und jetzt tritt Markus Söder an. Als bayerischer Finanzminister mied er die Konferenz mit seinen Länderkollegen, so oft es ging, und im Bundesrat war er noch seltener zu sehen. Das Amt des Ministerpräsidenten macht die bundespolitische Abstinenz aber unmöglich. Söder hat also die Schubumkehr eingelegt. Und will jetzt auch den Föderalismus reformieren, weil er Bayern im Nachteil sieht - und alle anderen Länder eigentlich auch, denn allein kommt man nicht weit.

Konferenz auf dem Gipfel

An diesem Donnerstag will er die Kollegen zum Mitmachen bewegen. Söder hat gerade den Vorsitz in der Ministerpräsidentenkonferenz übernommen und zum herbstlichen Treffen nach Schloss Elmau geladen – gemeinsame Gondelfahrt aller Länderchefs auf die Zugspitze inklusive.

Die Kollegen Winfried Kretschmann und Armin Laschet braucht er nicht zu überzeugen – die Ministerpräsidenten aus Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sind, was mehr Eigenständigkeit der Länder angeht, längst mit im Boot. Zum Treffen in Elmau haben die Regierungschefs der drei großen Länder ein Papier verfasst mit weit reichenden Absichten für eine weitere Föderalismusreform.

Der Bundesrat soll ein bisschen parlamentarischer werden

Dass die Vertreter der kleinen und ärmeren und weniger reformwilligen Länder das mitmachen, ist zwar unklar. Die ersten Reaktionen am Donnerstag, von Malu Dreyer aus Rheinland-Pfalz oder Stephan Weil aus Niedersachsen, waren mit Skepsis gewürzt. Aber Söder will, im Terzett mit Kretschmann und Laschet, erst einmal ein Zeichen setzen: Es soll sich wieder einiges ändern im Bund-Länder-Verhältnis. Zugunsten der Länder.

„Starke Länder sind die Garanten für ein starkes Deutschland“, heißt es in dem Papier programmatisch. Die Kompetenzen der Länder sollen „gegenüber den immer wieder auftretenden Bestrebungen nach weiterer Zentralisierung“ geschützt werden, wobei – wohl als sanfte Drohung gemeint – „die im Grundgesetz vorgesehene Mitwirkung der Länder an der Bundesgesetzgebung“ gestärkt werden soll. Der Bundesrat soll ein bisschen parlamentarischer werden – will heißen: mehr echte Debatten, die dann auch mal nach draußen wirken können.

Bundestag sollen Fristen gesetzt werden können

Das Fragerecht gegenüber der Bundesregierung soll stärker genutzt werden – ein Anliegen, das die Großväter der heutigen Ministerpräsidenten schon in den 50er-Jahren beschäftigte, ohne dass es tatsächlich dazu kam. Auch das Problem der häufigen Nichtbeachtung von Bundesratsbeschlüssen durch den Bundestag wollen die drei Länderchefs angehen: Per Grundgesetzänderung sei einzuführen, dass der Bundestag sich innerhalb einer bestimmten Frist regelmäßig mit Initiativen der Länderkammer befasst.

Schon näher am Tagesgeschäft ist eine Reihe von Forderungen, die Söder umtreiben. Zum Beispiel die Möglichkeit, dass der Bund wieder Aufgaben an die Länder delegiert, "wenn sie die genauso gut oder besser erledigen können“. Die großen Länder sind da durchaus selbstbewusst, den kleinen könnte es freilich an der nötigen Verwaltungskraft fehlen.

Mehr Rechte im Bund

Mehr Öffnungsklauseln in Bundesgesetzen, lautet eine weitere Forderung. Und – das ist neu – es soll künftig eine Optionsmöglichkeit für die Übertragung von Verwaltungskompetenzen des Bundes an Länder geben, die das wollen, gegebenenfalls auch kooperativ. Das klingt wie der Versuch, die Zentralisierung der Autobahnverwaltung, die nicht recht vorankommt, rückabzuwickeln.

Eine andere Steuerverteilung, also mehr Geld für die Länder, gehört auch zum Katalog – insbesondere Kretschmann pocht seit Jahren darauf, die vom Grundgesetz eigentlich vorgegebene regelmäßige und aufgabengerechte Neuaufteilung des Kuchens anzugehen.

Söder will abweichen dürfen

Einen Punkt vertritt Söder offensiver als andere: Es ist sein erklärter Wunsch, dass Länder verstärkt von Bundesgesetzen abweichen dürfen, wenn sie das wollen. Mehr Freiräume für eigene Regelungen, lautet sein Anliegen, das er gerade – weil es grundgesetzlich dafür schon einen Weg gibt – bei der Grundsteuer durchgesetzt hat.

Das Abweichungsrecht kam mit der Bundestaatsreform 2006 vor allem auf bayerischen Druck hin in den Artikel 72 der Verfassung. Ein Grund war, dass die Länder damals vor allem das komplette Umweltrecht an den Bund abgaben und einige Länder ein Druckmittel haben wollten für den Fall, dass die spätere Bundesgesetzgebung ihnen missfällt.

Söder sieht „Föderalismus der zwei Geschwindigkeiten“

Tatsächlich abgewichen sind die Länder bis heute in keinem der möglichen Felder – Söders Vorpreschen bei der Grundsteuer ist also eine Probe aufs Exempel. Fachleute nennen das, was Söder, Kretschmann und auch Laschet anstreben, asymmetrischen Föderalismus (es gibt Bundesstaaten, die das schon praktizieren, etwa Kanada). Söder spricht von einem „Föderalismus der zwei Geschwindigkeiten“, bei dem neben mehr Spielraum für starke Länder auch eine andere Richtung möglich sein soll: dass schwache Länder Aufgaben an den Bund übertragen können, um sich zu entlasten.

Politikwissenschaftlerin spricht von „strategischer Brandmauer“

Die Berliner Politikwissenschaftlerin Sabine Kropp sieht in dem Vorhaben Söders den Versuch, eine „strategische Brandmauer“ hochzuziehen, um auf die Entwicklung im Bund-Länder-Verhältnis in den vergangenen Jahren zu reagieren. „Der Bund hat zuletzt immer stärker dazu geneigt, Kompetenzen an sich zu ziehen und im Tauschgeschäft dafür mehr Bundesmittel in Landesaufgaben fließen zu lassen“, sagt sie.

Aus Sicht der großen, finanzstarken Länder sei das ein Problem, weil sie natürlich in der Lage wären, es allein zu stemmen. „Man sieht hier eine bedenkliche Entwicklung, die dazu führen kann, den Bundesstaat auszuhöhlen. Da will Söder nun ein Stoppsignal geben.“

Der Vorschlag habe jedoch seine Tücken. „Wenn die schwachen Länder die Möglichkeit bekommen sollen, bestimmte Aufgaben auf den Bund zu übertragen, was bleibt dann noch vom Föderalismus?“, fragt Kropp. „Diese Länder sinken dann zu Verwaltungsprovinzen herab. Das schon bestehende Gefälle zwischen den Ländern kann dann dauerhaft zementiert werden.“

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