Söders Auftritt auf dem CSU-Parteitag: Kokettieren mit der Kanzlerfrage
Söder stimmt den CSU-Parteitag auf den politischen Hauptgegner ein – das ist nicht die SPD, das sind die Grünen. Ein Bericht aus München.
Vor kurzem stand Markus Söder vor einem großen Kunstwerk und feixte. Das Kunstwerk war wirklich groß, größer sogar als Söder und viele Meter lang, eine Collage zum 70. Geburtstag der CSU-Landesgruppe im Bundestag. In der ersten Stuhlreihe vor dem Tafelwerk saßen die Kanzlerin und die CDU-Vorsitzende und der Unionsfraktionschef, außerdem nicht Horst Seehofer, der mal wieder keine Zeit hatte oder jedenfalls keine Lust, seinem Nachfolger zuzuhören, wie der eine Rückschau auf das Wirken der Christsozialen in der Bundespolitik seit 1949 hält. Seehofer kommt darin auch gar nicht vor. Dafür schaut Söder irgendwann Annegret Kramp-Karrenbauer an. „Zwei Mal wollten wir Kanzler werden“, grinst er. „Keine Sorge: bleibt dabei!“
Es gefällt ihm aber schon, dass er neuerdings dauernd Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur dementieren muss. Das muss man sich ja schließlich erst mal leisten können. So wie man es sich leisten können muss, an diesem Freitag ganz unauffällig in die Münchner Olympiahalle zu spazieren, ohne das Bayernhymnengedröhne, mit dem CSU-Vorsitzende gewöhnlich in Parteitage einmarschieren.
Noch kein Jahr ist es her, dass er den Vorgänger auch aus dem Partei-Spitzenamt beiseite räumte. Aber Seehofer wirkt schon vergessen, nicht nur, weil er wieder nicht da ist, sondern in Berlin ein Innenministertreffen anberaumt hat. Das ist bestimmt genauso wichtig. Auch sonst ist einiges anders als üblich. Das Grün zum Beispiel. Grün sind die Teppiche in den Gängen, grün die acht Lichtstreifen an den Tribünenseiten, grün wird – zusätzlich zum vertrauten weiß-blau – die Logo-Farbe für die Kommunalwahl im nächsten Frühjahr.
Wer die Botschaft jetzt noch nicht verstanden hat, dem hilft Generalsekretär Markus Blume mit der Versicherung nach: „Wir haben uns auch alle Mühe gegeben, klimaneutral zu bleiben!“ Dass die Grünen bei der Bayern-Wahl vor einem Jahr der CSU mehr Stimmen abgenommen haben als die AfD, war für die Partei ein Schock.
Die Farbe streitig machen
Söder will ihnen nicht nur die Farbe streitig machen. Selbst in der eigenen Partei geht das Ergrünen manchen zu plötzlich. Aber Söder ist da vollkommen schmerzfrei. Glorreiche alte Tage zu beschwören reiche nicht mehr, wird er später sagen, dafür seien die Zeiten zu schnell geworden: „Die Gesellschaft wartet nicht auf uns!“ Im CSU-Fanshop sind neuerdings Blühstreifensamen, Holz-Jojos und Bambus-Kugelschreiber im Angebot.
Als er am Nachmittag ans Rednerpult tritt, kommt Söder denn auch schnell zur Sache. Erst kriegt die AfD ein paar mit – „keine bürgerliche Partei“ sei das, Björn Höckes „Flügel“ geradeheraus „eine verfassungswidrige Organisation“, kurz: „Die AfD ist die neue NPD.“ Aber damit ist die Konkurrenz von Rechts, auf die sich die CSU in den letzten Jahren geradezu manisch fixiert hatte, auch schon abgehandelt.
Die neue Konkurrenz an der Öko-Front bekommt sehr viel mehr Aufmerksamkeit. Wer, fragt Söder, werde denn in der nächsten Bundestagswahl der Herausforderer? Doch nicht, bei allem Respekt, die SPD! „Herausforderer sind die Grünen!“ Deren Kanzlerkandidat oder Kanzlerkandidatin werde im Fernsehduell stehen, mit denen werde die Union um Platz Eins zu kämpfen haben: „Nicht Schwarz und Grün, sondern Schwarz oder Grün!“ Der Satz ließe sich leicht fortsetzen mit einem schelmischen Angebot, die Aufgabe gegebenenfalls zu übernehmen.
Aber außer der fast versteckten Koketterie, „dass manche uns mehr zutrauen, als nur in Bayern erfolgreich zu sein“, lässt Söder von dem Thema die Finger. Sein Abwinken ist sogar ernst gemeint im Rahmen dessen, was bei Markus Söder „ernst meinen“ meint. Der 52-Jährige hat keine Lust auf ein riskantes Abenteuer.
Dahinter stecken kurzfristig taktische und längere strategische Überlegungen. Auf kurze Sicht stört jede Personaldebatte das Bild der Einigkeit in der Union nach den Jahren des Seehoferschen Schwesternkriegs. Kramp-Karrenbauers Probleme sind der CSU auch sonst nicht recht. Schwache Werte für die Gesamtunion im Bund schaden bei der wichtigen Kommunalwahl im März.
Freundlichkeit befohlen
Die CDU-Chefin hat in den Bayern deshalb derzeit die denkbar stoischsten Verbündeten – auch weil jedes unkontrollierbare Verfahren in der CDU, sei es eine Urwahl oder gar ein Putsch gegen AKK, das Mitspracherecht der CSU in der Kanzlerkandidatenfrage massiv beschneiden würde. Für ihr Grußwort an die Schwesterpartei am Samstag in der Olympiahalle ist infolgedessen ausgesuchte Freundlichkeit befohlen.
Strategisch mahnen die Erfahrungen mit Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber zu Vorsicht. Beide scheiterten, obwohl sie jenseits der Landesgrenzen viel bekannter waren als Söder. Und ihm hängt in der Republik noch sehr das alte Image des kraftmeierischen Raufbolds nach. Den netten Bienenretter nehmen sie ihm ja schon daheim nur schwer ab.
Aber das Wichtigste dürfte wirklich sein, dass Söder sieht, wie schwer die nächste Bundestagswahl für die Union wird. Zum ersten Mal ohne Merkel, die AfD weiter als Nebenkonkurrenz, und dann eben die Grünen – nichts garantiert, dass ein Kanzlerkandidat der Union automatisch Kanzler wird. Neulich bei der Jungen Union hat er jede Kanzler-Ambition mit dem Satz zurückgewiesen, er habe als Ministerpräsident seinen „Traumjob“ gefunden. Vizekanzler unter Robert Habeck wäre jedenfalls kein Traumjob für den Mann, der sich gerade erst so zäh und geduldig in die Münchner Staatskanzlei vorgearbeitet hat.
Das ist der Stand heute. Der kann sich ändern. Wenn die Klimapolitik als Treibsatz für die Grünen wieder etwas in den Hintergrund träte, wenn die Konjunktur sich ernsthaft eintrübte und ökonomischer Erfolg auf einmal wieder gefragt ist, wenn also, kurz, das Risiko nicht mehr so groß wäre … wer weiß. Die Partei gibt ihm mit 91,3 Prozent Wiederwahlergebnis eine solide Basis für die nächsten zwei Jahre mit. Beim 70. der Landesgruppe hat Söder aus der Geschichte der Wittelsbacher erzählt. Die Bayern-Könige schlugen sich erst zu Napoleon. Als der Stern des Franzosen sank, wechselten sie die Seiten. „Flexibles Strategiemanagement“ nannte das Söder. Es gefiel ihm offenkundig gut.