Bio-Eier-Skandal: Wie Landwirte um ihren Ruf kämpfen
Zwei Betriebe, beide Öko. Bei dem einen Bauern laufen 300 Hühner durch den Stall, bei dem anderen kümmern sich Maschinen um 10 000 Tiere. Nach dem Skandal um die falsch deklarierten Eier kämpfen die Landwirte um ihr Ansehen und um das Vertrauen der Verbraucher. Ein Besuch.
Das Tor zum Stall klemmt. Christian Maeß ruckelt daran, einmal, zweimal. „Verdammt“, sagt er, da öffnet es sich doch. Dahinter 300 Hühner, unter tosendem Gegacker laufen einige auf Maeß zu. Andere sitzen unbeeindruckt in den Nestern an den Seiten. Holzparzellen, Platz, dass ein Huhn bequem drin stehen kann. Maeß schaufelt Körner aus einer Wanne, schmeißt sie in die Hühner-Traube vor seinen Füßen. Hier, auf dem Bauernhof „Lebensräume“ im brandenburgischen Neuruppin, füttert der Bauer noch von Hand.
Auf Gut Schmerwitz, rund 130 Kilometer entfernt, hat Geschäftsführer Gerrit van Schoonhoven keine Probleme, die Stahltür zur Stallanlage zu öffnen. 3000 Hühner gackern dahinter. Es ist einer von vier Ställen, 10 000 Hühner besitzt er insgesamt. Bald sollen noch 6000 dazukommen. Im Stall an der Seite steht ein Monstrum aus Metall, eine Konstruktion aus Gittern und Fließbändern. Eine vierstöckige Maschine, oben fährt das Futter rein, unten Eier und Kot wieder raus. Alles automatisch. „Wir sammeln die Eier hier nicht per Hand“, sagt Schoonhoven, „dem Huhn ist das egal.“ Beide Höfe sind ökologische Betriebe, beide verkaufen ihre Produkte unter dem Label Bio.
Bio, dazu greifen Verbraucher, wenn sie sich bewusst ernähren, artgerechte Haltung unterstützen wollen. Beim Kauf von Bioprodukten wähnt man sich auf der sicheren, auf der guten Seite. Doch seit vor wenigen Wochen bekannt wurde, dass Eier jahrelang fälschlicherweise als Bio deklariert worden waren, sind Verbraucher verunsichert – und eine ganze Branche fürchtet um ihren Ruf. Christian Maeß und Gerrit van Schoonhoven werden nicht verdächtigt, betrogen zu haben, sie halten sich an die Spielregeln. Aber unter dem Vertrauensverlust leiden auch sie.
Fernab der Höfe, in den Supermärkten der Städte, denken die Käufer der Bio-Waren an grün blühende Natur. Woran sie nicht denken sind: Maschinen und hochgezüchtete Hühner. Damit Bio-Eier für einen vernünftigen Preis auch in ihrem Supermarkt zu haben sind, sind die aber unvermeidlich. Hinter der Diskussion um die falsch deklarierten Eier steht auch die Frage: Was kann, was soll man überhaupt kaufen? Welches Ei ist ein gutes?
Die Betriebe von Christian Maeß und Gerrit van Schoonhooven unterscheiden sich in der Arbeitsweise, in der Größe der Produktion. Sie sind so unterschiedlich wie die beiden Herren selbst. Maeß, der ein paar Mal am Tag in den Stall geht, den Hühnern zuhört. Ins Gackern hineinlauscht, ob es den Tieren gut geht. Mit seinen zerzausten Haaren, die alten Klamotten dreckig.
Auf der anderen Seite Gerrit van Schoonhoven, akkurater Kurzhaarschnitt, das iPhone immer in Reichweite. Er ist selten auf dem Hof, hat viele Termine. Bald geht es nach Abu Dhabi, Urlaub mit der Familie, und für ein paar Tage nach Dubai, geschäftlich. Die Familie Schoonhoven kommt ursprünglich aus dem Münsterland.
Es wäre so einfach: Maeß, der Kleinbauer, der Gute. Und Schoonhoven, der Unternehmer, der Böse. Aber das wäre zu kurz gegriffen, wie vieles zu kurz gegriffen ist in diesem Skandal um Bio-Eier.
Das ginge schon damit los, dass der Skandal gar kein Bio-Skandal sei, sagt Gerrit van Schoonhoven. Vor Wochen wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Oldenburg gegen rund 200 landwirtschaftliche Betriebe in ganz Deutschland ermittelt. Der Vorwurf: Was in den Eierkartons drin sei, stimme nicht mit dem überein, was draufstehe. Schoonhoven war gerade in Hamburg, als ihn die Nachricht erreichte. Betriebe, viele davon in Niedersachsen, hätten bei der Freilandhaltung gemogelt, Billig-Futter verwendet, zu viele Hühner in den Ställen gehalten. Ein paar Bio-Betriebe seien auch unter den Verdächtigen, sagte Schoonhovens Kollege am Telefon. Ein Blick ins Internet, die Schlagzeile: Bio-Eier-Skandal. „Da war mir klar“, sagt Schoonhoven, „dass da jetzt erst mal eine Sau durchs Dorf getrieben wird.“
Christian Maeß ist weniger gelassen. Er sei wütend auf all diejenigen, die sich nicht an die Spielregeln halten, sagt er. Wütend, dass eine ganze Branche, seine Branche, in Verruf gerät, weil Einzelne sich die Taschen vollmachen. Wütend auch, dass er sich abrackert, dass sich der Hof ohne die Bezuschussung für ein Projekt mit Suchtkranken nicht tragen würde. Der 28-Jährige erzählt von all dem dennoch ruhig, in seinem Gesicht faltenlose Resignation.
Bio - ein einziger Etikettenschwindel
Er weiß seit vergangenem September, dass die Staatsanwaltschaft ermittelt. Auf einer Fortbildung der Landwirtschaftskammer Niedersachsen hätten sie es ganz offen angesprochen. Dort wurde auch gesagt: Momentan lohne es sich nicht, einen Biostall zu bauen, die Preise für Eier seien im Keller. Weil viele Produzenten auf die grüne Welle aufspringen. „Bio, Bio, Bio“, sagt Maeß, als könne er das Wort nicht mehr hören, „der Verbraucher weiß gar nicht, was dahintersteckt.“ Das passe doch nicht zusammen, sagt er weiter, bewusst einkaufen, sich aber keine Gedanken machen zu wollen.
Vieles in der Welt der Bio-Lebensmittel passt nicht zusammen. Bio ist ein lukratives Business geworden. Im Zuge des vermeintlichen Bio-Skandals war oft von Etikettenschwindel die Rede. Dabei ist Bio ein einziger Etikettenschwindel, im Wortsinn. Der Aufdruck auf den Verpackungen von Bio-Eiern zeigt häufig eine Handvoll Hühner auf ewig weiten Wiesen. Legt eines ein Ei, schnappt es der Bauer und verkauft es. Aber bitte nicht teurer als 50 Cent. Zu diesem Bild passen die Maschinen von Schoonhoven nicht. Dazu passen auch keine 3000 Hühner in einem Stall. Schoonhoven nimmt eines von ihnen auf den Arm und sagt: „So sieht ein gesundes Huhn aus.“ Und tatsächlich stellt man sich so ein gesundes Huhn vor – die Schnäbel und Flügel makellos, ein volles Federkleid.
„Bio und Masse schließen sich nicht aus“, sagt Esther Müller, Fachreferentin beim Deutschen Tierschutzbund. Aber auch beim Kleinbauern, bei einem wie Christian Maeß, ist längst nicht alles so natürlich, wie das Bild auf den Eierkartons glauben machen will. Das geht schon beim Huhn los. Ein natürliches Huhn legt rund dreißig Eier im Jahr, zur Erhaltung der Art. Laut Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz isst jeder Deutsche 212 Eier im Jahr. Die Hühner bei Maeß und Schoonhoven sind Hybrid-Hühner, eine Kreuzung verschiedener Hühnerarten, gezüchtet um möglichst viele Eier zu legen, etwa 300 im Jahr. „Das sind kleine Maschinen“, sagt Maeß, „da darf man sich nichts vormachen.“
Und wenn die kleine Maschine 300 Eier gelegt hat, dann ist sie verbraucht, kaputt. Das Huhn wird geschlachtet, zu Suppenhuhn verarbeitet. Oder einfach entsorgt. Genau wie 45 Millionen männliche Küken, die jedes Jahr schlüpfen, aber eben keine Eier legen können. „Auch ein Bio-Bauer kann nicht von Luft und Liebe leben“, sagt Schoonhoven.
Was ein Bio-Bauer leisten muss, um sich Bio zu nennen ist seit 2001 klar geregelt. Seitdem gibt es das deutsche Bio-Siegel nach EG-Öko-Verordnung. Wer Bio-Eier produzieren will, der darf auf einem Quadratmeter Stallfläche nicht mehr als sechs Hühner halten, dazu pro Huhn vier Quadratmeter Auslauf, draußen, außerhalb des Stalls, auf grünen Wiesen. Nicht mehr als 3000 Hühner pro Stallung. Verfüttert werden darf nur Biofutter, präventive Medikation mit Antibiotika ist tabu.
Das sind die Mindestanforderungen, um das Bio-Siegel zu bekommen. Weitere Qualitätssiegel verleihen in Deutschland Verbände, Demeter, Bioland, Naturland gehören zu den bekanntesten. Die Verbände sichern einen höheren Standard als die EG-Öko-Verordnung. Wer bei Bioland mitmachen will, der muss sein Futter auch bei Bioland-Bauern kaufen. Überprüft werden die Bio-Landwirte von staatlichen Kontrollstellen und denen der Ökoverbände. Angemeldet und unangemeldet.
Nachdem die Aufregung um falsch deklarierte Bio-Eier Ende Februar öffentlich gemacht worden war, haben sich etliche Politiker zu Wort gemeldet. Unter ihnen auch die Grüne Renate Künast, ehemalige Landwirtschaftsministerin und verantwortlich dafür, dass Eier in Deutschland überhaupt gekennzeichnet werden. Eigentlich seien die Kontrollen gut, sagte sie, um wenig später hinterherzuschieben: „Wir müssen uns überlegen, wie wir die Kontrollen verändern können.“ Künast plädiert dafür, die Hühner zu zählen.
„Die Kontrolle bei Bio-Betrieben ist immens“
„So ein Quatsch“, sagt Christian Maeß, „der Kontrolleur kann doch nicht die Hühner zählen.“ Bei ihm, mit seinen 300 Tieren, wäre das schon ein riesiger Aufwand. Bei Schoonhoven, mit 10 000 Hühnern, unmöglich. Das Gut Schmerwitz wird von der Öko-Prüfstelle Abcert geprüft. Zweimal im Jahr unangemeldet, einmal angekündigt. „Dazu kommt noch die Lebensmittelbehörde, mehrmals im Jahr, unangemeldet“, sagt Schoonhoven. Die Prüfer zählen zwar nicht die Hühner, aber so ziemlich alles andere.
„Die Kontrolle bei Bio-Betrieben ist immens“, sagt auch Georg Eckert, Kontrollstellenleiter bei Abcert. Es wird geprüft, wie viele Junghennen gekauft wurden, ob das mit der Kapazität der Ställe übereinstimmt, wie viel Futter gekauft, wie viel Mist verkauft wurde, es gibt Rechnungen von den Schlachthöfen über die Anzahl der geschlachteten Hühner, Impfbücher. „Es gibt unheimlich viele Möglichkeiten, quer zu prüfen“, sagt Eckert, was beruhigend klingt. Und trotzdem flog die falsche Bezeichnung der Eier erst auf, als ein niedersächsischer Bauer in einem Zivilprozess angab, zu viele Hühner für seinen Stall gekauft zu haben und dass dies allgemein üblich sei. Nicht bei einer Kontrolle.
Die Eier von Gut Schmerwitz kann man auch in gängigen regionalen Supermärkten kaufen. Und auch die Einzelhandelsketten haben verschärfte Auflagen, damit ein Produkt in ihren Regalen stehen darf. Sie sichern sich über Kat ab, den Verein für kontrollierte alternative Tierhaltungsformen. Dem wiederum müssen die Mitarbeiter von Gut Schmerwitz wöchentlich eine Auflistung schicken: wie viel Eier gelegt wurden, wo diese Eier geblieben sind. Kat sei sehr strikt, sagt Schoonhoven, beim kleinsten Verstoß fliege man raus.
Dass die Kontrollen ausreichend sind, glaubt auch Esther Müller vom Tierschutzbund. „Viele Landwirte beklagen, dass sie nur noch mit Listenausfüllen beschäftigt sind“, sagt sie. Zwar stellen deutlich mehr Betriebe auf Ökolandbau um, als dass Betriebe aussteigen, aber jährlich wenden sich trotzdem rund 600 Betriebe vom ökologischen Landbau ab und setzen wieder auf konventionelle Landwirtschaft. Der bürokratische Aufwand ist geringer, die Kontrollen seltener.
Trotzdem gab es diesen Betrug mit falsch deklarierten Eiern. Zwar stehen in erster Linie konventionelle Landwirte unter Verdacht, aber eben auch solche, die Bio-Eier verkaufen. Noch ermittelt die Staatsanwaltschaft, es gilt die Unschuldsvermutung. Welche Betriebe gepfuscht haben, wird sich zeigen. Für die Öffentlichkeit, für den Verbraucher bleibt die Frage, ob man Bio noch vertrauen kann.
Sie stellt sich beim täglichen Einkauf. Jeder Discounter hat inzwischen seine eigene Bioprodukt-Linie. Biobio, GUT Bio, Biotrend. Bio-Eier kosten bis zu 50 Prozent mehr als die konventionellen. Ein paar Cent für das gute Gewissen, eine Art Absolution. Christian Maeß findet die Entwicklung bedenklich. Aber ist sie das wirklich? Ist es nicht vielmehr gut, dass jetzt alle die Möglichkeit haben, artgerechte Tierhaltung zu unterstützen?
„Absolut“, sagt Müller vom Tierschutzbund, „aus Tierschutzsicht ist jeder Biokäufer super – auch der, der das Aldi-Bio-Ei kauft.“
„Die Leute müssen sich wieder mehr mit Lebensmitteln beschäftigen“, sagt Christian Maeß und zieht das Holztor zum Stall zu. Verbraucher sollten eben genauer hinschauen, meint er.
Schwer, wenn offenbar nicht alles, was grün scheint, auch durch und durch nachhaltig ist. Wenige hundert Meter von Maeß’ Bauernhof entfernt, hat eine McDonalds-Filiale eröffnet. Das gelbe „M“ auf rotem Hintergrund, jahrzehntelanges Markenzeichen des Konzerns, es hat sich verändert. Das Logo ist jetzt grün.
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität