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Claus Weselsky, gelernter Dieselmotorschlosser und Lokomotivführer, ist seit 2008 Vorsitzender der GDL.
© dpa

GDL-Chef Weselsky im Interview: „Wie kommen Sie denn auf diesen steilen Ast?“

Krawallmethoden im Tarifkampf? Nein, sagt Claus Weselsky. Um gleich darauf heftig gegen Bahnmanagement und Konkurrenzgewerkschaft auszuteilen.

Herr Weselsky, haben Sie sich verzockt?
Wie kommen Sie denn auf diesen steilen Ast?

Sie haben die Bahn und die Eisenbahnergewerkschaft EVG so provoziert, dass im Konzern erstmals das Tarifeinheitsgesetz angewendet wird. Das privilegiert die größere Gewerkschaft, also die EVG, und stellt die kleinere GDL kalt.
Das ist von interessierter Seite so herbeigeführt worden und wird flankiert von einer Kommunikationslüge der Bahn AG. Wenn eine Gewerkschaft Haltung hat, dann gefällt das dem Arbeitgeber nicht. So ist das bei der Bahn.

Die GDL zeigt Haltung und die EVG verrät die Arbeiterklasse?
Vor einem Jahr haben das Verkehrsministerium und die Arbeitgeberseite bei der Bahn für Einsparungen beim Personal von zwei Milliarden Euro getrommelt und das als „Bündnis für die Bahn“ verkauft. Auf den Trick fallen wir nicht rein. Die GDL hat insgesamt 54 Tarifpartner, doch keiner klagt so laut über die Folgen der Pandemie wie die DB. Dabei war der Konzern schon vor Corona marode.

Die EVG als Hauptgewerkschaft der Bahn hat sich auf das Bündnis eingelassen: Die Einkommen steigen erst 2022, dafür gibt es einen langfristigen Kündigungsschutz.
Die EVG ist die Hausgewerkschaft der Arbeitgeber. Wir brauchen aber keinen Kündigungsschutz für den viel zu großen Wasserkopf und für Projekte, die mit der Eisenbahn nichts zu tun haben. Im direkten Bereich – bei Lokführern und Werkstattarbeitern, Fahrdienstleitern und Instandhaltern – gibt es jede Menge offener Stellen.

Mitarbeiter im direkten Bereich müssen keine Angst um ihren Arbeitsplatz haben. Andere Bereiche sind dagegen so überflüssig wie ein Kropf, da ist Personalabbau zwingend erforderlich.

Zum Beispiel?
Im Personalbereich hat die Bahn viel zu viele Leute an Bord, die machen vor allem Projekte zur Selbstbeschäftigung. Mindestens die Hälfte davon ist verzichtbar. Auch in der allgemeinen Verwaltung drehen sich viele in gut geheizten Büros oder im Homeoffice im Kreis, während die Kolleginnen und Kollegen im direkten Bereich den Laden auch in der Pandemie am Laufen halten.

Kampf um die Beschäftigten. Die Bahngewerkschaften EVG und GDL sind verfeindet und versuchen, sich wechselseitig Mitglieder abzujagen.
Kampf um die Beschäftigten. Die Bahngewerkschaften EVG und GDL sind verfeindet und versuchen, sich wechselseitig Mitglieder abzujagen.
© ddp

Trotz alledem: Das Bündnis hilft bei der Sanierung der Bahn.
Was soll das bringen, wenn die Bahn grundsätzlich falsch aufgestellt und ausgerichtet ist? Selbstverständlich würden wir uns einer Sanierung nicht verschließen, aber dafür muss ein Sanierungsplan vorgelegt werden. Den gibt es aber nicht, die Bahn befindet sich vielmehr seit 1990 in einem Sanierungsprozess.

Seitdem ist viel passiert, die Einkommen der Lokführer sind enorm gestiegen.
Wegen der GDL. Aber zurück zur Sanierung: 1994 habe ich die Entschuldung erlebt, der Bund hat 34 Milliarden D-Mark übernommen. Heute hat der Konzern wieder 30 Milliarden Euro Schulden. Kein Manager der Bahn hat eine Vorstellung von der Zukunft.

Außer bunten Powerpoint-Folien und rosigen Versprechungen ist da nichts. Was ist aus der Ansage vor drei Jahren geworden, wonach die Bahn besser und pünktlicher wird? Dazu hören sie keinen Ton mehr aus dem Tower am Potsdamer Platz. Die Misere des Konzerns ist nicht von den Eisenbahnern herbeigeführt worden, sondern vom Management, das sich verzockt hat, weltweit Tanzen geht und von der Eisenbahn hierzulande keine Ahnung hat.

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Dieses Management zieht jetzt die Karte der Tarifeinheit, um den Querulanten von der GDL aufs Abstellgleis zu kriegen.
Nachdem wir das Bündnis wegen eines fehlenden Sanierungsplans abgelehnt haben, erklärte der Arbeitgeber im Oktober letzten Jahres, nicht weiter an der Tarifpluralität festzuhalten, die wir seit 2015 im Konzern vertraglich gesichert hatten.

Mit Hilfe des Tarifeinheitsgesetzes wollen sie uns platt machen. Sie haben die Büchse der Pandora geöffnet und uns mitgeteilt, „entweder ihr fügt euch, oder wir eliminieren euch“. Dass wir diesen Fehdehandschuh aufnehmen, ist doch klar.

Sie sind also wieder auf Krawallkurs.
Langsam. Wir haben uns im November letzten Jahres geöffnet für alle ehrenwerten Berufe der Eisenbahn und organisieren jetzt auch Bahn-Mitarbeiter aus den technischen Bereichen.

Nun wird uns wiederum vorgeworfen, wir wollten der EVG Mitglieder abjagen. Das gibt aber das Tarifeinheitsgesetz vor: Wenn wir im Tarifgeschäft bleiben wollen, müssen wir in den Betrieben mehr Mitglieder haben als die EVG.

Richard Lutz, Vorstandsvorsitzender der Deutsche Bahn AG, und das gesamte Management des Staatskonzerns hält Weselsky für untauglich.
Richard Lutz, Vorstandsvorsitzender der Deutsche Bahn AG, und das gesamte Management des Staatskonzerns hält Weselsky für untauglich.
© dpa

Die EVG hat insgesamt 184.000 Mitglieder, die GDL 35.000.
Wir holen auf. Von unseren Neueintritten stammen etwa 15 Prozent von der EVG, der ganz überwiegende Teil sind Eisenbahner, die bislang noch nicht in einer Gewerkschaft waren. Die Leute haben verstanden, dass wir nur gute Tarifverträge abschließen können, wenn wir Mitglieder haben und stärker sind als die EVG.

Das ist das Gebot der Stunde, und die Eisenbahner haben verstanden, dass sie bessere Tarifverträge von der GDL bekommen als von der EVG.

Ungefähr in zehn von 300 Betrieben des DB-Konzerns soll die GDL derzeit die Mehrheit haben. Damit können Sie keine große Welle machen.
Warten wir’s ab. Wir reden über 65 Betriebe im sogenannten Überschneidungsbereich der Bahn, das betrifft DB Fernverkehr, DB Region und DB Cargo. Bei den Wettbewerbern der Bahn haben wir fast überall die Mehrheit.

Die Kampfansage der Deutsche Bahn AG ist jedenfalls bei den Beschäftigten angekommen. Wir werden nun in relativ kurzer Zeit Mehrheiten in den Betrieben zu erreichen versuchen, damit wir unsere Tarifverträge erhalten können. Das werden mehr als zehn Betriebe sein.

Wie werden die Mehrheiten festgestellt?
Das machen die Arbeitsrichter dann, wenn eine Kollision von Tarifverträgen unterschiedlicher Gewerkschaften vorliegt. Erst wenn wir oder die EVG einen neuen Vertrag abschließen, haben wir eine Kollision.

Das ist bislang nicht der Fall, weshalb die Forderung der Arbeitgeber, wir sollten unsere Mitgliederzahl bei einem von der DB benannten Notar hinterlegen, auch völlig abwegig ist. Warum sollten wird mit Stand 1. Januar Mitglieder zählen, wenn bei mir jeden Tag die Sonne höher steht?

Die Leute rennen der GDL die Türen ein?
Wir sind sehr zufrieden. Ich habe mehr Mitglieder, die anderen haben weniger. Die Frustrationswelle in der EVG hilft mir natürlich, denn die EVG hat ein Bündnis mit Reallohnverzicht unterschrieben, ohne überhaupt die Gremien gefragt zu haben. Die EVG verliert Mitglieder, und das hilft mir beim Zählen.

Trotzdem bleibt die EVG viel größer als die GDL.
Beim Poker kommt der Moment, wenn es heißt: Zeigen! Jetzt will ich sehen! Auf diesen Zeitpunkt bereiten wir uns vor.

Sie spielen auf Zeit und machen erstmal lautstark Wahlkampf.
Das ist doch legitim, nachdem uns die Bahn die Pistole auf die Brust gesetzt hat. Jeder Tag bringt uns weiter. Wir erleben einen riesigen Solidarisierungseffekt, der dazu geführt hat, dass sich die GDL erweitert: Die Lokomotivführergewerkschaft öffnet sich für alle Eisenbahnberufe.

Vor zehn Jahren wäre das undenkbar gewesen. Jetzt haben wir eine Aufbruchstimmung in der GDL, die ist vom Feinsten. Und die andere Seite macht einen Fehler nach dem anderen.

Meinen Sie die Arbeitgeber oder die EVG?
Die Bahn arbeitet mit Angst und Druck, und die EVG arbeitet mit Angst und Druck. Wir sagen: Mit uns habt ihr die Chance, zu besseren Tarifverträgen zu kommen. Angst muss niemand haben außer den Leuten in der Verwaltung, die mit ihren enormen Einkommen Dinge erledigen, die mit der Eisenbahn nichts zu tun haben und die sich jeden Tag etwas einfallen lassen, damit die Kollegen im direkten Bereich noch schneller laufen.

Sie polemisieren und spalten die Belegschaft der Bahn.
Diese Spaltung ist doch schon lange da. Viele Angestellte und sogenannte Führungskräfte, die sich übrigens nur mit einem Linsengericht an den Corona-Sparmaßnahmen beteiligen, denken nur darüber nach, wie die anderen schneller arbeiten könnten.

Und diejenigen die arbeiten, müssen zusehen, wie das System Eisenbahn in die Funktionsunfähigkeit getrieben wird. Viele unsere Kollegen sagen, die schönste Zeit haben wir jetzt in der Pandemie: Wir können endlich mal in Ruhe arbeiten, weil die, die uns sonst auf den Zeiger gehen, jetzt im Homeoffice sitzen und so tun, als würden sie etwas tun.

Sie fordern unter anderem 4,8 Prozent mehr Geld für Ihre Leute, dazu eine Corona-Prämie von 1300 Euro und mehr Urlaub. Wann wird darüber verhandelt?
Wir werden versuchen, in einem Gespräch mit der EVG zu klären, ob wir gemeinsam das Tarifeinheitsgesetz abbedingen können. Wenn das geklärt ist, werden wir mit der Bahn verhandeln und auch für unsere Forderung streiken, sofern das nötig sein sollte. Auf den Knien wird man die GDL niemals sehen.

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