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Tränen vor dem Innenministerium. Eine Mitarbeiterin des öffentlichen Dienstes demonstriert in Athen gegen Entlassungen und Sparpläne.
© dpa

Harte Reformen in Athen: Wie die Griechen an der Krise verzweifeln

Griechenland wird für seine Sparanstrengungen gelobt. Dabei hat es jedoch mehr als ein Viertel seiner Wirtschaftsleistung verloren. Das hinterlässt gesellschaftlich tiefe Spuren.

Als Lisa Kogias gegen 20.30 Uhr ihren Ehemann Kostas fand, war es zu spät. Leblos hing der Körper des 61-Jährigen in der gemeinsamen Wohnung. Der Mann hatte sich erhängt. Zwei Stunden zuvor hatte Kogias das Periptero, den kleinen Kiosk, den die Eheleute an der Uferpromenade der Hafenstadt Volos betrieben, seiner Frau übergeben. „Ich gehe heim“, hatte er gesagt. Die Nachricht vom Selbstmord des Kioskbesitzers verbreitete sich schnell in der mittelgriechischen Stadt.

Kostas Kogias war kein Unbekannter. Im vergangenen Jahr hatte er die Bewegung „Hoffnung der Bürger“ gegründet, hatte mit Gleichgesinnten zu Fuß in elf Tagen die 323 Kilometer von Volos in die Hauptstadt Athen zurückgelegt. Mit dem „Marsch des Zorns“ wollten Kogias und seine Mitstreiter gegen die Troika demonstrieren und gegen das Spardiktat der internationalen Kreditgeber. „Wir wollen nicht, dass unsere Kinder zu Bettlern werden“, hatte der dreifache Vater gesagt.

Griechenland im sechsten Jahr der Rezession – müsste da nicht endlich Hoffnung keimen? Für Ministerpräsident Antonis Samaras ist 2013 das „Jahr der Wende“, ab 2014 soll es wieder aufwärts gehen mit der Wirtschaft. Bundesaußenminister Guido Westerwelle sagte bei einem Athen-Besuch vergangene Woche: „Man kann es mit Händen greifen, in Griechenland bewegt sich etwas.“ Selbst Finanzminister Wolfgang Schäuble, der kommende Woche in der griechischen Hauptstadt erwartet wird, lobt: Das Land sei „auf dem Weg zum Erfolg“.

Dass dies ein langer und beschwerlicher Weg ist, zeigte sich allerdings bei den jüngsten Troika-Verhandlungen. Das Reformtempo lässt immer noch zu wünschen übrig. Die Privatisierungen laufen äußerst schleppend. Dadurch verzögert sich der Schuldenabbau. Mit den geforderten Stellenstreichungen im Staatsdienst ist Athen ebenfalls in Verzug. Die Politiker sträuben sich – kein Wunder, diente ihnen doch die öffentliche Verwaltung seit Jahrzehnten als Versorgungsanstalt für verdiente Funktionäre und treue Anhänger. Weil Gewerkschaften und Berufsverbände mauern, kommt auch die Öffnung hunderter strikt regulierter und vom Wettbewerb abgeschotteter Tätigkeiten, nur langsam voran.

Andererseits verzeichnet Griechenland bei der Haushaltskonsolidierung bemerkenswerte Resultate. Seit 2009 wurde das Defizit von 15,6 auf voraussichtlich 4,3 Prozent in diesem Jahr gedrückt. Kein anderes EU-Land hat einen ähnlichen Erfolg beim Defizitabbau vorzuweisen. In diesem Jahr liegt Griechenland bei der Umsetzung des Budgets sogar vor dem Plan: In den ersten fünf Monaten betrug der Fehlbetrag 3,8 Milliarden Euro. Angesetzt war im Haushaltsplan für Ende Mai ein Defizit von 7,1 Milliarden.

Aber die Griechen zahlen für die fiskalische Konsolidierung einen hohen Preis. Seit 19 Quartalen schrumpft das Bruttoinlandsprodukt. Griechenland hat bereits mehr als ein Viertel seiner Wirtschaftsleistung verloren. Es ist die längste und schwerste Rezession, die ein westeuropäisches Land seit Kriegsende durchgemacht hat. In den vergangenen drei Jahren haben nahezu eine Million Menschen ihre Arbeit verloren. Die Arbeitslosenquote kletterte von 7,7 auf 27 Prozent. Unter den bis zu 25-Jährigen sind fast zwei Drittel ohne Job.

Die sozialen Folgen der Rezession sind verheerend. Das Arbeitslosengeld von 360 Euro im Monat wird in Griechenland maximal ein Jahr lang gezahlt. Danach ist Schluss. Eine Sozialhilfe oder Grundsicherung wie Hartz IV gibt es nicht. Wer kein Arbeitslosengeld mehr bekommt, verliert automatisch auch seine Krankenversicherung. Das betrifft aktuell bereits sechs von zehn Arbeitslosen. In Griechenland ist es nur ein kleiner Schritt von der Arbeitslosigkeit ins Elend.

Immer mehr Menschen verzweifeln, sehen keine Zukunft mehr. Wie Kostas Kogias. Als er auf dem Friedhof Koukou von Volos zu Grabe getragen wurde, gaben ihm Hunderte das letzte Geleit. Wie es in Griechenland bei Begräbnissen üblich ist, applaudierten die Trauergäste, als der Sarg aus der Kapelle getragen wurde. „Gute Reise“, riefen die Menschen. Dann wurde der Sarg ins Grab gesenkt. „Möge die Erde, die dich bedeckt, leicht sein“, sagte der Pope.

Gerd Höhler

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