Der Staat als Großaktionär: Wie die Coronakrise zu einer neuen Deutschland AG führen könnte
In der Krise könnte der Staat zum Großaktionär werden. 100 Milliarden Euro sollen für Beteiligungenen eingesetzt werden. Wie nutzt der Staat diesen Einfluss?
Das Coronavirus zwingt die Wirtschaft und Gesellschaft in den Stillstand. Viele Konzerne leiden unter einem gleichzeitigen Angebots- und Nachfrageschock. Die Aktienkurse vieler Unternehmen sind in den Keller gerutscht. Schon in den vergangenen Wochen hatte es Spekulationen gegeben, dass sich die Bundesregierung an der Lufthansa oder dem Reiseanbieter Tui beteiligen könnte.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier warnte, Deutschland müsse sich „davor schützen können, dass wirtschaftliche Strukturen irreparabel beschädigt werden“. Mit Staatsbeteiligungen wolle man die Liquidität von Unternehmen sowie Arbeitsplätze sichern. Dabei sei man „entschlossen, den Unternehmen gegen Übernahmen von Hedgefonds zur Seite zu stehen“. Im Notfall müsse der Staat intervenieren, wenn technologische Souveränität, Versorgungssicherheit und kritische Infrastrukturen von feindlichen Übernahmen bedroht seien, sagte Altmaier.
Das sehen auch Ökonomen wie Jens Südekum, Claudia Kemfert oder Sebastian Dullien so. Feindliche Übernahmen „aus China oder dem außereuropäischen Ausland müssen in sensiblen Kernbranchen abgewendet werden“, sagt beispielsweise Jens Südekum, Wirtschaftsprofessor an der Universität Düsseldorf.
Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomik und Konjunkturforschung (IMK) in Berlin, sagt: „Die Coronakrise und die Versorgungsengpässe bei medizinischer Ausrüstung zeigen, wie wichtig es ist, strategische Produktionen im Land zu halten.“ Auch Gerhard Schick von der Bürgerbewegung Finanzwende sagt, man müsse „verhindern, dass Hedge- oder Staatsfonds aus anderen Ländern die großen Krisengewinner werden“.
Vorteil Deutschland, Nachteil Italien
Am Mittwoch hat der Bundestag einen Gesetzesvorschlag der Bundesregierung verabschiedet. Es wird ein Wirtschaftsstabilisierungsfonds eingerichtet, in dem 100 Milliarden Euro für Staatsbeteiligungen bereitgestellt werden. Nach dem neuen Gesetz können Unternehmen einen Antrag auf Staatsbeteiligung stellen, wenn zwei von drei Kriterien erfüllt sind: Das Unternehmen muss eine Bilanzsumme von mindestens 43 Millionen Euro aufweisen, mehr als 50 Millionen Euro Jahresumsatz erzielen und mehr als 249 Arbeitnehmer im Jahresdurchschnitt beschäftigen. Außerdem darf sich der Staat nur an solchen Unternehmen beteiligen, die ohne die Coronakrise nicht in Schwierigkeiten geraten wären.
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Jens Südekum warnt jedoch davor, dass es auf europäischer Ebene zu Wettbewerbsverzerrungen kommen könne, „wenn deutsche Großunternehmen Staatshilfe bekommen, italienische aber nicht“. Italien und andere Länder Südeuropas müssen höhere Zinsen für ihre Staatsanleihen bezahlen. Sie können aus eigener Kraft keine so großen Hilfspakete schnüren wie Deutschland. Südekum schlägt daher die einmalige Ausgabe von Eurobonds zur Finanzierung von Notfallmaßnahmen vor.
Auch Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen. Um das zu verhindern, müsse „eine automatische Bevorteilung von großen Unternehmen, insbesondere von kapitalnotierten Unternehmen vermieden werden“. Sebastian Dullien sieht mit Blick auf den deutschen Markt keinen verzerrten Wettbewerb durch Staatsbeteiligungen. Von Staatsbeteiligungen profitierende Unternehmen hätten „außer dem Überleben keine Wettbewerbsvorteile“ gegenüber anderen Firmen.
Kann der Staat Gewinn machen mit den Aktien?
Die Ökonomen betonen, dass der Staat genau prüfen müsse, um sich nur an gesunden Firmen mit profitablem Geschäftsmodell zu beteiligen. Uneinigkeit herrscht über die Länge der Beteiligungen. Laut Südekum sind die Geschäftsmodelle in der Luftfahrt- und Tourismusbranche meist profitabel. Der Staat könne dort erworbene Aktien „hoffentlich sogar mit Gewinn wieder verkaufen“.
Dullien hingegen hält es für denkbar, dass der Staat seine Anteile über Jahre halten müsse. Das „kann auch die Kosten für den Staat begrenzen. Denn möglicherweise wird es einige Zeit dauern, bis die geretteten Unternehmen wieder ihren Vor-Krisen-Wert erreicht haben“. Das vom Bundestag erlassene Gesetz ermöglicht Beteiligungen bis zum 31. Dezember 2021.
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Einige Ökonomen sehen in Staatsbeteiligungen auch große Chancen. Die Regierung kann von den betreffenden Unternehmen Gegenleistungen einfordern und ihnen Bedingungen für eine staatliche Beteiligung stellen. Ebenso kann die Regierung Anforderungen stellen, wie die staatlichen Mittel verwendet werden sollen. So sieht es das Gesetz zur Einrichtung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds vor.
Die Ökonomin Claudia Kemfert sagt: „Kriterien, nach denen bestimmte Anteile von Unternehmen erworben werden, sollten sich an Systemrelevanz und Klimaschutz orientieren. Bei der Lufthansa sollten mögliche Beteiligungen an Bedingungen geknüpft werden, künftig ausschließlich auf klimaschonende Antriebe umzustellen.“ Kurzstreckenflüge sollten komplett abgeschafft werden.
Scholz will Beteiligungen schnell wieder loswerden
Südekum und Dullien warnen hingegen vor einer Kopplung der Notfallmaßnahmen an Klimaziele. Das würde die Hilfe überfrachten. Dullien sieht aber die Begrenzung von Managergehältern, die Beschäftigungssicherung und die Beachtung von Tarifverträgen als Belange, die die Bundesregierung bei Staatsbeteiligungen beachten solle.
Finanzminister Scholz will die staatlichen Beteiligungen wieder verkaufen, sobald sich die Lage normalisiert habe. Der „Rheinischen Post“ sagte er, er hoffe damit einen Gewinn zu erzielen. Dementsprechend ist kaum davon auszugehen, dass die Bundesregierung den Unternehmen teure Klimabedingungen setzen wird, die Wettbewerber nicht zu erfüllen haben.
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Auch Wirtschaftsverbände sprechen sich in der Krisensituation für das Instrument staatlicher Beteiligungen aus. „Beteiligungsmöglichkeiten für den Staat sind in dieser Situation vertretbar, wenn Unternehmen nur so vor der Insolvenz gerettet werden können", sagt BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. Katharina Reuter, Geschäftsführerin von UnternehmensGrün, dem Bundesverband der grünen Wirtschaft, begrüßt die Staatsbeteiligungen als Notfallmaßnahme. Als weitere Antwort auf die Coronakrise fordert sie auch einen Transformationsfonds für den sozialen und ökologischen Umbau der Wirtschaft.
Nico Beckert