Cloud-Initiative Gaia-X: Wie das europäische Projekt die US-Dominanz bei Clouds beenden soll
Gaia-X soll Daten sicherer speichern. Die beiden Wirtschaftsminister aus Deutschland und Frankreich stellten das technische Konzept nun vor.
Die Coronakrise ist auch ein großer Katalysator für die Digitalisierung. Wirtschaftliche Gewinner sind Unternehmen wie Netflix, der Videokonferenzdienst Zoom oder Amazon. Und gemeinsam ist vielen dieser Dienste, dass sie auf Cloudcomputing setzen: Die großen Datenmengen müssen dabei nicht mehr wie früher auf dem eigenen Computer oder Rechnern der Firma gespeichert werden, sondern die Übertragungen erfolgen über das Internet.
Und so wie im Privaten Streams zunehmend Downloads ersetzt haben, wird auch Software in Unternehmen nicht mehr auf Rechner installiert, sondern läuft webbasiert im Internetbrowser. Das erst macht es möglich, dass quasi über Nacht Millionen Menschen ins Homeoffice wechseln konnten. Doch auch wenn man die Dateipakete so weniger wahrnimmt, sind sie nicht verschwunden, sondern liegen nur auf anderen Computern: Meist sind das die riesigen Rechenzentren von Amazon Web Services (AWS) oder Microsoft.
Die großen US-Konzerne dominieren das Geschäft mit dem Cloud Computing, und vermutlich profitiert Amazon über die zusätzliche Nachfrage mit seiner Cloudsparte von der Krise sogar noch mehr als durch den Zusatzschub der Onlinebestellungen.
Um die dabei immer mehr steigenden Abhängigkeiten zu reduzieren, hat die Bundesregierung im Vorjahr das Cloudprojekt Gaia-X ins Leben gerufen. Es soll die europäischen Anbieter vernetzen und so Alternativen bieten. Zudem sollen die Cloudangebote im Gaia-Netzwerk sicherer sein, da hier Daten beispielsweise vor dem eventuellen Zugriff von US-Behörden geschützt sind.
Vor allem der Mittelstand soll überzeugt werden
Damit sollen vor allem Mittelständler überzeugt werden, die sich bislang oft noch scheuen, ihre sensiblen Firmendaten von eigenen Rechenzentren auf die der Cloudanbieter zu verschieben. So soll eine eigene Dateninfrastruktur mit einem Marktplatz an Diensten entstehen.
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Bislang war das Gaia-Projekt für viele Beobachter noch ziemlich abstrakt. Wie es genau funktionieren soll, wurde am Donnerstag von den Wirtschaftsministern Deutschland und Frankreichs, Peter Altmaier und Bruno Le Maire, sowie zahlreichen beteiligten Unternehmensvertretern vorgestellt. Für die Webkonferenz hatten sich 2600 Teilnehmer registriert.
Altmaier will Abhängigkeit von einzelnen Anbietern beenden
Altmaier bezeichnete das Projekt als „Moonshot der Digitalpolitik“ und „vielleicht wichtigstes digitales Bestreben einer Generation“. Es sei der Startpunkt für ein europäisches Datenökosystem. „Im Zentrum steht europäische Souveränität“, sagte Le Maire. Unzufriedene Kunden sollen künftig einfach den Anbieter wechseln können, ohne ihre Daten zu verlieren. „Wir beenden die Abhängigkeit von einzelnen Anbietern“, sagte Altmaier.
Die Präsentation zeigte, dass sich die vor allem im Bundeswirtschaftsministerium geborene Idee inzwischen zu einem deutsch-französischen Projekt entwickelt hat. Ursprünglich sprach Altmaier gern von einem „Airbus der Künstlichen Intelligenz“. Und wie auch bei den Anfängen des Flugzeugbauers treiben nun die beiden Nachbarländer das Vorhaben gemeinsam voran.
22 Firmen unterzeichnen Absichtserklärung
In den nächsten Wochen soll eine Gründungsorganisation in Brüssel ins Leben gerufen werden, dazu unterzeichnen 22 Unternehmen – jeweils zur Hälfte aus Deutschland und Frankreich – eine Absichtserklärung. Dazu gehören SAP, Siemens, Deutsche Telekom, Bosch und BMW, sowie kleinere Cloudspezialisten wie Plusserver oder German Edge Cloud, aber auch die Fraunhofer-Gesellschaft. Aus Frankreich sind unter anderem der Telekommunikationskonzern Orange, die IT-Spezialisten Amadeus, Atos, OVH oder Dassault Systems aber auch der Energieriese EDF beteiligt.
Sie bilden eine internationale und nicht-gewinnorientierte Organisation nach belgischem Recht, die aber auch für weitere Mitglieder offen ist. Sie müssten sich aber den Zielen „Souveränität, Datenverfügbarkeit, Interoperabilität, Portabilität, Transparenz und faire Teilhabe“ verpflichten. Grundsätzlich können dann auch die großen US-Anbieter Teil des Gaia-Netzwerks werden. Amazon und Google gehören bereits zu den 300 Unternehmen, die in verschiedenen Arbeitsgruppen das nun vorgestellte technische Architekturkonzept und 40 Anwendungsbeispiele entwickelt haben.
Die weitere technische Umsetzung ist anspruchsvoll
Die Organisation soll für die Einhaltung der Grundprinzipien sorgen, den weiteren Projektrahmen gestalten und auch zentrale Funktionalitäten bereitstellen, von Konzepten und Spezifikationen bis hin zu Open-Source-Software. Doch die weitere technische Umsetzung ist anspruchsvoll. Standards und Schnittstellen so zu definieren und zu integrieren, dass verschiedenste Anbieter interoperabel werden, ist eine enorme Herausforderung. „Uns sind die Komplexitäten bewusst, aus Gaia-X einen Erfolg zu machen“, sagte Atos-Chef Élie Girard.
Das gilt auch für die geplanten Datenpools, in denen Unternehmen Informationen austauschen und kombinieren können sollen. Um mit den großen US-Konzernen mitzuhalten, die ihre Algorithmen mit einem Meer von Daten füttern, sollen so die deutschen Datenseen wie mit Kanälen verbunden werden, so die Vision. Auch die EU will im Rahmen ihrer Datenstrategie den Aufbau von so genannten Datenräumen mit zwei Milliarden Euro fördern. Weitere EU-Staaten sollen sich Gaia-X anschließen und es zu einem europäischen Projekt machen.
Im kommenden Jahr sollen die ersten Prototypen fertig sein
Die Idee wird von vielen begrüßt. Doch ob das technisch gelingt und genug Unternehmen dann tatsächlich Gaia-X nutzen, müssen die kommenden Monate zeigen. Tina Klüwer, Unternehmerin und Vorstandmitglied im KI-Bundesverband, mahnt vor allem Konkurrenzfähigkeit an: „In Sachen Geschwindigkeit, Preis, Kundenorientierung und internationale Verfügbarkeit muss Gaia-X mithalten, sonst wird sich diese gute Idee auf dem Markt nicht durchsetzen können.“
Anfang 2021 sollen die ersten Prototypen fertig sein, kündigte Altmaier an. Er hofft, dass die Gaia-Standards künftig sogar zu einem weltweiten Vorbild werden könnten, zu einem „Goldstandard“ für Clouddienste, so wie die Prinzipien der Datenschutzgrundverordnung heute von anderen Ländern übernommen werden.