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Herren-Sandalen von Birkenstock im Jahr 2018.
© Falk Heller/Imago/Argum

Erst Gesundheitslatsche, jetzt Modeschuh: Wie Birkenstock-Sandalen zum globalen Trend wurden

Einst wurden die Sandalen und ihre Träger verspottet. Heute sind Birkenstock-Schuhe fester Bestandteil der etwas anderen Modewelt.

Eigentlich geht Oliver Reichert, Chef von Birkenstock, resolut gegen Fälschungen vor. Doch für eine bestimmte Imitation der traditionsreichen Sandale dürfte er dankbar sein. 2012 präsentierte Phoebe Philo, damalige Chef-Designerin des Luxus-Labels Celine, den „Furkenstock“ – ein dem Birkenstock nachempfundener Schuh, der von innen mit Fell (Englisch: Fur) ausgelegt war. Spätestens seitdem ist ein Hype um Birkenstock entbrannt.

Heute schwören Hollywood-Stars genauso wie die Mutter aus Prenzlauer Berg auf den Schuh. Wie kaum ein anderes deutsches Traditionsunternehmen ist Birkenstock in diesem Jahrtausend zum globalen Trend geworden. Wie ist das möglich?

Birkenstock wurde 1774 von dem Schuhmacher Johann Adam Birkenstock im hessischen Langen-Bergheim gegründet. Über Generationen widmete sich die Familie fortan der Entwicklung gesundheitsförderlicher Fußbetten. Die Unternehmer hielten Vorträge und veröffentlichten Bücher zum Thema Fußwohl. Birkenstock wurde zum Inbegriff der bequemen, aber unmodischen Gesundheitslatschen. Wohl niemand rechnete damit, dass diese Schuhe sich irgendwann auf dem Laufsteg in Paris wiederfinden würden.

Stellt man dem Unternehmen selbst die Frage, wie es dazu kam, weist man die Verantwortung von sich. „Wir haben uns nie angepasst“, sagt Sprecher Jochen Gutzy. „Es ist vielmehr so, dass sich die Konsumenten und die Modewelt auf uns zubewegt haben.“ Überhaupt habe Birkenstock im Ausland schon immer einen gewissen Coolness-Faktor gehabt. „Von der Surfer-Szene in Kalifornien bis hin zur Grunge-Bewegung der 1990er – Birkenstock war immer dabei“, sagt Gutzy.

Doch auch im Unternehmen gelten die Jahre 2012/13 als entscheidend für den heutigen Erfolg. Denn in dieser Zeit wurde aus dem aus 38 Firmen bestehenden Familienbetrieb ein Konzern. Mit Reichert, der zuvor den Sportsender DSF führte, und Markus Bensberg, der schon 25 Jahre bei Birkenstock tätig war, standen nun erstmals zwei familienfremde Manager an der Spitze. „Seither haben die beiden CEOs den ganzen Laden umgekrempelt, Abläufe verdichtet und neue transparente Strukturen geschaffen“, sagt Gutzy. „Seitdem erleben wir förmlich eine Markenexplosion.“

Vor allem Reichert tritt auch nach außen markant auf und verkörpert den unternehmenseigenen Anspruch der Bodenständigkeit. „Ich gebe eine Scheiß auf Mode“, ließ er sich im vergangenen Jahr von einem US-Magazin zitieren. Von Influencer-Marketing hält er nichts, dass die Modekette Zara pro Jahr zwöf neue Kollektionen entwirft, ist für ihn „Quatsch“, und eine Zusammenarbeit mit dem bei Jugendlichen sehr angesagten Label Supreme lehnt er als „Prostitution“ ab.

Models führen 2017 in Paris eine neue Kollektion vor.
Models führen 2017 in Paris eine neue Kollektion vor.
© Imago/Xinhua

Gleichwohl lässt er es sich nicht nehmen, regelmäßig als Speaker auf der Konferenz des „Zeit“-Magazins und der Vogue zur Berliner Fashion Week aufzutreten. Dort beweist er, dass er sehr wohl ein Bewusstsein für die modischen und gesellschaftlichen Strömungen hat, von denen Birkenstock in den vergangenen Jahren profitiert hat.

Denn Celines „Furkenstocks“ begründeten den sogenannten Ugly-Shoe-Trend und waren damit Teil einer größeren, feministischen Strömung, die die Modewelt seit einigen Jahren dominiert. Damen-Kleidung soll demnach nicht mehr in erster Linie eng und körperbetont geschnitten sein, sondern Bequemlichkeit in den Vordergrund stellen.

Reichert drückte es vor drei Jahren gewohnt plakativ aus: Frauen lösten sich von der Idee, „reines Transportmittel sexueller Fantasie“ zu sein. Neben weit geschnittenen „Boyfriend“-Shirts und -Jeans gehöre Birkenstock zu diesem entspannten Look. Es ist nicht so, als würde sich Birkenstock der Zusammenarbeit mit Modedesignern versperren. Es müssen nur eben die richtigen sein. Der einflussreiche Modeschöpfer Rick Owens aus Los Angeles oder auch Andreas Murkudis, einer der wichtigsten Designer Berlins, haben bereits Birkenstock-Kollektionen entworfen.

Birkenstock bietet jetzt auch Naturkosmetik an

Doch eines ist dabei unverrückbar: Das Fußbett muss immer den Birkenstock-Standards entsprechen; die Maße, manch einer würde auch sagen die Klobigkeit, darf nicht verändert werden. Auch gegen Fälschungen geht Reichert mit Härte vor. Den Verkauf von Birkenstock-Schuhen auf Amazon hat er unterbunden, weil der US-Konzern aus seiner Sicht nicht entschlossen genug gegen Plagiate vorgeht. Birkenstock beschäftigt Privatdetektive, die Fabriken in Schwellenländern aufspüren sollen, in denen die Kult-Sandale kopiert wird.

Peter Kenning hält diese Entschlossenheit für den Schlüssel zum Erfolg. „Man erkennt einen Birkenstock auf den ersten Blick“, sagt der Marketing-Professor von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Das Produkt hebe sich deutlich von seinen Wettbewerbern, wie etwa Crocs, ab. „Birkenstock entzieht sich so der Vergleichbarkeit“, meint Kenning. Denn Vergleichbarkeit sorge dafür, dass für den Kunden der Preis das einzige Entscheidungsmerkmal beim Kauf ist. „Aus diesem Grund gibt es auch quadratische oder lila Schokolade, magenta-farbenes Internet und Bier, das mit Felsquellwasser gebraut wird.“

Logo und Schriftzug einer Birkenstock-Filiale in Freiburg.
Logo und Schriftzug einer Birkenstock-Filiale in Freiburg.
© Ralph Peters/Imago

Die Umsätze sind in den vergangenen Jahren deutlich auf rund 800 Millionen Euro im Jahr 2018 gestiegen. Die erwirtschafteten Gewinne aus Sicht von Kenning „für ein deutsches, mittelgroßes Traditionsunternehmen bemerkenswert gut“. Nun will Birkenstock sich breiter aufstellen. „Da der Markt für Birkenstock-Sandalen vermutlich relativ gesättigt ist, liegt es nahe, dass man versucht, neue Märkte zu erschließen“, meint Kenning.

So bietet Birkenstock seit einigen Wochen Naturkosmetik an. Wie auch beim Schuh setzt das Unternehmen hier auf Kork und schreibt einem Extrakt, der aus der Rindenschicht der Korkeiche gewonnen wird, eine Anti-Aging-Wirkung zu. Auch hochpreisige Matratzen und Socken gehören inzwischen zum Portfolio von Birkenstock.

Thorsten Mumme

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