Streit um Firmenzentrale: Wie Berlins Senat eine Vorzeigefirma vergrault
Die Hypoport AG ist eines der wenigen Börsenunternehmen Berlins. Doch jetzt droht der Konzern, den Hauptsitz zu verlagern. Der Grund: Ärger mit dem Senat.
„Sie haben es aber schön hier.“ Oft hört Ronald Slabke diesen Satz schon unten im hellen Atrium, von dem aus man in einen grünen Innenhof blickt. Spätestens aber im fünften Stock, wo der Vorstandschef der Hypoport AG aus seinem verglasten Büro auf den Fernsehturm schaut. Spricht man ihn auf die Aussicht an, antwortet er jedoch zerknirscht: „Ja, noch haben wir es schön hier.“ Das Kompliment erinnert ihn daran, dass er und seine 300 Berliner Mitarbeiter Ende 2019 aus dem Gebäude in der Klosterstraße ausziehen müssen. So wie es der neue Eigentümer will: der Berliner Senat.
Dabei hatte Hypoport das Gebäude selbst kaufen wollen. Vier Jahre haben sie darüber verhandelt. Zwar hatte die Senatsverwaltung für Finanzen ein Vorkaufsrecht, weil das Gebäude früher einmal dem Land gehört hat. „Wir hätten aber niemals gedacht, dass sie davon Gebrauch machen würden“, sagt Slabke. Schließlich sitzen Senatsvertreter bei den Kaufverhandlungen stets mit am Tisch – in den vier Jahren machen sie aber kein einziges Mal auch nur eine Andeutung, dass sie selbst Interesse am Gebäude haben.
Senat grätscht in letzter Minute dazwischen
Deshalb fühlt sich der Hypoport-Vorstand auf der sicheren Seite, als er im Sommer den Kaufvertrag unterschreibt. „Die Klosterstraße gehört uns“, teilt Slabke den Mitarbeitern stolz mit. Doch sie haben sich zu früh gefreut. Kurz vor Weihnachten kommt die Nachricht: Der Senat hat am letztmöglichen Tag das Vorkaufsrecht genutzt. Slabke und seine Kollegen fühlen sich auf den Arm genommen. „Hätte die Senatsverwaltung das Gebäude wirklich unbedingt haben wollen, hätte sie es schon vor vier Jahren kaufen können und zwar sehr viel billiger“, sagt der Vorstandschef. Weil sich die Kaufverhandlungen hingezogen haben, ist der Preis gestiegen – von 11,5 Millionen auf 15 Millionen Euro.
Doch nicht nur für den Senat ist das eine teure Geschichte. Auch die Hypoport AG hat das Ganze einiges gekostet. Um den Kaufvertrag abschließen zu können, brauchten sie einen Kredit. Weil der nun aber nicht zustande kommt, verlangt das Geldinstitut eine Entschädigung. Dazu kommen die Anwaltsgebühren für vier Jahre Beratung bei den Verhandlungen. „Insgesamt ist uns ein Schaden von einer halben Million Euro entstanden“, sagt Slabke. Außerdem rechnet er damit woanders nun über eine Million Euro mehr an Miete pro Jahr zahlen zu müssen. „Noch vor ein paar Jahren hätte uns das das Genick gebrochen.“
Hypoport: Berlins unbekanntes Milliardenunternehmen
Dass sie zumindest den finanziellen Schaden heute verkraften können, liegt daran, dass die Firma eine Berliner Erfolgsgeschichte ist. Bekannt ist der Konzern für seine Tochter Dr. Klein, die Immobilienkredite vermittelt. Weitere Tochterfirmen bauen IT-Plattformen für die Vergabe von Krediten und Versicherungen, die Banken und Finanz-Start-ups nutzen. Aufgebaut hat die Hypoport AG dieses Geschäft bereits, als von Start-ups noch gar keine Rede war. Davon kann der Konzern heute profitieren: In den letzten zwölf Jahren ist er bundesweit von 300 auf 1400 Mitarbeiter gewachsen. An der Börse ist er mittlerweile mehr als eine Milliarde Euro wert. Überhaupt ist Hypoport eines der wenigen börsennotierten Unternehmen in Berlin.
Deshalb kann Slabke es auch nicht verstehen, warum die Senatsverwaltung ihnen nun den Hauptsitz streitig macht. „Das ist das Gegenteil von Wirtschaftsförderung“, sagt er. „Wenn man so mit uns umspringt, wollen wir kein Berliner Unternehmen mehr sein.“ Und das meint er wörtlich. Auf der Hauptversammlung hat sich der Vorstand das kürzlich bereits von ihren Aktionären abnicken lassen: Sollte der Senat ihren Mietvertrag nicht deutlich verlängern, verlagern sie ihren Hauptsitz nach Lübeck.
Dort, wo Dr. Klein gegründet worden ist, arbeiten schon jetzt ebenso viele Mitarbeiter für den Konzern wie in Berlin. Außerdem gehe man dort anders mit Unternehmen um. „Als die Lübecker unsere Geschichte gehört haben, haben sie uns gleich eine sehr interessante, zentral gelegene Gewerbefläche angeboten, ohne dass wir danach gefragt hätten“, sagt Slabke. Auch in Hamburg und Leipzig, wo die Hypoport AG große Standorte hat, umwirbt man sie. „In beiden Städten haben uns Wirtschaftsförderer angesprochen.“ In Berlin wollte dagegen zunächst kaum jemand mit ihnen reden. „Wir mussten erst einen Lobbyisten einschalten, um überhaupt Kontakt zum Finanzsenator zu bekommen“, sagt Slabke.
Inzwischen ist das Problem zwar auch der Senatsverwaltung für Finanzen bewusst, einen Rückzieher will man dort aber nicht machen. Durch die wachsende Stadt mangele es der Verwaltung an Büroräumen, heißt es auf Tagesspiegel-Anfrage. Allein im Umkreis des Hypoport-Gebäudes befänden sich acht Verwaltungen, die zu wenig Platz hätten – von der Senatskanzlei bis zum Bezirksamt Mitte. Der Kauf des Objekts in der Klosterstraße bedeute daher „eine merkliche Entlastung des Unterbringungsbedarfs der Berliner Verwaltung“. Zumal Mietflächen „kaum noch oder zu sehr hohen Preisen angeboten werden“, schreibt die Senatsverwaltung. Ein Problem, das die Verwaltung ebenso trifft wie die Firmen. Nur ist es deshalb legitim, dass die Verwaltung ein Unternehmen verdrängt?
Streit innerhalb des Senats
Die Aktionäre der Hypoport AG können das jedenfalls nicht verstehen. „Der Berliner Senat will einerseits Digitalfirmen fördern“, sagt Michael Kunert von Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger, „vergrault andererseits dann aber solch ein Vorzeigeunternehmen.“ Auch in der Senatsverwaltung für Wirtschaft ist man über die Entscheidung der Kollegen wenig begeistert. Schließlich will Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) eigentlich gerade mehr Büroräume für Unternehmen schaffen – notfalls indem das Land dafür selbst Flächen erwirbt. Wenn dann ihr Kollege Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) aber das Vorkaufsrecht des Landes nutzt, um auf Kosten eines Unternehmens Verwaltungsbüros zu schaffen, ist das kontraproduktiv. Für die Hypoport AG will sich Pop jetzt persönlich einsetzen. Sie habe „ein außerordentlich hohes Interesse, ein derart wachstumsstarkes, innovatives und technologisch führendes Unternehmen für Berlin zu sichern“, sagt ihre Sprecherin. Man setze sich mit der Wirtschaftsförderung dafür ein, für Hypoport einen alternativen Standort zu finden.
Mit den ersten Angeboten waren Slabke und seine Kollegen aber nicht zufrieden. Gezeigt hat man ihnen zunächst Flächen in Buch und Adlershof. Aber Slabke sagt: „Das ist am Rande der Stadt, da brauchen wir erst gar nicht hinzuziehen. Dann verlieren wir jede Menge Mitarbeiter.“ Viele hätten ihr Leben an dem Standort am Alexanderplatz ausgerichtet, ihre Kinder gingen dort in die Kita oder in die Schule. Dazu kommt, dass viele Mitarbeiter IT-ler sind, womit Hypoport im direkten Wettbewerb zum Onlinehändler Zalando oder schnell wachsenden Start-ups steht. Dabei mithalten zu können, wäre am Stadtrand schwierig.
Im Gespräch ist nun ein Gelände am Hauptbahnhof, allerdings könnten sie dort frühestens 2025 anfangen zu bauen. Zehn Jahre müssten sie also überbrücken. Auch deshalb hofft Slabke, dass die Senatsverwaltung es sich noch einmal anders überlegt und ihren Mietvertrag zumindest solange verlängert. Danach sieht es derzeit aber nicht aus, die Verwaltung plant, „voraussichtlich 2020“ Beamte im dem Gebäude unterbringen zu könne.
Dabei glaubt Slabke, dass die an dem Haus gar keine Freude haben würden. Die Räume sind sehr tief – machte man daraus Einzelbüros, würden das dunkle Schläuche. Die Hypoport AG hat das Problem mit Großraumbüros und Glaswänden gelöst – selbst ins Chefbüro kann vom Flur jeder reinschauen. „Aber können Sie sich das in einer Amtsstube vorstellen?“, fragt Slabke. Dazu kommt, das das Gebäude durchaus einige Mängel hat, von denen die Senatsverwaltung mutmaßlich keine Ahnung hat. Zehn Millionen Euro hatte die Hypoport AG schon für Umbau und Sanierung zur Seite gelegt. „Die Fahrstuhlanlage muss dringend überholt werden ebenso wie die Sanitäranlagen. Außerdem haben wir Schwamm im Keller“, sagt Slabke. Aber das ist ja jetzt nicht mehr sein Problem. Sondern das des Senats.
Carla Neuhaus
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