Schulabschluss: Wie Abiball-Veranstalter mit Schülern Kasse machen
Schick, schicker, Abiball: Die Feiern werden in Deutschland immer pompöser und teurer. Kritiker sagen: Firmen machen ein gutes Geschäft mit einer naiven Kundschaft.
Der Schuldirektor spricht ein paar Worte zum Abschied. Die Eltern spendieren ein kaltes Buffet mit Nudelsalat und Cola. Der Musiknerd des Jahrgangs gibt den DJ. In der Aula tanzen ein paar Leute Discofox bei gedimmtem Licht: Viele erinnern sich wohl so oder so ähnlich an die Feierlichkeiten zum Abitur.
Der Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung wurde hierzulande immer verhalten gefeiert – vor allem im Vergleich mit der „Prom Night“, ein in den USA geradezu schicksalhaftes Ereignis im Leben junger Menschen. Seit ein paar Jahren feiern aber auch deutsche Abiturienten ihren Abschlussball aufwändig, professionell und teuer.
Celina ist 18 Jahre alt. Sie besucht ein Gymnasium in Berlin-Dahlem. Das schriftliche Abitur hat sie hinter sich, die mündliche Prüfung kommt noch. Zusätzlich zum Prüfungsstress musste sie in den vergangenen Monaten noch etwas schultern: Sie trägt die Hauptverantwortung für die Organisation des Abiballs.
Am Anfang stand die Wahl der passenden Eventagentur. Dass sich eine Firma im Auftrag des Jahrgangs um die Location, das Catering, die Security, einen DJ kümmert, ist mittlerweile Standard. „Wir waren relativ spät dran“, sagt Celina. Erst Anfang des Jahres haben sie und die anderen im Abikomitee intensiv begonnen, eine geeignete Agentur zu suchen. „Der Jahrgang unter uns organisiert den Abiball jetzt schon“, erzählt Celina.
Gab es die Überlegung, ganz schlicht in der Schule zu feiern? Die Aula wäre nur eine Notlösung gewesen, sagt sie. Ihre Agentur hat ihnen jetzt eine Feier in einem Fünf-Sterne-Hotel gesichert. Die Kosten für ein Ticket, exklusive Getränke: 64 Euro. „Das hält sich im Rahmen“, sagt Celina dazu.
Die Ansprüche an den Abiball steigen weiter
Denn: Es geht noch teurer. Wie viel ein Ticket kostet, hängt von den Ansprüchen der Abiturienten ab – und die werden größer und größer. „Die Bedürfnisse der Kunden ändern sich“, sagt Olaf Marsson. Er ist der Kopf hinter Abiplaner, eine Marke seiner Eventagentur.
Marsson und seine Mitarbeiter organisieren seit 2003 Abibälle im Stil amerikanischer Abschlussbälle. Früher sei ein All-Inclusive-Abiball absolut ausreichend gewesen, heute gebe es ganz spezielle Wünsche. „Gerade in Berlin geht der Trend zu Biofood und regionalen Getränken“, sagt Marsson.
Als Student hat Marsson eine Prom Night in den USA erlebt, und dann 2002 begonnen, für seine Geschäftsidee in Deutschland Werbung zu machen. „Dann hat es nochmal zwei Jahre gedauert, bis der Knoten geplatzt ist“, sagt er. In einem Jahr hätten sie drei, darauf zwölf, im nächsten Jahr 56 Abibälle organisiert. Seitdem sind etliche andere Agenturen in den Markt gedrängt, sie heißen „Abitraum“, „Abiballdeluxe“, „Abiservice4you“.
Manche von ihnen planen nicht nur den Abiball, sondern bieten auch gleich Abireisen, Abibücher und Abishirts an. Am Anfang hätten sie auch noch selber Abibücher gedruckt, sagt Marsson. Nun geht er einen anderen Weg. Auf seinem Onlineportal verweist er auf andere Firmen, für die der Schulabschluss profitabel ist – zum Beispiel das Berliner Ballmodengeschäft Crusz.
„Am Anfang habe wir deutlich schlichtere Kleider verkauft“, sagt Crusz-Geschäftsführer Dirk Pfeiffer. Mittlerweile würden die Kundinnen mehr Geld ausgeben für Kleider, die üppig bestickt seien. Pfeiffer hat eine „Amerikanisierung“ der Feiern wahrgenommen. „Inzwischen wird ein unglaubliches Tamtam gemacht“, sagt er. Das Geschäft mit den Kleidern für den Abiball beginne an den Weihnachtsfeiertagen, wenn die Großeltern Geld schenken und die Eltern ein paar Tage frei haben, um mit ihren Kindern shoppen zu gehen.
Crusz führt sogar Listen, für welchen Ball eine Abiturientin ein bestimmtes Kleid kauft, damit bloß nicht zwei Damen einander die Schau stehlen können. Für den großen Auftritt bezahlen sie immerhin eine Menge Geld. Los geht es ab 200 Euro, „zwischen 350 und 600 Euro liegt der konsumige Bereich“, sagt Pfeiffer. Und es geht noch teurer. Auch die jungen Männer geben 300 bis 400 Euro für ihre Abendgarderobe aus. „Die müssen auch schick aussehen, weil die Mädels so hochdrehen“, sagt Pfeiffer.
Wer alles mitnimmt, ist schnell bei über tausend Euro
Wie extravagant die Kleider sein müssen, sei von Person zu Person unterschiedlich, meint Celina. Sie selber will nicht so viel Geld für ein Ballkleid ausgeben. Der ganze Abispaß sei schon teuer genug. Sie rechnet vor: An ihrer Schule sind die Karten auf vier pro Schüler limitiert, das sind gut 250 Euro. Die Abireise zum Goldstrand in Bulgarien kostet 500 Euro, dazu kommen das Abibuch und der Abipulli. Wer sich dann noch neu einkleiden will, ist schnell bei mehr als tausend Euro.
Aber Celina hatte Geldsorgen von einem ganz anderen Kaliber: Als Hauptverantwortliche musste sie den Vertrag mit der Eventagentur über knapp 10.000 Euro unterschreiben. Es gab keine Garantie, auf den Kosten nicht sitzen zu bleiben. Ihre Mitschüler hätte sie immer wieder an die Überweisungen erinnern müssen. „Ich hab’ das Geld jetzt drin“, sagt Celina, „seit ein paar Wochen bin ich ganz erleichtert.“ Einen Bürgen, zum Beispiel aus den Reihen der Eltern, hatte die Agentur nicht gefordert. Damit sie den Vertrag nicht ganz allein habe unterschreiben müssen, habe der Vater einer Mitschülerin ebenfalls unterzeichnet.
Geht's auch eine Nummer kleiner?
Die meisten Abiturienten sind über 18 Jahre alt und dürfen Verträge ohne das Einverständnis der Eltern abschließen. Olaf Marsson weiß, dass das problematisch sein kann. Die Schüler hätten mit 18 Jahren noch kein großes Verständnis von der Vertragswelt, sagt er.
Einen Bürgen mit einem geregelten Einkommen fordert seine Agentur dennoch nicht. Stattdessen setzt Marsson auf Aufklärung, außerdem könnten die Verträge bis drei Monate vor der Veranstaltung noch „substantiell verändert“ werden. Eine weitere Option seien Bankbürgschaften und Treuhandkonten. „Am liebsten wäre es uns, wenn die Eltern und Lehrer stärker eingebunden wären“, sagt Marsson. Denn der Abiball gilt als private Veranstaltung, nicht als offizielle.
Sebastian Semler ist der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Gymnasien im Berliner Landeselternausschuss. Außerdem hat Semler Zwillingstöchter, die dieses Jahr Abitur machen. Er kennt die Suche nach einem Elternteil als Bürge für die Vertragsabschlüsse. „Die Eventagenturen machen ein gutes Geschäft mit einer weitgehend branchenunkundigen, teilweise naiven Kundschaft“, sagt Semler.
Aber nach den stressigen Prüfungen wollten die Eltern ihren Kindern nicht auch noch in die Feierlichkeiten reinreden. Denn: „Man macht sich bei allen Seiten unbeliebt, wenn man fragt, ob es nicht auch eine Nummer kleiner geht.“
Alexandra Duong