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Die Autorin Nora Tschepe-Wiesinger ist freie Mitarbeiterin des Tagesspiegel und des Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin aus dem Südwesten. Sie studiert zurzeit in Hannover.
© privat

Zehlendorfer Schüler feiern Abitur in Spanien: Einmal Proll sein in Lloret de Mar

Fünf Tage Lloret bedeuten auch: Endlich mal nicht mehr nur funktionieren müssen. Allerdings war unserer Autorin die Verwandlung vom artigen Zehlendorfer Schüler zum Party-Tier dank Wodka Lemon auch nicht ganz geheuer. Ein Erlebnisbericht.

Um einen möglichst authentischen Bericht über die Abifahrt nach Lloret de Mar zu schreiben, müsste ich mir jetzt erstmal einen Wodka Lemon genehmigen – ohne Eis, damit das Getränk wenigstens ein bisschen nach Alkohol und nicht nur nach Wasser schmeckt. Wenn ich in Berlin drei Wodkamischgetränke hintereinander in dem für Lloret üblichen Tempo trinke, liege ich danach stockbesoffen unter dem Tisch. In dem spanischen Partyort an der Costa Brava war ich bestenfalls so angeheitert, dass ich das Gegröle meiner ehemaligen Mitschüler gar nicht mehr so assi fand und einstimmte.

Nicht nur der Alkohol ist in Lloret anders als in Berlin. Es sind vor allem die frisch gebackenen Abiturienten, die so gar nichts mehr gemein haben mit den fleißigsten und schlausten Schülern Deutschlands. Doch woran liegt das? Warum ist es zum Trend geworden, dass tausende Abiturienten ihre mühsam angeeigneten Gehirnzellen auf der Abifahrt in Rekordzeit wieder vernichten?

Bigger, better, stronger, power

In Lloret de Mar, der "Hochburg für jugendliche Party-Touristen", wie Wikipedia weiß, gelten keine Regeln; es wird gefeiert, getanzt und vor allem getrunken. Also eigentlich wie in Berlin? Nicht ganz. Um es mit eigenen Worten zu sagen: Eskalation! Um es mit Justin Biebers Worten zu sagen: "Bigger better stronger power." In Lloret ist alles bigger und better, zumindest erscheint es einem durch den literweise konsumierten Alkohol so. Und nach dem zehnten Wodka Lemon fühlt man sich auch auf einmal viel stronger und got that power (nicht ohne Grund wurde der neue Justin-Bieber-Hit zur inoffiziellen Abifahrts-Hymne gekürt).

Lloret de Mar, Party-Land auch für Zehlendorfer Abiturienten.
Lloret de Mar, Party-Land auch für Zehlendorfer Abiturienten.
© AFP

Und das Witzige: Alle machen mit!

Mit alle meine ich nicht nur meine ehemaligen Mitschüler der Droste-Hülshoff Oberschule, sondern die Abiturienten sämtlicher Zehlendorfer Gymnasien. Ob Dreilinden, Siemens, Schadow, Schiller – auf einmal tummeln sich alte Kindergartenbekanntschaften und Sportvereinsmitglieder gemeinsam um die Hotelbar. Man fühlt sich vereint. Nicht nur aufgrund des gemeinsamen Wohnortes, sondern vor allem aufgrund der gemeinsamen erreichten Freiheit. Zwölf Jahre Schule, Anstrengung, Lernerei – vorbei!

Vielen wurde das wohl erst so richtig während der fünf Tage in Lloret bewusst. Und mit dieser Erkenntnis, auf einmal nicht mehr funktionieren zu müssen, auf einmal nicht mehr Lehrern, Eltern und der eigenen inneren "Ach, du müsstest doch aber und solltest doch eigentlich…"-Stimme zu gehorchen, geht der Eskalations-Gedanke einher. Gerade als Zehlendorfer Abiturient musste man seine gesamte Schullaufzeit den hohen Erwartungen von Erwachsenen, Lehrern und Mitschülern gerecht werden.

Einmal so sein, wie man nie sein wollte

Auf ein Gymnasium zu gehen, ist als Zehlendorfer Schüler ein ungeschriebenes Gesetz, gute Noten zu haben ganz normal und später mal Karriere zu machen quasi ein Muss. Prolls und Atzen, die sich grölend am Ballermann einen Bierbauch antrinken, wurden bisher verachtet und als dumm abgestempelt. Und mit solchen will der Zehlendorfer Gymnasiast nichts zu tun haben. Zumindest, bis er Abitur hat und dann in Lloret auf einmal selbst zum Assi wird. Einmal so sein, wie man nie sein wollte, nie durfte und es vermutlich auch nie wieder sein wird. Was in Lloret allerdings nicht mit Wodka Lemon weggespült wird, ist der befreiende Gedanken: Muss ich überhaupt jemals wieder den Erwartungen anderer entsprechen oder endlich nur meinen eigenen?

Die wohl am häufigsten gebrauchte Ausrede für alles Mögliche und Unmögliche, was in Lloret unter Alkoholeinfluss passiert ist, war: "Egal, wir sind auf Abifahrt", dicht gefolgt von "Egal, wir sind in Lloret".

Baileys zum Frühstück

Denn klar, die fünf Tage Eskalation, Bier zum Frühstück und grandiose Bieber-Chartsmusik hätte es auch hier in Berlin geben können. Aber dieser prollige Lebensstil passt einfach nicht in den Akademikerbezirk mit den vielen Villen und Seen. Generell passt er wohl nirgendwo so gut hin wie nach Lloret de Mar, ein Partyort, der unter Schülern bundesweit für eskalierende Feierei und schlechten Alkohol bekannt ist. Hier guckt keiner komisch, wenn man zum Frühstück um 14 Uhr einen Baileys zum Wachwerden anstelle eines normalen Kaffees bestellt.

Als meine Schwester mich nach der Abifahrt fragte, ob ich noch mal zurück wolle, war ich ehrlich entsetzt und sagte eindeutig: Nein!

Die Autorin Nora Tschepe-Wiesinger (19) hat schon aus London für die Paralympics-Zeitung des Tagesspiegels gearbeitet. Kürzlich hat sie das Abitur an der Droste-Hülshoff-Oberschule gemacht. Sie wohnt in Zehlendorf. Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels.

Nora Tschepe-Wiesinger

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