Abiball auf Bestellung?: Andere Zeiten, andere Feste
Noch vor einigen Jahren war eine fremdorganisierte Abiturfeier für Gymnasiasten nicht üblich. Jede Generation machte Party nach ihrer Façon: ein bisschen pompös, ein wenig peinlich berührt – oder einfach gar nicht. Einige Erlebnisberichte.
2002: BESCHWIPSTE ALTE
In unserer Schulaula erschienen mir die Eltern meiner Klassenkameraden wie ausgewechselt, so überschwänglich. Vor dem Schuleingang lüpfte die Mutter eines Freundes am Rückenausschnitt mein blaues Abendkleid. Sie wollte sehen, ob ich darunter Unterwäsche trage. Ein heikler Gedanke schlich sich ein: Hoffentlich benehmen sich meine Eltern. Drinnen ging das Grauen weiter, dort sah ich meinen Vater zum ersten Mal tanzen – mit meiner besten Freundin. Es wurde nicht besser, als er vor Begeisterung auf den Fingern pfiff. Nach kurzer Zeit war klar, wer es heute krachen lässt: die beschwipsten Alten. Ein bisschen verrückt sein, ein bisschen sich an die eigene Schulzeit erinnern. Für sie war es ein großer Tag. Für uns zählte mehr: sich nach den Prüfungen am See treffen, beim Abistreich die Schule auf den Kopf stellen und Pläne für die Zukunft schmieden. Franziska Felber
1972: HOCH AUF DEM GRÜNEN WAGEN
Die Tanzstunde mit obligatorischem Abschlussball hatten alle in der Klasse noch brav durchgestanden. Wenige Jahre später in der Ober-Prima sah es anders aus: Ein spießiger Abiball? Für die 13 LG des Gymnasiums Ernestinum in Celle war das im Frühjahr 1972 undenkbar, und für die beiden Parallelklassen sowieso. Aber gefeiert wurde doch, hoch auf dem grünen Wagen, gezogen von einem Traktor – ich weiß noch immer nicht, woher der Mitschüler am Lenkrad, bereits mit Führerschein gesegnet, das Gespann organisiert hatte.
Damit ging es durch Celles Innenstadt, vorbei an unserer Schule und den anderen Gymnasien, einer Vatertagspartie ähnlich, daher mit viel bierseligem Krakeel. Die Passanten guckten nicht immer verständnisvoll. Auch die Zeugnisübergabe einige Tage später war nicht wirklich eine Feier: Wir trugen dunkle Anzüge, und ich soll mich beim Erhalt der Urkunde sogar ein wenig verbeugt haben. Meinen Vater muss das gefreut haben: „Wenn es drauf ankommt, weiß er sich doch zu benehmen.“ Andreas Conrad
2003: ZUM EINNICKEN
Mein Abiball war eine Mischform aus Eigeninitiative und Outsourcing. Ich kann daher behaupten: Schiefgehen kann beides! Unser Abiball-Komitee mietete eine lokale Mehrzweckhalle, deren Betreiber das Catering und die Logistik vor Ort übernahmen. Gestaltung und Programm des Abends lag jedoch in den Händen der Mitschüler. Gemütlich war’s, so kuschelig, dass die Hälfte der Anwesenden beim Programm wegnickte, da es schlecht geplant war und uninspiriert umgesetzt wurde. Wenigstens gab’s richtig gutes Essen, sofern man rechtzeitig am Büfett war. Das Fleisch war nämlich abgezählt. Immerhin: Der Nudelsalat war lecker. Erst derartige Fauxpas machen den Abend unvergesslich und erzählenswert. Marcus Rossow
1975: ENDLICH FREI
In den späten Ausläufern der 68er-Revolution galten Bälle 1975 unter uns jungen Wilden noch als extrem bürgerlich, also ultimativ spießig und überflüssig. Damals pflegte man sich von den Eltern im Gammellook abzusetzen. Man lebte in Jeans und T-Shirts und traf sich zum Feiern in verräucherten Kneipen, wo man Pizza aß und Bier oder italienischen Rotwein dazu trank und stundenlang philosophierte, zum Beispiel über Nihilismus oder Existenzialismus. Zwar gab es nach dem Abitur eine kurze Abschlusszeremonie in der Schule, zu der auch die Eltern geladen waren. Aber die war vormittags und manchen auch schon zu viel. Wichtig war damals nur die Freiheit. Nach der letzten Mathearbeit meines Lebens war ich abends unterwegs zu einer Kneipe namens „Bunker“. Auf dem Weg traf ich einen alten Freund, den ich zuletzt beim Konzert mit „Ton, Steine, Scherben“ gesehen hatte. An jenem Abend traf mich die Liebe wie ein Feuerstrahl, und der „Bunker“ glitzerte so glamourös, wie kein Ball es je vermöchte. Elisabeth Binder
2002: STIL UND WAHNSINN
Natürlich musste es ein bisschen pompös sein. Es war ja der erste große Ball des Lebens – und gleichzeitig der Abschluss eines Lebensabschnitts. Die Mädels schafften sich zur Abiturfeier die schönsten Abendkleider an, die sie finden konnten, und die Jungs warfen sich, einige zum ersten Mal überhaupt, in einen Anzug. Auf den Veranstaltungsort hatten wir keinen Einfluss, traditionell lässt das Gymnasium Michendorf seine Abiturienten in einem Potsdamer Hotel auftanzen. Die Gestaltung des Abends jedoch oblag uns Schülern des Abschlussjahrgangs 2002, und so entstand eine gesunde Mischung aus Stil und Wahnsinn. Nachdem die stolzen Eltern die Feier nach dem offiziellen Teil mit Fotoshooting, Zeugnisausgabe und anschließendem Dinner verlassen hatten, ging die Party richtig los. Wir feierten den Augenblick und uns selbst – die meisten bis in den frühen Morgen. Wenige Stunden später, zur besten Frühstückszeit, verlor Deutschland das WM-Finale gegen Brasilien. Katrin Schulze
1958: WEIN UND KNABBERZEUG
Ein Abiturball? Obendrein auf Bestellung bei einem Serviceunternehmen? So ein Luxus wäre anno 1958 niemandem eingefallen, man machte damals keine großen Sprünge in West-Berlin. Wir Ost-Schüler im Westen stellten sowieso keine Ansprüche, Hauptsache Abitur. Die Flüchtlingsfamilien hatten mit dem Aufbau der Existenz zu tun, und diejenigen, deren Eltern im Osten lebten, hatten es besonders schwer. Wir mit unserem Extra-Lehrplan in den Ost-Klassen der Robert-Blum-Schule in Schöneberg müssen auf die „Eingeborenen“ exotisch gewirkt haben. Deren Sorgen waren nicht unsere. An die Abifeier habe ich wohl deshalb nur vage Erinnerungen. Die Zeugnisse überreichte der Direktor allen Abiturienten in der Aula – Festakt am Vormittag, Sonntagskleidung, Reden, Streichquartett, Schulchor. Wir aus den drei Ost-Klassen trafen uns zum lustigen Abend in der Schule. Es gab eine selbst gebastelte Abizeitung, einige Lehrer feierten mit. Wir hatten Knabberzeug und Getränke herbeigezaubert, vielleicht auch ein bisschen Wein. Ich weiß nur: Wir waren glücklich. Brigitte Grunert
2009: EDEL UND BERAUSCHEND
Nach den Abschlussprüfungen mit einem Ball die Schulzeit zu feiern gehört an der Berlin International School in Dahlem schon zur Tradition. Unser Jahrgang hat sich dem angeschlossen und selbst eine Feier auf die Beine gestellt. Wir haben über 500 Gäste im Grand Hyatt Hotel am Marlene-Dietrich-Platz begrüßen dürfen. In einem von uns möblierten Festsaal mit Bühnenbild wurde dann ein schmackhaftes Drei-Gänge-Menü verzehrt, danach sorgten eine Live-Band und anschließend ein DJ für Unterhaltung. Das Ganze hat insgesamt mit 30.000 Euro gekostet - mit Ticketverkäufen, Unterstützung von den Eltern und verschiedenen Spendenaktionen ist das beglichen worden. Das Ergebnis: Die ganze Klasse in Schale geworfen feierte mit Freunden und Familie ein berauschendes Fest in edlem Ambiente. Jakob Hauser
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