Vom Frauenschwarm zum Flüchtigen: Wer ist Carlos Ghosn, der Mann, der Japans Behörden narrte?
Die Flucht des Ex-Nissan-Chefs hält die Welt in Atem. Ein Blick auf die Karriere des einstigen Star-Managers zeigt, wie tief dessen Fall ist.
Als sein Stern am hellsten leuchtete, wurde Carlos Ghosn verehrt wie ein Superheld und zum Star eines Manga-Comics. Mehr geht kaum in Japan, zumal für einen Ausländer, der an die Spitze der sonst eher verschlossenen Managerkaste des Landes aufgestiegen war.
Als wäre sein Absturz mit Monaten in Haft wegen des Verdachts auf mehrere Finanzdelikte nicht schon filmreif genug gewesen, hat der einstige Sanierer von Renault und Nissan mit seiner Nacht-und-Nebel-Flucht aus Japan nun selbst für eine weitere Wende im Drama seines Lebens gesorgt.
Ende Dezember war Ghosn aus Japan geflohen. Seitdem hielt der Wirtschaftskrimi um den 65-Jährigen die Weltöffentlichkeit in Atem. Und wie in Hollywood fielen dem Spannungsbogen als erstes Nebenfiguren zum Opfer. Am Donnerstag verhaftete die türkische Polizei sieben mutmaßliche Fluchthelfer, darunter vier Piloten. Sie sollen Ghosn geholfen haben, aus einer Art Hausarrest in Tokio zu fliehen und mit einem Privatjet nach Istanbul und dann nach Beirut zu fliegen.
In Tokio durchsuchten Ermittler am Donnerstag derweil das Haus von Ghosn in der Hoffnung, etwas mehr Licht ins Dunkel zu den genauen Umständen der Flucht zu bringen. Auch Interpol schaltete sich ein. Gerüchte, wonach der 65-Jährige versteckt in einem Instrumentenkasten aus der Wohnung und an den Aufpasser vorbei geschmuggelt wurde, machten die Runde. Während drei seiner Pässe bei einem Anwalt unter Verschluss sind, hat Ghosn offenbar noch einen weiteren französischen Pass.
Nissan-Detektive waren abgezogen worden
Am Freitag wurde bekannt, dass Ghosn Jets der türkischen Firma MNG „illegal“ genutzt habe, wie das Unternehmen auf seiner Website mitteilte. Man habe Anzeige erstattet, „um jene zu belangen, die beteiligt waren“. MNG erklärte, ein Mitarbeiter habe zugegeben, Dokumente gefälscht zu haben.
Reuters erfuhr am Samstag von drei mit der Angelegenheit vertrauten Personen, dass Ghosn seine Wohnung in Tokio verlassen habe, nachdem eine private Sicherheitsfirma die Überwachung des früheren Spitzenmanagers eingestellt habe. Die Firma sei von Ghosns früherem Arbeitgeber Nissan beauftragt worden.
Außerdem soll eine Auswertung der Überwachungskameras ergeben haben, dass er sein Haus in Japan allein verlassen habe. Im Libanon, so wurde indes bekannt, wird er bald von der Justiz vorgeladen. Das sei allerdings lediglich Formsache.
Seine Kaution in Japan kann Ghosn jetzt aber wohl vergessen. Umgerechnet acht Millionen Euro hinterlegte der Manager im April als Pfand, als er aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Knapp fünf Monate war er zuvor im Gefängnis, nachdem ihn die japanische Polizei erstmals im November 2018 festgenommen hatte.
Die Anklage spricht von Verstößen gegen Börsenauflagen und die Verschleierung des wahren Salärs des Nissan-Chefs, der mehr als doppelt so viel erhalten haben soll, wie auf seinem Gehaltszettel stand.
120 Millionen Dollar Vermögen
In Japan sind exorbitante CEO-Gehälter auch unter Konzernchefs eher unüblich. Und bei Renault achtet der französische Staat darauf, dass sich die Spitzenmanager nicht zu reich belohnen. Ghosns Vermögen wird trotzdem auf 120 Millionen Dollar geschätzt. Zudem zahlte Nissan wohl für den Kauf einer Neun-Millionen-Dollar-Villa für Ghosn und seine Familie in Beirut, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg herausfand. Renault wiederum beteiligte sich an den Kosten für die Hochzeit des Chefs. Sie fand im Schloss Versailles statt.
Fast zwei Jahrzehnte lang orchestrierte Ghosn das europäisch-asiatische Bündnis aus Renault, Nissan und Mitsubishi, das er zum zwischenzeitlich zweitgrößten Autobauer der Welt formte. Nachdem er Renault saniert und den Spitzennamen „Le Cost Killer“ bekommen hatte, rettete er Nissan. Die Franzosen hatten sich zuvor bei den kriselnden Japanern eingekauft. Nie zuvor war ein Manager zugleich Chef von zwei Fortune-500-Konzernen, und das auch noch auf unterschiedlichen Kontinenten.
Die japanische Industrie-Ikone war nicht nur in einer Krise. Es drohte der Untergang. Der Turnaround und die anschließende Erfolgsgeschichte wurden Ghosn in Japan deshalb hoch angerechnet. Schließlich überholte Nissan sogar Honda. Auf die Frage, wen sie gerne heiraten würden, sagten damals die meisten japanischen Frauen einer Umfrage zufolge: Ghosn. Bis zu seiner Festnahme steuerte er ein Weltreich mit 122 Fabriken und 470000 Mitarbeitern.
Er brachte Nissan auf Vordermann
In Brasilien als Sohn libanesischer Einwanderer geboren, studierte Ghosn an einer französischen Elite-Uni, bevor er beim Reifenhersteller Michelin anheuerte. Mit 27 Jahren wurde der Ingenieur Fabrikchef. Später übernahm er das Südamerika-Geschäft von Renault, bevor er in Paris zum Vorstandschef wurde.
Den Ruf als harter Sparer wurde er zwar nie wieder los, weil er auch bei Nissan und Mitsubishi den Rotstift ansetzte. Er selbst mochte das Label aber nicht besonders. Sparen allein sei auch keine Strategie, so sein Mantra.
Früher als andere Automanager ließ Ghosn Elektroautos zur Marktreife entwickeln. Der Nissan Leaf etwa läuft schon seit 2010 vom Band und ist das meistverkaufte E-Auto der Welt. In den vergangenen Jahren verhob sich der mehrsprachige Manager aber mit einigen Zielen.
Die Welt wartet auf Ghosns öffentlichen Auftritt
So sollte Nissan in den USA enorme Marktanteilsgewinne einfahren, was mit Rabatten und mitunter Qualitätsproblemen einherging. Mit diesen und anderen Problemen haben seine Nachfolger nun zu kämpfen: Nissans Gewinne sind eingebrochen, tausende Jobs auf der Kippe.
Am Donnerstag sah es so aus, als könnte Ghosn nicht nur 2020 in Freiheit genießen können. Libanon und Frankreich werden ihn wohl nicht zurück nach Japan schicken. „Frankreich liefert niemals seine eigenen Staatsangehörigen aus“, stellte die französische Wirtschaftsstaatssekretärin Agnès Pannier-Runacher gestern im Radio klar.
Nun wartet die Welt auf Ghosns angekündigten öffentlichen Auftritt in der kommenden Woche. In einer ersten Stellungnahme sagte der gefallene Manga-Held nur, dass er „nicht länger eine Geisel des manipulierten japanischen Justizsystems“ sei. Jetzt könnte er sich stattdessen um seine Weingüter im Libanon kümmern – sie zählen zu den größten des Landes.
Felix Wadewitz
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