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Unbezahlte Überstunden lösen bei vielen Azubis in einer unverhältnismäßigen Menge so viel Unmut aus, dass sie ihren Vertrag vorzeitig kündigen.Foto: Wolfgang Thieme/ ZB
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Auszubildende in Deutschland: Wenig Stellen, viele Abbrecher

Oft sind Auszubildende mit ihrer Lehre unzufrieden und hören vorzeitig auf. Dazu kommt: Immer mehr Betriebe wollen erst gar nicht mehr ausbilden.

In der Hauptstadt bilden immer weniger Unternehmen junge Leute aus. Das ist ein Ergebnis des Ausbildungsreports 2015, den der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) nun vorgestellt hat. Laut der diesjährigen Befragung der Jugendabteilung des DBG Berlin-Brandenburg ist die Ausbildungsquote der Berliner Betriebe im vergangenen Jahr noch weiter auf 12,5 Prozent gesunken.

Nur etwa jedes achte Unternehmen in Berlin bildet also derzeit Lehrlinge aus. Das ist die niedrigste Ausbildungsbeteiligung von hauptstädtischen Firmen seit der ersten Publikation des DBG-Reports vor zehn Jahren. Im bundesweiten Vergleich landet Berlin damit auf dem letzten Platz. Für den Report hatte die Gewerkschaft rund 1800 junge Menschen in der Region zu ihren Ausbildungsbedingungen befragt.

Mehr Bewerber als offene Stellen

In Berlin gibt es nach den aktuellen Zahlen mehr Bewerber um einen Ausbildungsplatz als offene Stellen – ein Manko, das vor allem die Unternehmen beseitigen müssen. „Wir können selbstverständlich niemand dazu zwingen, im Betrieb auszubilden“, sagte Doro Zinke, die DGB-Vorsitzende für Berlin und Brandenburg bei der Vorstellung des Reports. Allerdings sollten Berlins Unternehmen ihre Zurückhaltung bezüglich der Einstellung von Azubis schnellstens überdenken, forderte Zinke.

Nicht nur könnten Firmen mithilfe von Lehrlingen dem Fachkräftemangel entgegenwirken und für den Fortbestand ihrer Betriebe sorgen. Eine fundierte duale Ausbildung in Unternehmen und Berufsschulen könne jungen Menschen darüberhinaus auch eine sinnstiftende berufliche Perspektive bieten.

Gründe für die hohe Abbrecherquote

Laut DGB bilden in der Hauptstadt neben einigen mittelständischen und großen Unternehmen vor allem kleine, inhabergeführte Handwerksbetriebe Nachwuchskräfte aus. Doch gerade viele dieser Kleinfirmen haben nach den Zahlen des DGB in den vergangenen Jahren offenbar schlechte Erfahrungen mit Lehrlingen gemacht: Im Berliner Handwerk bricht fast die Hälfte der dort beschäftigten Azubis die Ausbildung ab. In der Industrie und beim Handel lösen etwas mehr als 30 Prozent der Lehrlinge ihre Verträge vorzeitig auf. Allerdings verlassen einige von ihnen das duale System nicht gänzlich, sondern wechseln entweder den Betrieb oder den Ausbildungsberuf.

Die hohe Abbrecherquote ist aus Sicht des DGB ein Abbild der Rahmenbedingungen, die die Auszubildenden in den Betrieben vorfinden. So würden nicht wenige Lehrlinge in ihrer Ausbildung zu Tätigkeiten herangezogen, die wenig bis gar nichts mit dem künftigen Beruf zu tun haben. Eine Befragte hatte diesbezüglich bei der aktuellen Umfrage ein paar Stichworte auf einen Zettel geschrieben – „Gassigehen, Kaffeekochen und Zigarettenholen“ stand darauf.

Tätigkeiten wie diese führten bei den Auszubildenden zu hoher Unzufriedenheit. Zudem lösten unverhältnismäßig viele unbezahlte Überstunden bei zahlreichen Azubis Unmut aus und führten häufig zur Kündigung des Ausbildungsvertrages. So müssten besonders die Lehrlinge in der Gastronomie und im Handel häufig zehn Stunden pro Woche mehr arbeiten, als ihr Arbeitsvertrag dies vorsehe. „Das ist ein absolutes No-Go“, kritisierte Zinke. „Azubis sind keine billigen Arbeitskräfte, sondern Menschen, die etwas lernen sollen.“

Mögliche Lösungen des Problems

In einigen Fällen fühlt sich der Nachwuchs im Ausbildungsbetrieb laut DGB-Frau Zinke aber auch einfach nur schlecht betreut. Offenbar mangelt es vielen Firmen im persönlichen und professionellen Umgang mit Lehrlingen dabei nicht nur an Fachkenntnissen, sondern auch an Zeit und Personal. So verfügten vor allem große Unternehmen über eine eigene Ausbildungsabteilung und einen Betriebsrat, der sich den Sorgen und Nöten des Nachwuchses annehmen könne.

Dagegen hätten kleine Unternehmen oft nicht einmal die personellen Ressourcen, um sich adäquat um Lehrlinge zu kümmern. Abhilfe könnten staatliche oder private Mentoren-Programme schaffen. Dabei nehmen sich berufserfahrene Externe der Auszubildenden an.

Ein Mentorenprogramm für Auszubildende

Unbezahlte Überstunden lösen bei vielen Azubis in einer unverhältnismäßigen Menge so viel Unmut aus, dass sie ihren Vertrag vorzeitig kündigen.Foto: Wolfgang Thieme/ ZB
Unbezahlte Überstunden lösen bei vielen Azubis in einer unverhältnismäßigen Menge so viel Unmut aus, dass sie ihren Vertrag vorzeitig kündigen.Foto: Wolfgang Thieme/ ZB
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Manchmal sind Auszubildende unsicher. Mache ich das richtige? Schaffe ich das? Sie hadern mit sich, brechen die Lehre ab. Die Initiative VerA möchte das verhindern – und bietet den Jugendlichen etwas, das sie noch nicht haben, aber was sie in einer Krise beruhigt: Erfahrung.

Der Name VerA steht für „Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen“. Fach- und Führungskräfte, die im Ruhestand sind, begleiten Auszubildende manchmal ein Jahr, manchmal vom Beginn der Lehre bis zur Abschlussprüfung. Oder sie suchen mit ihren Schützlingen nach einem neuen Betrieb, wenn sie zu unglücklich sind. Zusammengeführt wird das Tandem vom Senior Experten Service (SES). Dem Initiator des Projekts. Er überlegt, wer fachlich zueinander passt und nicht zu weit voneinander entfernt wohnt.

Was die Auszubildenden bewegt

Wie oft und wie lange sich der Auszubildende mit seiner Vertrauensperson trifft, ist immer verschieden. Vorgaben gibt es nicht. Sie sprechen über Probleme in der Berufsschule, über Noten, Prüfungsängste, über Konflikte im Ausbildungsbetrieb oder private Sorgen. Die Mentoren stärken das Selbstbewusstsein der jungen Leute, motivieren sie, hören sich ihre Fragen und Zweifel an, suchen nach Lösungen.

Was die Jugendlichen genau bewegt, stellt sich so dar: Bei zwei Dritteln der Jugendlichen ist das Ausbildungsverhältnis nach eigenen Angaben gefährdet; ein Drittel möchte mit Hilfe des Initiative seine Leistungen verbessern. Mehr als die Hälfte braucht Unterstützung bei der Fachtheorie, ein Viertel bei der Prüfungsvorbereitung. Bei jedem Fünften stehen sprachliche Mängel im Fokus, ein Drittel möchte seine sozialen Kompetenzen und die Lernmotivation verbessern. Mobbing und finanzielle Probleme sind bei jedem Fünften Thema.

80 Prozent der Fälle erfolgreich

Um helfen zu können, brauchen die Mentoren vorab ein erweitertes Führungszeugnis und sie müssen eine zweitägige Schulung besuchen. In Rollenspielen üben sie den Umgang mit Jugendlichen und lernen das Prozedere kennen. Zwei Mal im Jahr fertigen sie einen Bericht an: Wo stand der Azubi, wo steht er jetzt. Ihre Arbeit ist ehrenamtlich. Im Monat bekommen sie eine Aufwandsentschädigung von 50 Euro.

Seit Ende 2008 haben die 1500 Mentoren rund 5000 Jugendlichen in Deutschland geholfen. „Über 80 Prozent der Tandems waren erfolgreich“, sagt Hans-Peter Apel, Regionalkoordinator in Berlin. Besonders stark sei die Nachfrage bei Friseuren, Köchen, Hotelfachleuten, Maler und Lackierern. Anmeldungen sind unter www.vera.ses-bonn.de möglich.

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