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Werbung für Süßigkeiten ist verlockend: Kinder sind dadurch leicht beeinflussbar.
© imago/CHROMORANGE

Studie zu Marketing bei den Jüngsten: Kinder sehen täglich 15 Werbungen für ungesunde Lebensmittel

Eine neue Studie zeigt, wie gezielt Lebensmittelhersteller ungesunde Produkte bei Kindern bewerben. Jetzt fordern Ärzte und Verbände ein Verbot.

Dagmar Kazakov sitzt auf dem Boden vor ihrem Kühlschrank und lacht in die Kamera. In der einen Hand balanciert sie eine volle Müslischüssel, in der anderen Hand hält sie eine bunte Packung Frühstücksflocken. Das Foto hat sie auf Instagram hochgeladen.

Darunter schreibt sie: „My head says gym, but my heart says foooood“ („Mein Kopf sagt Sport, aber mein Herz sagt Essen“). 150.000 Likes hat ihr Post erhalten, sechs Millionen Nutzer folgen ihrem Instagram-Kanal. Dagmar Kazakov gehört als „DagiBee“ zu den erfolgreichsten Influencerinnen Deutschlands.

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Beiträge wie ihren sieht Hans Hauner allerdings extrem kritisch – vor allem, wenn die Influencer ungesunde Lebensmittel in die Kamera halten. „Influencer-Werbung ist besonders gefährlich, weil sie die Werbung auf PeerGroup-Ebene vermittelt und die Idol-Funktion von Influencern ausgenutzt wird“, sagt der Vorstandsvorsitzender der Deutschen Diabetes Stiftung. Zusammen mit dem Bundesverband der AOK, den Berufsverbänden deutscher Kinderärzte und der deutschen Allianz nichtübertragbare Krankheiten (DANK), fordert er ein Verbot von Werbung für ungesunde Lebensmittel, die sich direkt an Kinder richtet.

Neue Studie zu Kindermarketing

Anlass für die Forderung ist eine aktuelle Studie: 92 Prozent aller Lebensmittelwerbungen, die Kinder in den Medien sehen, bewerben demnach Lebensmittel, die die Weltgesundheitsorganisation als ungesund einstuft. Im Durchschnitt sehen Kinder zwischen drei und 13 Jahren täglich über 15 Werbungen für ungesunde Lebensmittel.

Je ungesünder das Lebensmittel sei, desto mehr Marketing für die Zielgruppe Kind würde betrieben, sagt Tobias Effertz von der Universität Hamburg. Er hat die Studie im Auftrag der DANK und des AOK-Bundesverbandes durchgeführt.

Demnach hat auch Werbeintensität zugenommen. Allein im Fernsehen, ist die Zahl der Werbespots pro Stunde seit 2007 um 30 Prozent gestiegen. Aber auch die sozialen Medien hätten eine enorme Bedeutung, betont Effertz. Sowohl auf Facebook als auch auf Youtube seien die Unternehmen stark präsent und würden ganz massiv auf Influencer setzten, um ihre Produkte zu bewerben.

Unter dem Frühstücksflocken-Beitrag von Dagmar Kazakov finden sich tatsächlich unzählige Kommentare, Herzchen und hungrige Smilies, mit denen ihre Abonnenten auf das Foto reagieren. Schaut man sich die Profile an, sind es tatsächlich überwiegend Jugendliche, die Kommentare hinterlassen.

Die Folgen dieser Werbung sehe sie seit Jahren in ihrer Praxis, sagt Sigrid Peter. Sie ist Kinder- und Jugendärztin in Berlin und stellvertretende Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinder und Jugendärzte. Übergewicht und Diabetes hätten in den letzten Jahren bei den Kindern stark zugenommen. In Deutschland ist jedes siebte Kind übergewichtig. Die Chancen, dieses Übergewicht im Laufe des Lebens wieder loszuwerden, seien unglaublich schlecht, sagt sie.

Kinder reagieren auf Werbung

„Es gibt eine Fülle von Studien, die eindeutig belegen, dass an Kinder gerichtete Werbung wirksam ist und Kinder die beworbenen Lebensmittel vermehrt konsumieren“, sagt Hauner. In Ländern mit entsprechenden Werbeverboten sei der Fastfood-Konsum von Kindern deutlich niedriger.

In Deutschland ist Lebensmittelwerbung, die sich gezielt an Kinder richtet, nicht reglementiert. Auf europäischer Ebene gibt es seit 2007 lediglich eine freiwillige Selbstverpflichtung für große Unternehmen.

„An Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung müssen wir stärker in den Blick nehmen“, sagt Julia Klöckner (CDU), Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, dem Tagesspiegel. „Ich meine, hier sind weitergehende Beschränkungen notwendig.“ Dies gelte gerade auch für den digitalen Bereich, der für den Medienkonsum von Kindern immer relevanter wird.

„Die Industrie hat ihre Chance gehabt und sie nicht genutzt. Es wird daher höchste Zeit, diese Branche in die Pflicht zu nehmen“, sagt indes Kai Kolpatzik vom AOK-Bundesverband. Schon jetzt würden die Folgen von Adipositas die Krankenkassen Milliarden kosten.

Die Lebensmittelverbände weisen die Forderungen der Verbände mit Blick auf die Selbstverpflichtungen zurück. Ein Verbot sei nicht dafür geeignet, etwas zur Lösung des Problems Übergewicht beizutragen, schreibt der Bundesverband der deutschen Süßwarenindustrie. Niemand werde durch einen Verzicht auf Werbung für Süßwaren schlanker oder gesünder, es sei stattdessen wichtig, die Medienkompetenz der Kinder und Jugendlichen zu stärken.

Vivien Götz

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