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Klein und freundlich. Roboter Pepper könnte bald in deutschen Pflegeheimen zum Einsatz kommen.
© Foto: picture alliance / Julian Stratenschulte/dpa

Industrie 5.0: Schuften bis der Roboter kommt

Smart Factorys und Maschinen als Krankenpfleger: In der Wissenschaftsakademie Leopoldina in Halle debattierten Experten über die Arbeitswelt der Zukunft.

Roboter werden künftig die Produktion, aber auch bestimmte Dienstleistungen in einem Maße verändern, wie wir uns das noch kaum ausmalen können. Und "Künstliche Intelligenz" (KI) wird Menschen vorbehalten glaubten. Oder nicht? Oliver Niggemann, Professor am Karlsruher Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und nebenbei Leiter einer "Smart Factory" als Versuchsanstalt, zeichnet ein weniger spektakuläres Bild. Die Schaubilder, die er auf die Leinwand projiziert, mögen Informatiker begeistern - dem Durchschnittszuhörer dünken sie, nun ja, wie Schaubilder, die eine komplizierte Beziehung, etwa zwischen Maschinenleistung und Energieverbrauch, darstellen, aber mehr auch nicht. KI? Nun gut, künftig werden Maschinen sich selbst regulieren können und ihren Energieverbrauch optimieren, aber das wirkt auch nicht spektakulärer als die Klimaanlage im Hotelzimmer.

Schon reden die Experten, die am vergangenen Wochenende bei der Veranstaltung der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle/Saale zum Thema "Industrie 4.0" das Wort ergriffen, lieber von "Industrie 5.0", wenn sie eine menschenähnlich funktionierende Produktion meinen, während "4.0", eben noch zum Zauberbegriff für computergesteuerte Industrie ausgerufen, lediglich "ein bisschen besser" als das für rückständig erklärte Heute meint. Worüber reden Spezialisten, deren Berufsalltag an der Verbreitung leuchtender Zukunftsszenarien besteht, und Laien miteinander? Offenbar reden sie wenn schon nicht aneinander vorbei, so doch nicht unbedingt über dieselbe Sache.

Begonnen hatte die Hallenser Zusammenkunft mit einer "Unterhausdebatte", einem unterhaltsamen Format, bei dem die Tagungsteilnehmer je nach ihrem "Ja" oder "Nein" zu einer rasch gestellten Frage die Seiten der einander gegenüber aufgebauten Sitzreihen wechseln mussten. Glauben Sie, dass wir am Beginn einer Revolution stehen? Dass Computer die Arbeitswelt von Grund auf verändern werden? So in dem Stil. Zwei Moderatoren liefen mit Mikros hin und her, um spontane Meinungsäußerungen nach dem Zufallsprinzip abzufragen. Derlei hielt zumindest wach und munter.

Die Technik-, Informatik- und Systemwissenschaftler jedenfalls reden von roboterisierter Produktion, verdächtig häufig aber auch von "Pflegerobotern", die das Los der Kranken und Pflegebedürftigen erleichtern werden. Wie bitte? Dass der human factor in der Zukunftsdenke so gar keine Rolle mehr spielen soll, lässt die Alarmglocken schrillen. Wenn Pflegebedürftige etwas zuallererst brauchen, dann ist es Zuwendung und nicht ein Essenstabletthinstellroboter. Der kann zwar nützlich sein, indem er die Pflegekraft vom Essenbringen entlastet, aber hilfsweise – und nicht ersatzweise.

In der industriellen Produktion mag jede Ablösung des Menschen durch die Maschine sinnvoll sein. Ob für die von ihrer Arbeitslast befreiten bisherigen Beschäftigten dann tatsächlich ein Leben voll selbstbestimmter Kreativität anbricht, wie es die Wissenschaftler zeichneten, lassen wir dahingestellt sein. Der dumpfe Trinker an der "Schnapsbude", den ein Teilnehmer als einzige glücksresistente Ausnahme von der anbrechenden Kreativitätsgesellschaft zugestehen wollte, wird eher nicht allein bleiben auf der Suche nach einem Lebenssinn, wenn ihm die Arbeit erst einmal ab- und weggenommen wurde, und zwar endgültig. Dass Natur- und Technikwissenschaftler - und solche versammelt die ehrwürdige Leopoldina - keine Sozialwissenschaftler sind, die sich mit solchen Fragen vermehrt beschäftigen und bis hinein in die allmählich aufwachende Politik ihre Forschungen vermitteln, merkte man am fröhlich zur Schau getragenen Zukunftsoptimismus deutlich.

Kathrin Möslein, Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Universität Erlangen-Nürnberg, stellte anderentags ihren Abschlussvortrag unter die Doppelfrage "Anders arbeiten? Wohin führt die Digitalisierung der Wirtschaft?" und suchte dem Publikum die Angst vor Neuerungen, gar vor der vielbeschworenen "Disruption" zu nehmen. Am Anfang stünde immer die Erwartung, eine neue Technik werde das Bestehende lediglich ersetzen: Substitution. Dann aber folge eine Experimentierphase und - surprise! - das Bestehende kann ersetzt werden. Danach erst greift Innovation als Neues jenseits des verdrängten Alten. Schade, dass die Referentin im Folgenden abbog auf ihre eigenen Experimente mit Produktdesign durch Umsetzung von Kundenwünschen: der Turnschuh, der in einem entsprechenden Laden nach Kunden-Design gefertigt, wird. Das also ist die viel beschworene Individualisierung, die die Wohlstandsgesellschaften des Westens angeblich erleben: der etwas andere, "persönliche" Turnschuh. Möslein nennt einen solchen Prozess "Selbstselektion" und sieht darin den "zentralem Innovationstreiber". Für Produktdesign?

Kurzum, die Arbeitswelt der Zukunft tauchte in der Leopoldina-Tagung noch arg schemenhaft auf; und was KI in absehbarer Zeit leisten kann, darf man wohl getrost eine Stufe niedriger ansetzen, als es die gängigen Szenarien vorgaukeln. Doch die Warmlämpchen flackern: Hatte doch ein bekanntes Berliner Internet-Unternehmen wenige Tage zuvor bekannt gegeben, 250 Mitarbeiter seiner Marketingabteilung zu entlassen. Weil deren Arbeit künftig von einem Algorithmus erledigt wird. Manchmal geht Disruption eben verdammt schnell.

Bernhard Schulz

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