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Nähen im Akkord. 14-Stunden-Schichten sind üblich in der Modeproduktion in Asien.
© AFP

Nachhaltigkeit statt Schmuddelimage: Weiße Weste für die großen Modekonzerne

Die großen Modekonzerne wollen ihr Image verbessern – und werben mit Nachhaltigkeit. Hilfsorganisationen kritisieren die Aktionen als "Tropfen auf den heißen Stein".

Berlin - In zartes Grün gehüllt lächelt Vanessa Paradis von den Plakaten herunter, für den schwedischen Modekonzern H&M. „Conscious Collection“ heißt die fabenfrohe Kollektion aus Bio-Baumwolle und Recycling-Polyester, mit der die Kunden in die Läden gelockt werden sollen. „Nachhaltigere Mode“, zu „erschwinglichen Preisen“ verspricht gerade das Unternehmen, das immer wieder von Hilfsorganisationen wegen seiner Billig-Angebote kritisiert wird.

Die großen Modekonzerne haben die Nachhaltigkeit für sich entdeckt und versuchen, ihr Schmuddelimage abzuschütteln. Nicht nur H&M, auch der Modekonzern Inditex, zu dem Marken wie Zara und Bershka gehören, wirbt mit seinen Nachhaltigkeitszielen. Bis 2020 will das Unternehmen giftige Chemikalien aus seiner Produktion verbannen. Die Tochter Zara eröffnete in Rom eine Energiespar-Filiale und versprach nach den Sklaverei-Skandalen in Brasilien mit einer Null-Toleranz-Vereinbarung strenge Kontrollen seiner Zulieferer.

„Ethisches Verhalten als Wettbewerbsfaktor kommt nun auch in der Modeindustrie an“, sagt der Ökonom Ulrich Thielemann, der die Denkfabrik für Wirtschaftsethik in Berlin leitet.Kleine Firmen, die im teureren Segment nachhaltige Kleider anbieten, gebe es schon lange, doch nun tue sich auch etwas bei den großen Billig-Ketten.

Als einen Hauptauslöser dafür sieht Thielemann die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise, die einen Wandel bei den Konsumenten ausgelöst habe. „Die Krise hat den Glauben in den reinen Markt erschüttert und die Frage nach einer moralischeren Ordnung neu aufgeworfen“, sagt Thielemann. Zudem gerieten Skandale wie der verheerende Brand in einer Fabrik in Bangladesch vergangenen November, bei dem mehr als hundert Arbeiter ums Leben kamen, heute schneller an die Öffentlichkeit. „Die Konzerne müssen sich in Zeiten von Shitstorms und sozialen Netzwerken stärker darum kümmern, dass ihre Marke nicht beschädigt wird.“

Das lässt sich auch am Nachhaltigkeitsbericht von H&M erkennen. Was vor zehn Jahren einmal schlicht CSR-Report hieß, nennt sich heute „Conscious Actions Sustainability Report“. In dem fast 100 Seiten starken Dokument listet das Unternehmen seine Bemühungen in den Produktionsländern auf. Etwa, dass Vorstandschef Karl-Johan Persson sich im vergangenen Jahr mit der Premierministerin von Bangladesch, Sheikh Hasina, traf und die Anhebung der Mindestlöhne für Textilarbeiter forderte. Zudem veröffentlichte H&M eine Liste seiner rund 1800 Zulieferer in allen Produktionsländern, mit Adressen – ein großer Schritt in einer verschwiegenen Branche. 2012 habe man mehr als 2600 Kontrollen bei den Produzenten durchgeführt, sagt eine Firmensprecherin.

Auch der Modekonzern C&A, in dessen Zulieferer-Fabrik Tazreen im November das tödliche Feuer ausbrach, weil alle Brandschutzauflagen missachtet wurden, bemüht sich um ein besseres Image. Die Firma stelle mehr als eine Million US–Dollar bereit, um die Opfer, deren Familien und die Verletzten auszuzahlen, erklärt C&A. Zudem sollen die Kinder, die ein Elternteil verloren haben, bis zu ihrem 18. Lebensjahr mit monatlich 50 US-Dollar unterstützt werden. Das Unternehmen, das nach eigenen Angaben rund ein Viertel seiner Ware aus Bangladesch bezieht, habe außerdem „umfassende“ Untersuchungen „unabhängiger Sachverständiger“ beauftragt, um die Arbeitssicherheit bei den Zulieferern „zu prüfen und gegebenenfalls zu verbessern“, sagt C&A-Sprecher Thorsten Rolfes.

Im Entwicklungsausschuss im Bundestag wird derzeit über ein Fair-Trade-Label diskutiert.

Die Verstöße der Zulieferer, die in den Fabriken bei Kontrollen entdeckt werden, veröffentlicht C&A im Nachhaltigkeitsbericht. „Hauptsächlich sind das die Nichteinhaltung der Mindestlöhne und der Überstundenregelungen“, sagt Rolfes. Und warum setzt sich C&A nicht wie H&M für höhere Mindestlöhne ein? „Wir machen die Gesetze in den Produktionsländern nicht“, sagt der Sprecher. Und verweist auf den Verbraucher. „Die Kunden wollen günstige Preise und der Wettbewerb ist hart“.

Dass die Zahlungsbereitschaft für nachhaltigere Mode gering ist, sagt auch Holger Brackemann von der Stiftung Warentest. „Zwei Drittel der Verbraucher sagen, dass bessere Arbeitsbedingungen wichtig sind, doch vom Marktanteil her sind Fair-Trade-Produkte noch immer eine Nische“, sagt er. Allerdings sei es für die Kunden kompliziert, bei den vielen Bio-Siegeln und Nachhaltigkeits-Zertifikaten in der Modewelt durchzublicken. Im Entwicklungsausschuss im Bundestag wird derzeit über ein Fair-Trade-Label diskutiert, das alle Produktionsstufen miteinbeziehen soll. Erstrebenswert, aber schwierig umzusetzen sei ein solches Siegel, sagt der Verbraucherschützer. „Bei der Mode sind die Wertschöpfungsketten sehr komplex, vom Baumwollbauern über die Spinnerei bis hin zu Konfektionierern, Nähereien, Knopfherstellern oder Verpackungsfirmen“, sagt Brackemann.

Der öffentliche Druck aber hat dem Verbraucherschützer zufolge in den vergangenen Jahren in der Branche einiges bewirkt. So hätten sich mittlerweile sogar die Discounter wie Aldi und Lidl der Sozialstandard-Initiative Business Social Compliance Initiative (BSCI) angeschlossen, die als Ziel angibt, die Arbeitsbedingungen in den Lieferketten verbessern zu wollen, etwa durch Verpflichtungen für den Arbeits- und Brandschutz.

Nichtregierungsorganisationen wie die Kampagne für Saubere Kleidung (CCC) kritisieren aber, dass Initiativen wie die BSCI von den Konzernen dominiert werden und dort keine Gewerkschaften oder Hilfsorganisationen beteiligt sind. Die Nachhaltigkeitsbemühungen der Unternehmen seien „ein Tropfen auf den heißen Stein“ und führten nicht zu strukturellen Veränderungen, klagt Axel Schröder von der CCC. So seien in Kambodscha gerade die Mindestlöhne von zwei auf 2,5 Dollar pro Tag angehoben worden. Die CCC sieht aber neun Euro als Minimum, um die Existenz einer vierköpfigen Familien zu sichern. Faire Löhne seien bei 4,95 Euro pro T-Shirt kaum möglich. „Die großen Modekonzerne machen nicht genug Druck und sind damit mitverantwortlich für die schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen in den Produktionsländern“, sagt Schröder.

Eine weiße Weste haben der Stiftung Warentest zufolge nur wenige, etwa die Firma Hessnatur, deren T-Shirts „mustergültig“ im Hinblick auf Sozial- und Umweltstandards seien, sagt Brackemann. Es gebe immer noch etliche Konzerne, die sich bei der Produktion gar nicht in die Karten schauen ließen. „Und das sind nicht nur Billiganbieter, sondern auch Modefirmen aus dem Luxussegment.“

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