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Setzt auf Mütter mit wenig Geld: Der Textildiscounter Kik mit seinem Geschäftsführer Michael Arretz.
© dpa

Kik-Geschäftsführer Arretz: "Alle feilschen um den letzten Cent"

Die Textilkette Kik hat sich auf das Billigsegment spezialisiert. Mit dem Tagesspiegel spricht Geschäftsführer Michael Arretz über die Schlecker-Pleite, Löhne in Bangladesch und den Regensommer.

Herr Arretz, im Handel häufen sich die Insolvenzen. Macht Ihnen das Angst?

Uns verwundert, wie radikal die Schnitte sind, bei Schlecker, bei Neckermann, aber auch bei Karstadt. Auch wir hinterfragen in dieser Situation unser Geschäftsmodell, aber wir sind bei Umsatz und Gewinn gut aufgestellt.

Sie profitieren von der Schlecker-Pleite. Die HH Holding, die auch Anteile an Kik hält, übernimmt mehr als 100 Filialen von Schlecker XL und Ihr Platz. Wie viele davon sollen zu Kik-Geschäften werden?

Es werden zwischen 20 und 30 Filialen sein, einige auch in Berlin. Aber die Planung ist noch nicht abgeschlossen. Die Schlecker-XL-Märkte entsprechen eher unseren Filialgrößen von im Schnitt 550 Quadratmetern als die Ihr-Platz-Läden, die kleiner sind. Wir wollen künftig stärker in die Innenstädte und die Lagen mit viel Laufkundschaft. Das ermöglichen uns die Schlecker-Märkte, die wir jetzt übernehmen.

Kik soll ein höherwertiges Image bekommen. Mit wem werden Sie konkurrieren?

Bisher sind unsere schärfsten Wettbewerber Takko, NKD und Ernsting’s. In Zukunft wollen wir uns aber neu positionieren. Die Ladenausstattung soll verbessert und das Warenangebot verändert werden.

Weg von den aggressiven Farben und den engen, vollgestopften Läden?

Wir wollen sympathischer und weniger ramschig werden, damit der Kunde sich wohlfühlt. Das heißt weniger Rot, mehr Silber und Grau. Wir haben bisher Gitterkörbe und Wühltische, nun soll es auch Schaufensterpuppen geben, die ganze Outfits präsentieren, sowie Rückwände mit Modefotos. Außerdem soll der Laden nicht mehr so voll sein, die Waren sollen einfacher zugänglich werden. Der Kunde weiß ja, dass wir preiswert sind.

Wie viel Angst haben Sie vor der irischen Textilkette Primark, die in Ihrem Preissegment anbietet, aber als trendiger gilt?

Primark hat in Deutschland erst sieben Standorte, maximal 30 sind geplant. Das macht uns bei unseren 2600 Standorten keine Sorgen.

Wie viel kostet Sie die Modernisierung?

Bisher haben wir 400 Filialen umgebaut und dafür einen einstelligen Millionenbetrag ausgegeben. Bis 2015 sollen mehr als 2000 Filialen modernisiert werden. Wir investieren rund 20 Millionen Euro. Dazu gehört beispielsweise auch ein neues Lichtsystem, mit dem wir bis zu 30 Prozent Energie sparen. Generell versuchen wir, den Betrieb möglichst günstig zu halten. Wir wollen keine hochwertigen Materialien verwenden. Wir sind schließlich ein Discounter.

Mit Verona Pooth haben Sie einen Werbevertrag bis 2014. Sie soll jüngere Kunden anlocken. Wer kauft bei Kik?

Unsere Kunden sind hauptsächlich Mütter zwischen 25 und 39 Jahren, die über ein geringes Budget für Kleidung verfügen. Das Kindersortiment, Wäsche und die Damenbekleidung laufen sehr gut, und in letzter Zeit bieten wir auch wieder verstärkt Herrensachen an. Oft kaufen die Kundinnen für ihre Männer mit ein. Gerade ältere Menschen und Jugendliche spricht Kik derzeit aber kaum an. Da wollen wir unser Angebot anpassen. Und wir wollen für Familien aus der Mittelschicht attraktiver werden.

Beim Textilumsatz liegt Kik vor den anderen Discountern. Wo liegt Ihre Zielmarke?

Wir wollen mehr Umsatz pro Filiale erreichen und die Kundenfrequenz erhöhen. Das lohnt sich mehr, als ständig neue Läden aufzumachen. 2011 haben wir rund 1,7 Milliarden Euro erlöst, davon rund eine Milliarde im ersten Halbjahr. Der Sommer war zu kalt, und der Winter zu warm, weshalb es im zweiten Halbjahr schlechter lief. In den ersten sechs Monaten in diesem Jahr haben wir die Vorjahreswerte erreicht. Wir freuen uns, wenn wir 2012 das Niveau des Vorjahres halten.

Haben Sie im ersten Halbjahr mehr verdient als 2011?

Nein, wir sind 2012 bisher nicht so stark wie 2011, weil der Druck auf die Gewinnspanne zunimmt. Aber wir schreiben schwarze Zahlen und sind so zufrieden, dass wir uns zutrauen, zu investieren.

Profitieren Sie von der Schuldenkrise?

In Krisenzeiten, wenn die Leute Angst um die Zukunft haben und das Budget knapp ist, profitieren immer die Discounter und die Luxushersteller. Das gilt quer durch alle Branchen, vom Auto über Kleidung bis hin zu Lebensmitteln.

Einkleiden für 30 Euro - von den Socken bis zur Krawatte. Bleibt das Ihr Motto?

Die Grundausstattung wird günstig bleiben, die modischeren Sortimente kosten natürlich etwas mehr, weil sie aufwendiger herzustellen sind. Bei Abercrombie zahlen die Kunden für die Marke und legen für ein T-Shirt 40 Euro hin. Ein ähnliches Shirt bei uns kostet 6,99 Euro.

2010 gab es Kritik wegen der Fabriken in Bangladesch, die Kik beliefern – Kinderarbeit, ausbleibende Löhne, Überstunden bis zur Erschöpfung. Was hat sich geändert?

Wir hatten bereits 2006 einen Verhaltenskodex für unsere Lieferanten verpflichtend eingeführt. 2007 wurde eine eigene Abteilung für Sozialverantwortung und ein Auditierungssystem aufgebaut. Wir lassen die Lieferanten von unabhängigen Instituten und Dienstleistern wie dem Tüv Rheinland prüfen, um sicherzustellen, dass internationale Sozialstandards eingehalten werden. Bei Missständen durchlaufen unsere Lieferanten ein Qualifizierungsprogramm, bei weiteren Verstößen beenden wir die Zusammenarbeit. Seit den Vorfällen 2010 hat Kik eine eigene Serviceunit mit zehn Mitarbeitern in Bangladesch, die die Nähereien überprüfen. Und auch wir in der Geschäftsführung sind immer wieder vor Ort. Allerdings können wir nicht überprüfen, unter welchen Bedingungen in den Vorstufen gearbeitet wird, also bei der Produktion und beim Färben der Stoffe.

Reichen zehn Kontrolleure für mehr als 100 Lieferanten und 200 Produktionsstätten?

Wir wissen, dass wir in den vergangenen Jahren Fehler gemacht haben und zu Recht kritisiert wurden. Kik hat noch einen weiten Weg vor sich, aber dafür bin ich auch in die Geschäftsführung berufen worden. Wir engagieren uns bei der Kontrolle der Lieferanten stärker als viele Wettbewerber – obwohl wir ein Discounter sind.

Besonders der Kik-Gründer Stefan Heinig galt früher als knallharter Einkäufer, der Margen von 60 Prozent und mehr verhandelte. Setzen Sie die Zulieferer bei den Preisen noch so massiv unter Druck?

Wir lassen unsere Sachen in den gleichen Fabriken nähen wie die Markenhersteller. Dort bekommen alle Näherinnen die gleichen Löhne, ob sie ein T-Shirt für 2,99 Euro oder für 100 Euro herstellen. Unsere Einkäufer verhandeln nicht härter als die anderer Hersteller.

Aber die Kik-Margen sind viel kleiner als die von Abercrombie.

Alle feilschen um den letzten Cent. Wir sichern mit unseren Großaufträgen manchen Lieferanten wochenlang die Auslastung, weil wir gleich 350 000 Teile bestellen. Zudem ist bei uns der Zeitdruck geringer als bei Modeherstellern, die alle paar Wochen eine neue Kollektion in den Läden haben müssen.

Wie sollen bei einem T-Shirt-Preis von 2,99 Euro vertretbare Löhne möglich sein?

Die Personalkosten der Lieferanten liegen zwischen zehn und 30 Cent pro T-Shirt. Wir sparen aber nicht an den Löhnen der Näherinnen, sondern drehen an anderen Stellschrauben – Mengenrabatte bei den Stoffen, Transport per Schiff oder Zug statt mit dem Flugzeug, weniger Werbung und teures Ladendesign.

Auch wegen der Arbeitsbedingungen in Deutschland geriet Kik in die Kritik. Heute zahlen Sie 7,50 Euro pro Stunde. Sind Sie für einen Branchenmindestlohn?

Einen tariflichen Branchenmindestlohn würden wir begrüßen, dann würde Waffengleichheit herrschen. Und wenn die Leute mehr Geld in der Tasche haben, geht es am Ende auch dem Handel besser.

Der Handel drückt die Löhne häufig über Werkverträge. Wie ist das bei Ihnen?

Leiharbeiter und Werkverträge gibt es bei uns nicht. Von unseren 17 500 Mitarbeitern sind 75 Prozent sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Und der Rest?

Sind Minijobber. Damit liegen wir unterhalb des Durchschnitts im Einzelhandel. In Berlin liegt der Anteil mit einem Drittel etwas höher, in Nordrhein-Westfalen sehr niedrig.

In der Hauptstadt haben Sie 67 Filialen. Lohnt sich hier nicht die Expansion, auch wegen der schwachen Sozialstruktur?

Ja, wir müssten hier eigentlich mindestens 100 Filialen haben. Es gibt noch einige weiße Flecken zum Beispiel in Einkaufscentern. Die wollen wir bald besetzen.

Das Gespräch führten Jahel Mielke und Henrik Mortsiefer.

DER MANAGER

Michael Arretz wurde 2010 in die Geschäftsführung des Textildiscounters Kik berufen, um sich um Kommunikation und Nachhaltigkeit zu kümmern. Zuvor war die Kette wegen der Arbeitsbedingungen bei Lieferanten in Bangladesch in die Kritik geraten. Der promovierte Biologe, 1960 in Bangkok geboren, arbeitete mehr als 17 Jahre beim Otto-Handelskonzern. Arretz ist verheiratet und hat zwei Söhne.

DIE KETTE

Kik, 1994 in Bönen in Nordrhein-Westfalen gegründet, gehört zu 80 Prozent dem Handelskonzern Tengelmann. Auch die Woolworth-Eignerin HH Holding hält Anteile. Kik hat deutschlandweit 2600 Filialen und beschäftigt bundesweit 17 500 Mitarbeiter.

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