Billig-Kleidung: "Die Verbraucher nutzen ihre Macht nicht"
Nach der Brandkatastrophe in Bangladesch mit 110 Toten, wird über die Arbeitsbedingungen von Textil-Lieferanten bekannter Mode-Ketten diskutiert. Peter Schwartze, Präsident des Textilverbands, sprach mit dem Tagesspiegel über Niedriglöhne in Asien und die Verantwortung der Handelskonzerne
Herr Schwartze, kann man ein T-Shirt für 4,99 Euro so herstellen, dass die Näherinnen fair verdienen und menschenwürdig arbeiten können?
Nicht jedes preiswerte Kleidungsstück wird unter so schlimmen Bedingungen produziert wie in der abgebrannten Fabrik in Bangladesch. Dort waren offenbar Kriminelle am Werk, denen alle Vorschriften egal waren.
Lausiger Brandschutz, mickrige Löhne, lange Arbeitszeiten: Ist das die Globalisierung, die wir wollen?
Die Globalisierung hat Wachstum und Wohlstand in die ärmsten Länder gebracht. Die Textilbranche ist eine Pionierindustrie, die den Boden für eine weitere Industrialisierung bereitet. Ohne die weltweite Arbeitsteilung gäbe es viel mehr Armut und Hunger. Und unser Lebensstandard wäre viel niedriger. Unsere Löhne können nicht der Maßstab sein – wir haben Generationen gebraucht, um das heutige Level zu erreichen.
In den vergangenen sechs Jahren sollen allein in Bangladesch 500 Menschen bei Fabrikbränden umgekommen sein. Zahlen die Entwicklungsländer den Preis für unseren Wohlstand?
Nicht jeder, der in Asien produzieren lässt, zahlt Billiglöhne und missachtet Vorschriften. Was in Bangladesch passiert ist, ist Sache der Handelskonzerne. Ich spreche für die Textilindustrie – dort gibt es solche Zustände nicht.
Adidas, Seidensticker, Hugo Boss sind über jeden Zweifel erhaben?
Die deutsche Textilindustrie beschäftigt weltweit 400 000 Menschen. In jedem dieser Werke, sei es in Asien oder in Europa, herrschen deutsche Arbeits- und Sicherheitsstandards. Es gibt freiwillige Verhaltensrichtlinien, die alle unterschrieben haben. Wir lehnen Ausbeutung ab, und ich sage Ihnen: Bei uns werden Sie nichts finden. Einzelfälle, Kriminelle gibt es immer. Doch wenn wir deutsche Qualität liefern wollen, brauchen wir auch deutsche Standards.
Die Gewerkschaften sagen, viele Verpflichtungen und Standards seien schön für die Nachhaltigkeitsberichte der Konzerne, änderten in der Praxis aber nichts.
Das kann ich nicht bestätigen. Ich kenne die Bedingungen vor Ort. Deutsche Hersteller wissen genau, wo sie wie produzieren. Das ist ein anderes Geschäft als bei den Billigketten, die in Asien bestellen und womöglich eine Reihe von Subunternehmern in der Kette gar nicht kennen.
Müssen die Handelskonzerne ihre Auftragnehmer stärker überwachen?
Ich weiß nicht, wie Takko oder Kik arbeiten. Ich weiß nur, dass sie die importierte Ware hier noch einmal intensiv prüfen lassen, etwa auf Schadstoffe. Der aktuelle Fall zeigt, dass sie offenbar mehr tun müssen, die Produktion ist oft undurchsichtig. Die Katastrophe ist nicht nur menschlich, sondern auch wirtschaftlich schlimm: Die Marke eines Abnehmers kann auf Jahre geschädigt sein. Passiert so etwas noch einmal, gerät ein ganzes Unternehmen womöglich in Schieflage.
Was kann die Politik tun?
Ist die Textilbranche anfälliger für Ausbeutung und schlechte Löhne, weil so viel menschliche Arbeit eine Rolle spielt?
Nein. Die Lohnkosten liegen bei 15 bis 18 Prozent des Endpreises, mehr nicht. Maschinen spielen überall eine große Rolle. Sie müssen die Massen an Textilien sehen, die heutzutage verkauft werden. Selbst wenn ein Unternehmen zwölf Millionen Hemden näht – angesichts von 1,3 Milliarden Chinesen ist das fast nichts. Ohne menschliche Arbeit geht es aber nicht.
Wäre das Problem der Arbeitsbedingungen aus der Welt, wenn die Verbraucher für jede Jeans ein paar Euro mehr zahlten?
Am immensen Preisdruck in der Branche ist auch der Verbraucher schuld. Mir ist klar, dass nicht jeder 19,95 Euro für ein T-Shirt ausgeben kann, aber diese Geiz-ist-geil-Mentalität kann auf Dauer so nicht weitergehen. Meine Maxime ist: Wer billig kauft, muss oft doppelt kaufen.
Einige lieben es, sich jeden Trend leisten zu können. Andere können von Markenklamotten nur träumen.
Sicher, ein Hartz-IV-Empfänger muss auf jeden Cent achten. Aber die Verbraucher nutzen ihre Macht nicht. Wenn es mehr um Qualität als nur um den Preis ginge, hätten auch die Näherinnen bessere Bedingungen.
Konsumieren die Leute gedankenloser?
Ja, das ist so. Nicht überall in Europa, aber die Deutschen schauen besonders auf den Preis. Einerseits boomen bei uns Bio-Lebensmittel, andererseits Billigtextilien. Obwohl die Käufer ahnen könnten, dass viele Angebote ihr Geld nicht wert sind – oder eben bei der Produktion nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein kann.
Wenn man Markenkleidung kauft, kann man dann sicher sein, dass das Personal nicht wie einst im Manchester-Kapitalismus behandelt wird?
Ja, da bin ich mir sicher.
Der Geschäftsführer der Kette Kik hat kürzlich im Tagesspiegel-Interview behauptet, Billig- und Markenware komme im Ausland aus denselben Fabriken, bei Marken- Produkten seien nur die Stoffe teurer.
Das glaube ich nicht. Viele unserer Unternehmen haben eigene Produktionsstätten vor Ort. Einen Adidas-Betrieb in China könnten sie von einem in Deutschland nicht unterscheiden, nur die Mitarbeiter sehen etwas anders aus. Die haben ihre Arbeitspausen, ihre Kantinen, ihre sauberen Toiletten.
Auf Verpackungen von Tiefkühlfisch steht mehr über die Herkunft des Produkts als auf einem 300 Euro teuren Mantel. Wird sich das irgendwann ändern?
Ich glaube nicht, dass es darum geht. Heute steht doch schon ,Made in Bangladesch’ in vielen Kleidungsstücken, das heißt nicht, dass grundsätzlich schlecht produziert wurde. Die Leute informieren sich nur über Dinge, die sie wirklich interessieren – Handys zum Beispiel. Bei Textilien wird das wohl nie der Fall sein.
Kann die Politik etwas tun?
Sie muss über die Welthandelsorganisation WTO und über bilaterale Handelsabkommen dafür sorgen, dass Sozialstandards eingehalten werden. Auch das Gegenüber muss etwas tun, muss seine Wirtschaft kontrollieren und Verstöße ahnden. Und ein Hersteller muss dem Land den Rücken zudrehen, wenn sich Missstände nicht abstellen lassen.
Dann wird eben im billigeren Kambodscha bestellt. Das ist doch die Logik der Globalisierung.
Billiger als in Bangladesch macht es derzeit keiner. Die Alternativen sind übersichtlich. Denn Asien wandelt sich – China ist eigentlich schon zu teuer, Vietnam steht eher für Top-Qualität als für Massenware.
Würden Sie sagen, eine Hose oder einen Pullover ,Made in Bangladesch’ sollte man lieber nicht kaufen?
Nein. Das wäre Diskriminierung. Nicht alle Fabrikbesitzer dort sind Verbrecher. Ein solcher Boykott würden am Ende die einfachen Leute treffen.
Eine Näherin in Ostdeutschland verdient 9,47 Euro die Stunde. Warum kann man zu den Tarifen hierzulande keine T-Shirts produzieren?
Dann wäre der Preis viel zu hoch. Wir sind mit unseren Lohnstückkosten nicht konkurrenzfähig – die Beschäftigten wollen ja auch eine Altersvorsorge, Gesundheitsschutz, eine Pflegeversicherung. Solche Lohnnebenkosten sind in weniger entwickelten Ländern geringer. Noch, denn auch dort erkennt man den Wert sozialer Sicherung.
Welche Rolle spielt die Textilindustrie in Deutschland noch?
Seit den fünfziger Jahren hat sich die Bekleidungsproduktion globalisiert, es begann mit Portugal oder Italien. Firmen wie Bugatti beschäftigen hier aber noch rund 1000 Leute – für Kleinfertigungen, Entwicklung, Schnitte. Insgesamt kommen wir im Inland auf knapp 120 000 Beschäftigte.
Das Gespräch führte Carsten Brönstrup
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