„Nerd/-in gesucht!“: Was Konzerne alles tun, um IT-Fachkräfte zu werben
Bahn und Autohersteller brauchen IT-Spezialisten. Sie umwerben die Fachkräfte deswegen ungewöhnlich – mit Podcasts, Rundum-Sorglos-Paketen und Greta Thunberg.
Ein Mann kam nach einem Arztbesuch ganz zufällig vorbei. Stieg in den Wohnwagen, verließ ihn mit einer Jobzusage. Nebenan bekam eine Kellnerin mit, wie schnell in dem Gefährt anscheinend Arbeit zu kriegen ist und rief ihren Bruder an. Noch am selben Tag hatte auch er eine neue Stelle als Elektriker.
In zwei Wohnwagen quer durch Deutschland: Sieben Wochen lang waren Recruiter der Deutschen Bahn (DB) in diesem Spätsommer unterwegs. Sie führten 8000 Bewerbungsgespräche. 700 Kandidatinnen und Kandidaten waren erfolgreich – sie sind jetzt beim Schienenkonzern angestellt.
Die ungewöhnliche Art, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, ist aus der Not geboren: Die Deutsche Bahn will in den kommenden Jahren 100.000 Beschäftigte einstellen. Immer wichtiger werden aber IT- und Digitalexperten. Doch gerade die Suche nach diesen Spezialisten ist hart. Die Bahn ist damit nicht allein.
Wohnwagen allein werden da nicht reichen. Die Bahn wirbt auch in den sozialen Netzwerken um Fachkräfte – und bei Spotify. IT@DB heißt der Podcast für IT-Fach- und Führungskräfte. In einer Folge geht es zum Beispiel darum, wie Roboter Fahrgästen auch spätnachts an Bahnhöfen weiterhelfen können oder wie Bahn-Mitarbeiter mit Virtual-Reality-Brillen umgeschult werden.
Es gibt Veranstaltungen für IT-Experten und eigens auf sie fokussierte Recruiter. „IT-Spezialisten sind hart umkämpft“, sagt Kevin Fröde, Leiter der Personalgewinnung im Nordosten. „Für die Digitalisierung des Bahnbetriebs brauchen wir Experten, die sich mit Künstlicher Intelligenz (KI) auskennen, mit Sensorik, 5G oder Big Data.“ Genau diese Fachleute werden jedoch auch in der Automobilindustrie gebraucht.
"Wettbewerb um die besten Köpfe entbrannt"
„Nerd/-in gesucht! Du programmierst für dein Leben gern und willst etwas bewegen?“ So spricht Volkswagen Experten auf Instagram und Printanzeigen an. „Beim Thema Digitalisierung, Software und Vernetzung ist der Wettbewerb um die besten Köpfe branchenübergreifend entbrannt“, erklärt VW-Personalvorstand Gunnar Kilian die Großkampagne.
Was Volkswagen noch tut? Am Stammsitz in Wolfsburg macht der Autohersteller Fachkräften den Standort in Niedersachsen schmackhaft, indem Wohnungen auf konzerneigenen Grundstücken gebaut werden. Auf dem engen Immobilienmarkt der Stadt wolle man Fachkräfte unterstützen, die nicht gleich Eigentum erwerben wollen, heißt es zur Begründung.
Fantasie ist in der ganzen Branche beim Recruiting gefragt. BMW besorgt ausländischen Software-Entwicklern, die bei der Sparte „Car IT“ anheuern, Visum und Bluecard, hilft bei Umzug, Kontoeröffnung und Behördengängen. Daimler podcastet wie die Bahn: Alle zwei Wochen berichten Mitarbeiter auf dem „Head-Lights“-Kanal, wie interessant die Arbeitswelt beim Stuttgarter Autobauer doch ist.
Der Mangel an Fachkräften ist in der Mobilitätsbranche zwar nicht neu, aber der Wettbewerb um Spezialisten spitzt sich deutlich zu. Je weiter sich die Hersteller zu Mobilitätsdienstleistern, Software-Companies oder Big-Data-Konzernen wandeln, desto mehr entfernen sich eben auch die gesuchten Berufsbilder von dem, was einst gefragt war. Bald wird ein weiterer Wettbewerber am Standort Deutschland die Suche nach Fachkräften aufnehmen: Tesla. 7000 Arbeitsplätze sollen entstehen, wenn Elon Musk seine Gigafactory 4 im brandenburgischen Grünheide baut. Darunter viele Ingenieure und IT-Fachleute.
In der Summe werden Jobs verloren gehen
Mit Schlagworten wie Agilität oder hybriden Hierarchien werden neue Arbeitsformen und Organisationsstrukturen in der Autoindustrie beschrieben. Wo früher vertikale Hierarchien wie Befehlsketten die Unternehmen strukturierten, sind heute flexible, bewegliche Teams und flache Hierarchien gefragt. Damit reagieren die Unternehmen auf den Umstand, dass Reaktionszeiten und Entwicklungszyklen – wie in der IT-Industrie – immer kürzer werden.
„Zudem müssen laufend digitale Fähigkeiten aufgebaut, verbessert und sinnvoll in die bestehenden Kernkompetenzen integriert werden“, sagt Jörg Krings, Mitautor der Studie „2019 Digital Auto Report“ des Beratungsunternehmens PwC. Das Fachpersonal müsse ganz „neu geschaffene Rollen“ ausfüllen.
„Von der Forschungs- und Entwicklungsabteilung bis hin zur Produktion sind künftig etwa agile Methoden sowie KI- und Datenanalyse-Fähigkeiten gefragt.“ Cloud-Architekten, Data-Analysten, Cyber Security- oder KI-Spezialisten, Ingenieure für maschinelles Lernen und Prozessautomatisierung. Oft ist kaum noch zu erkennen, dass die Spezialisten von der Bahn, einem Automobilkonzern oder einem Zulieferer gesucht werden.
In der Summe wird der Austausch von traditioneller in zukunftsfähige Beschäftigung, die Transformation zur Elektromobilität und Digitalisierung dennoch Arbeitsplätze kosten. Offen ist, in welchem Ausmaß. Von den heute gut 830000 Beschäftigten in der deutschen Automobilindustrie könnten 2030 nur gut 700000 übrigbleiben, schätzt der Duisburger Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer.
Zu einer ähnlichen Prognose kam 2018 auch das Fraunhofer Institut. Allein die Umstellung vom Verbrennungs- auf den Elektroantrieb werde bis 2013 rund 150000 Jobs kosten, glaubt der Pforzheimer Wissenschaftler Rudi Kurz. Rechne man neue Produktionsformen und die wachsende Bedeutung von öffentlichen Verkehrsmitteln und neuen Mobilitätsdiensten hinzu, seien bis zu 360000 Stellen gefährdet.
Eine Werbebotschaft ist der Klimawandel
Die Bahn sieht ihre Berufe noch nicht schwinden. Selbst das autonome Fahren sei keine Gefahr. „Wir stellen massiv ein, auch und gerade in klassischen Berufen wie Lokführer, Instandhalter oder Servicekräfte. Aber es gibt Verschiebungen, die Welt verändert sich und Berufe mit ihr“, meint Kevin Fröde von der DB. „Wenn die Kunden Tickets zum Beispiel immer mehr online kaufen, benötigen wir mehr Mitarbeiter in der IT oder im Social Media Team.“ Und weniger im Callcenter.
Damit die Auszubildenden von Beginn an kreatives Denken üben, besuchen sie seit diesem Jahr drei Tage lang eine sogenannte Innovationswerkstatt. Sie erlernen Methoden wie Design Thinking, entwickeln Prototypen, pitchen Ideen. Sie sollen Probleme beschreiben und lösen, mit Veränderungen umgehen können.
Müssen Azubis wegen des Jobs umziehen, hilft die Bahn ihnen mit Mietkostenzuschüssen. Es gibt außerdem für alle Mitarbeiter Kooperationsverträge mit Wohnungsbaugesellschaften. Diese verzichten dann zum Beispiel bei Bahn-Angestellten auf die Kaution. Um gute, kreative Angestellte zu gewinnen, wirbt die Bahn mit flexiblen Arbeitszeiten, Sabbaticals – und Greta Thunberg.
Die Diskussion um den Klimawandel findet DB-Personalvorstand Martin Seiler nicht nur persönlich wichtig. Er stelle vor allem bei den Jüngeren fest, dass sie einen Sinn in ihrer Arbeit sehen wollten, sagt er in Interviews.
Das gesellschaftliche Umdenken, angestoßen durch Greta Thunberg und die Fridays-for-Future-Bewegung, mache deswegen auch die Bahn als Arbeitgeber attraktiver. Wir sind das klimafreundlichste Verkehrsmittel überhaupt – auch mit dieser Botschaft hofft die Bahn, Experten anlocken zu können.