Automobilbranche in der Krise: Jobs in Gefahr: IG Metall will Kurzarbeitergeld
Die IG Metall will ein neues Kurzarbeitergeld einführen, um Arbeitsplätze in der Branche zu retten. Experten und Politiker sind jedoch skeptisch.
Volkswagen will in den nächsten Jahren bis zu 7000 Stellen streichen, Ford 5000. Audi beendet die Nachtschicht in seinem Stammwerk. Mitarbeiter der Zulieferer gehen aus Angst, den Job zu verlieren, mit Demo-Schildern auf die Straße. Kurzum: Inzwischen spüren auch die 800000 Beschäftigten der Autoindustrie die Krise ihrer Branche. Ein Grund ist der Umstieg auf Elektromobilität.
IG Metall-Chef Jörg Hofmann fordert deswegen eine neue Form des Kurzarbeitergelds. Betrieben könnte es so ermöglicht werden, „bei Strukturumbrüchen ihre Mitarbeiter umzuschulen, ohne dass sie arbeitslos werden“, sagte der Gewerkschafter vor kurzem in einem Interview. Da bei der Produktion von E-Autos weniger Beschäftigte nötig sind als bei herkömmlichen Fahrzeugen, erwartet Hofmann den Wegfall von 150000 Stellen. Aus seiner Sicht seien Hilfen wie beim Kohleausstieg nötig. Einer Studie des Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge gehen bei einer Quote von 23 Prozent Elektroautos bis 2035 knapp 114000 Arbeitsplätze verloren – vor allem von Qualifizierten.
Wenn die Auftragsbücher leer sind, müssen Arbeitgeber sparen. Um nicht sofort Mitarbeiter entlassen zu müssen, gibt es das Kurzarbeitergeld. An den Kosten des zwischenzeitlichen Ausfalls beteiligt sich die Bundesagentur für Arbeit – also der Staat. Voraussetzungen sind zum Beispiel eine schlechte Konjunkturlage oder ein plötzliches, unabwendbares Ereignis wie eine Flut. Die IG Metall sieht eine Reihe von Anzeichen, dass es demnächst zu Produktionseinbrüchen in der Autoindustrie kommt – aber aus anderen Gründen. Die Transformation einer Branche sollte ein weiteres Kriterium sein und mit dafür notwendigen Weiterbildungen verknüpft werden.
Qualifizieren ja - aber wie denn?
Detlef Scheele, Chef der Bundesagentur für Arbeit, zeigt sich zwar offen dafür, den Vorschlag zu diskutieren. Davor sollte aber beobachtet werden, was das Qualifizierungschancengesetz bringt. Seit Anfang des Jahres übernimmt seine Behörde nicht nur Fortbildungskosten von Arbeitslosen, sondern zum Teil auch von Beschäftigten – solange der Kurs dazu dient, für die sich wandelnde Arbeitswelt fit gemacht zu werden. Im Haushalt der Arbeitsagentur sind dafür Mehrausgaben von bis zu 6,2 Milliarden Euro pro Jahr veranschlagt.
Ganz versteht Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft die Idee der IG Metall deswegen nicht. Außerdem fehlt ihm „ein richtiges Konzept“. Auch Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ist skeptisch: „Qualifizierung ist erstmal gut. Aber niemand weiß derzeit, wohin die Menschen qualifiziert werden sollen.“ Diese Frage können auch Arbeitsagentur und Gewerkschaft nicht beantworten. Selbst wenn die IG Metall ihre Idee konkretisiert, bräuchte es eine Gesetzesänderung. Wie aber stehen die Parteien dazu?
Anfang der Woche veröffentlichte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter ein Thesenpapier zur Förderung von E-Autos. Um den drohenden Stellenabbau abzufedern, sollten die betroffenen Arbeitnehmer ein Recht auf Weiterbildung haben. Die Idee von Hofmann greift er ebenfalls auf. „Ein staatliches Transformations-Kurzarbeitergeld, das für einen gewissen Übergangszeitraum gezahlt wird, kann helfen, um Unternehmen und Beschäftigte auf den Weg hin zu einer sauberen Mobilität zu unterstützen“, sagte er dem Tagesspiegel. „Denn absehbare Umbrüche dürfen nicht auf Kosten der Beschäftigten gehen.“
Nicht nur die Autobranche im Wandel
Bei der Wirtschaftskrise vor zehn Jahren hatte es sich für Unternehmen ausgezahlt, Mitarbeiter auf diese Art zu halten bis es wieder aufwärts ging. Für die Betroffenen ist das Modell finanziell und psychologisch besser als eine Kündigung. Deswegen meint Bernd Rützel, Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales der SPD: „2008 hat das Kurzarbeitergeld unglaublich gut geholfen. Über Nacht standen etliche Menschen eben nicht auf der Straße.“ Zur aktuellen Debatte sagt er jedoch: „Jetzt ist es zwar so, dass der Wandel zur Elektromobilität Jobs kostet. Gleichzeitig gibt es aber auch einen enormen Fachkräftemangel, die Babyboomer gehen in Rente, weniger Jugendliche kommen nach.“ Es könne zudem nicht sein, dass die Unternehmen „alles an den Staat verlagern und die Steuerzahler für die Veränderungen aufkommen“. Unternehmen müssten ebenfalls handeln. Die Union teilte auf Anfrage mit, dass sie sich derzeit nicht mit dem Thema beschäftige.
Der sozialpolitische Sprecher der FDP Pascal Kober meint: „Die verfehlte Mobilitätswende kann man nicht über die Arbeitslosenversicherung retten.“ Er warnt außerdem davor, Weiterbildung losgelöst vom Bedarf der Unternehmen zu organisieren. Und letztlich würden in vielen Branchen enorme Veränderungen anstehen. Nicht nur in der Autoindustrie.