Gewerkschaft EVG wirft Scheuer Versagen vor: „Viele Beschäftigte der Deutschen Bahn schämen sich“
Die Gewerkschaft EVG wirft Konzernspitze und Verkehrsminister Versagen vor. Bahnchef Lutz schreibt an Verkehrsminister Scheuer.
Mit scharfer Kritik an der Bundesregierung hat der neue Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Torsten Westphal, sein Amt angetreten. Viele Beschäftigte der Deutsche Bahn AG schämten sich für die vielen Mängel im Schienenverkehr, sagte der bisherige EVG-Bundesgeschäftsführer am Donnerstag in Berlin. Die Mitarbeiter hätten „die Nase bis obenhin voll“. Die Regierung und besonders Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) müssten endlich Verantwortung für die Schiene und die DB AG übernehmen, fordert Westphal. Der Bund als Eigentümer sei gefordert. „Wir brauchen dringend ein Gesamtkonzept, das den Schienenverkehr nach vorne bringt.“
187.000 Gewerkschaftsmitglieder
Die DB AG hat in Deutschland rund 200.000 Beschäftigte, die EVG 187.000 Mitglieder. Darunter sind auch viele Rentner und Mitarbeiter von DB-Konkurrenten. Im Aufsichtsrat des größten Staatskonzerns kontrolliert die Gewerkschaft neun der 20 Sitze. Nächstes Jahr wird Westphal den Posten als Vizechef des Kontrollgremiums von seinem Vorgänger Alexander Kirchner übernehmen.
Der erste Auftritt des neuen EVG- Chefs zeigt, dass Konzernchef Richard Lutz, sein Vize Ronald Pofalla und Minister Scheuer künftig mit schärferen Tönen der Hausgewerkschaft rechnen müssen. Schon beim letzten Tarifstreit, den Westphal verantwortete, rief die EVG erstmals seit langem zu einem Warnstreik auf. Die EVG hatte über Jahre Mitglieder an die kämpferische Lokführergewerkschaft GdL verloren. Das gespannte Verhältnis will Westphal entkrampfen und sich mit GdL-Chef Claus Weselsky treffen.
"Die Zeit der Briefe ist vorbei"
Zur Lage der DB AG zeichnet der neue EVG-Vorsitzende ein schonungsloses Bild. Die Infrastruktur sei unterfinanziert, Züge und Technik alt und störanfällig, Finanzierungsfragen offen. „Das ist ein unhaltbarer Zustand, für den auch der Eigentümer Verantwortung trägt.“ Scheuer müsse mehr Engagement zeigen. „Die Zeit der Briefe und Ultimaten ist vorbei, jetzt muss gehandelt werden.“ Scheuer hatte DB-Chef Lutz öffentlichkeitswirksam mehrere Fristen gesetzt, um Defizite zu beseitigen. Allerdings wird die Modernisierung der lange vernachlässigten Infrastruktur viele Jahre dauern. Im Sommer hatte Scheuer zwar angekündigt, dass bis 2030 rund 86 Milliarden Euro in die Modernisierung des gut 33.000 Kilometer umfassenden Gleisnetzes fließen sollen. Doch die Finanzierung steht bisher zum großen Teil nur auf Papier, zumal die ertragsschwache DB AG einen erheblichen Teil selbst beisteuern soll.
Zu wenig Ausgabenkontrolle
Zudem kritisiert der Bundesrechnungshof das bisherige Finanzkonstrukt der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) als wenig effizient und fordert strengere Kontrollen. Die oberste Prüfbehörde dringt darauf, dass künftig das Steuergeld nur in Tranchen und erst nach vorheriger Prüfung der korrekten Verwendung überwiesen wird. Dieser Empfehlung schloss sich der Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestags Ende September an. Am Donnerstag beriet der Haushaltsausschuss in nichtöffentlicher Sitzung darüber, in Kürze soll der Bundestag die nächste LuFV beschließen. Bereits die noch laufende LuFV, mit der rund 20 Milliarden Euro zwischen 2015 und 2019 flossen, war heftig umstritten. Der Zustand des Schienennetzes hat sich trotz der immer höheren Zuschüsse weiter verschlechtert.
Scheuer im Ausschuss
An diesem Freitag wird Verkehrsminister Scheuer im Verkehrsausschuss des Bundestags zur DB-Krise befragt. Der CSU-Politiker hatte der Konzernspitze Anfang November per Brief ein Ultimatum gesetzt, verbesserte Konzepte vorzulegen. In einem 20-seitigen Brief antwortete Lutz. Das Schreiben fasst im Wesentlichen die im Sommer vorgestellte Strategie „Starke Schiene“ zusammen, ergänzt um die erreichten Verbesserungen. Lutz räumt darin auch ein, dass der Verlust bei DB Cargo in diesem Jahr von 190 auf 300 Millionen Euro steigt. DB-Finanzvorstand Alexander Doll hatte die notleidende Sparte in Doppelfunktion übernommen und steht wegen Querelen im Vorstand und des zunächst gescheiterten Verkaufs der britischen Tochter Arriva vor der Ablösung. Doll weist die Vorwürfe zurück und hat die Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrags abgelehnt. Am Montag soll eine weitere außerordentliche Aufsichtsratssitzung über seine Entlassung entscheiden.
Zukunft von Doll ist offen
Die Streitereien im Vorstand setzten allem „die Krone auf“, sagte EVG-Chef Westphal dazu. Die Gewerkschaft lässt aber offen, ob man die Entlassung des Managers billigt. GdL-Chef Weselsky fordert, dass Doll im Amt bleibt. Und auch beim Betriebsrat von DB Cargo wird seine Arbeit gelobt.