Streit um CO2-Grenzwerte: Was die EU-Kommission beschließen könnte
Die EU -Kommission schlägt diese Woche neue CO2-Höchstwerte für Autos vor – Konzerne und Regierungen bringen sich in Stellung.
Der europäischen Automobilindustrie stehen in dieser Woche wegweisende politische Entscheidungen zum Thema Klimaschutz bevor. Parallel zu der an diesem Montag in Bonn beginnenden UN-Klimakonferenz wird die EU-Kommission am Mittwoch ihre mit Spannung erwarteten neuen CO2-Grenzwerte für Neuwagen vorschlagen. Diese werden nach Beratungen und Verabschiedung im EU-Parlament in den Jahren 2021 bis 2030 für die Autohersteller verbindlich vorgeschrieben.
Legt die Kommission nach den Erfahrungen des Diesel-Skandals künftig strengere Umweltmaßstäbe an, kann es für die Unternehmen teuer werden. Außerdem würde der Druck, schneller als geplant Elektroautos auf den Markt zu bringen, steigen. Bis 2021 müssen die Hersteller im Schnitt mit ihren Flotten einen CO2-Grenzwert von 95 Gramm pro Kilometer erreichen, das entspricht einem Spritverbrauch von gut vier Litern auf 100 Kilometern.
Wie stark es nach 2021 weiter nach unten gehen soll, ist noch im Fluss, denn die Auto-Lobby versucht in Brüssel bis zur letzten Minute, die Umweltvorgaben der Kommission aufzuweichen. Der deutsche Autoverband VDA schlägt einen hohen Ton an und bangt um den Erhalt der „Leistungskraft der Industrie“. VDA-Präsident Matthias Wissmann hat dem Vernehmen nach in den vergangenen Wochen persönlich in Brüssel den Stabschef von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Klimakommissar Miguel Arias Cañete bearbeitet. Umweltverbände warnen hingegen davor, dem Drängen der Industrie nachzugeben. Sieben EU-Mitgliedsländer ohne eigene Autoindustrie haben Ende Oktober in einem gemeinsamen Brief die EU-Kommission sogar zu einer härteren Gangart aufgefordert.
Kommission will Bonus-Malus-System einführen
Die Pläne der Kommission, die an diesem Montag bei einer Kabinettssitzung in Brüssel verabschiedet werden sollen, sehen nach Tagesspiegel-Informationen so aus: Der CO2-Ausstoß von Neuwagen soll bis 2030 gegenüber 2021 im Schnitt um 30 Prozent reduziert werden. Anders als bislang wird also kein fixer Gramm-Wert, sondern eine prozentuale Verbesserung vorgeschrieben. Hintergrund ist die Einführung eines neuen, strengeren Testverfahrens im Labor, das die Grundlage für künftige Einsparziele bildet. Im Jahr 2025 soll es ein verbindliches Zwischenziel geben, im Gespräch ist eine Abgasminderung bis dahin von zehn bis 15 Prozent gegenüber 2021.
Ferner will die Kommission nach letztem Stand ab dem Jahr 2030 ein Bonus-Malus-System für besonders schadstoffarme Fahrzeuge (Zero Emission Vehicles, ZEV) einführen. Die von der Industrie befürchtete Quote für Elektroautos soll es zwar nicht geben, das so genannte ZEV-Mandat kommt einer Quote aber sehr nah. Vorbilder dafür finden sich in Kalifornien oder in China. So sollen jene Autohersteller belohnt werden, die besonders viele solcher Autos verkaufen und die weniger als rund 50 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen – im Gespräch sind 15 bis 20 Prozent. Wer weniger verkauft, soll bestraft werden.
Die Vergangenheit zeigt indes, dass die EU-Kommission selten ihre Ziele 1:1 durchsetzen konnte. Das liegt nicht nur am Einfluss der Lobbyisten und möglichen Widerständen im EU-Parlament. Bei der letzten Festlegung von europäischen CO2-Grenzwerten im Jahr 2013 griff am Ende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) selbst zum Telefonhörer, um Brüssel auf einen autoindustriefreundlicheren Kurs zu bringen.
Auf die Kanzlerin kann die Branche nicht hoffen
Auf eine so direkte Intervention kann die Branche dieses Mal offenbar nicht zählen. Merkel steckt mitten in den Jamaica-Verhandlungen und ist – zumindest in der Öffentlichkeit – nach dem Dieselskandal nicht auf Kuschelkurs mit den deutschen Autobossen. Die müssen deshalb auf Matthias Wissmann setzen, der allerdings geschwächt in die Lobby-Schlacht gezogen ist, weil bereits öffentlich über seinen Nachfolger im VDA-Amt spekuliert wird. Wissmanns Botschaft ist dennoch in Brüssel angekommen: Der CO2-Ausstoß sollte bis 2030 maximal um 20 Prozent gesenkt werden, ein Zwischenziel und jede Form der Quote lehnt der Verband ab.
Doch so weit gehen nicht einmal alle deutschen Autobauer und Zulieferer. Einige könnten sogar mit den Plänen der EU-Kommission leben. „30 Prozent weniger CO2 bis 2030 treiben uns nicht den Schweiß auf die Stirn“, heißt es bei einem großen Automobilkonzern. Auch ein Bonus-Malus-System sei verkraftbar, wenn die Definition, was ein Null-Emissions-Fahrzeug (ZEV) ist, möglichst weit gefasst werde. „Hauptsache, auch Plug-in-Hybride werden mitgezählt, dann schaffen wir das.“ Die Prognose von Umweltverbänden, die deutschen Hersteller seien schon mit dem 95-Gramm-Ziel für 2021 unterfordert und könnten locker mehr erreichen, wird als „nicht falsch“ bezeichnet. Auch große Zulieferer, die heute bis zu 70 Prozent eines Neuwagens produzieren, erheben keine Maximalforderungen. Gewarnt wird vor allem vor einer zu starken Festlegung auf eine Technologie, etwa die Elektromobilität. „Ein Bonus-System rechnet sich für uns, solange es technologieoffen ist“, ist bei einem großen deutschen Zulieferer zu hören, der auf synthetische Kraftstoffe, Öko-Innovationen und moderne Diesel verweist.
Glaubt man den Ankündigungen der Autohersteller, wäre ein ZEV-Mandat mit einem Anteil von 15 bis 20 Prozent im Jahr 2030 ohnehin kein großes Problem. BMW und Daimler wollen schon 2025 zwischen 15 und 25 Prozent Elektroautos verkaufen, Volkswagen hat 20 bis 25 Prozent in Aussicht gestellt.
Doch diese Woche wird zeigen, dass es um mehr geht, nämlich ehrgeizige Klimaziele, auf die sich Deutschland festgelegt hat. Bis 2020 will die Bundesregierung den CO2-Ausstoß um 40 Prozent gegenüber 1990 senken, allein im Verkehrssektor sollen die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 bis 42 Prozent sinken. „Ohne neue, strenge Vorgaben aus Brüssel für den Automobilsektor ist das nicht zu schaffen“, sagt Peter Mock vom europäischen Forscherverbund ICCT, der den VW-Dieselskandal mit aufgedeckt hat.