Kampagne des EU-Parlaments: Warum Influencer plötzlich Werbung für Europa machen
Appelle statt Modetipps: Internetstars wollen junge Menschen zur Wahl bringen. Davon wollen auch die Parteien profitieren.
Die Internetstars tragen ihn, als wäre gerade nichts angesagter: einen blau-verwaschenen Kapuzenpullover mit zwölf knallgelben Sternen als Aufdruck. Auf Fotos in den sozialen Netzwerken räkeln sie sich mit dem Teil vor der Kamera, kombinieren es nur mit einer schwarzen Strumpfhose. An die sonst so stylische Social-Media-Prominenz erinnert das kaum noch. Doch um Mode soll es hierbei auch nur am Rande gehen.
Wo sogenannte Influencer sonst Modetipps geben, machen sie derzeit Werbung für die anstehende Europawahl. Und das nicht nur mit einem Pullover. Auf ihren Kanälen bei Instagram, Youtube und Co. erklären sie, wie die EU funktioniert, machen Straßenumfragen und veranstalten Online-Ratespiele. Die Influencer betrachten das als ihre gesellschaftliche Pflicht, wie sie sagen. „Ich möchte erreichen, dass Politik wieder mehr eine Rolle im Alltag der jungen Menschen spielt“, sagt etwa Diana zur Löwen. Schließlich lebe man durch die Algorithmen in den sozialen Netzwerken schnell in seiner eigenen Blase, die einen von relevanten Themen abschotten könne.
Und aus ihrer Sicht passen Mode und Politik durchaus zusammen. „Europa als Fashion-Statement zu inszenieren, wie ich das aktuell mache, wäre eine Möglichkeit“, sagt zur Löwen, der allein auf Instagram fast 750.000 Nutzer folgen. In ihren Videos und Beiträgen spricht die 23-Jährige aber auch ernste Themen an, wie etwa das Werbeverbot bei Abtreibungen.
EU-Parlament holte Influencer für Kampagne
Influencer als Werbepartner für eine Wahl gewinnen – das war die Idee des Verbindungsbüros des Europäischen Parlaments in Deutschland. Die Mitarbeiter haben eine Reihe von Social-Media-Stars kontaktiert. Dabei wollten sie bewusst nicht nur Personen anschreiben, die sich bereits häufig politisch äußern. Denn deren Zielgruppen würden ohnehin schon meist zur Wahl gehen. Es ging den deutschen Parlamentsmitarbeitern um einflussreiche Personen, die sich sonst nur mit Themen wie Lifestyle, Mode oder Musik beschäftigen.
Sie sind Teil der Kampagne „Diesmalwähleich“ mit gut 3000 Botschaftern. „Mithilfe unserer Unterstützer versuchen wir Wahlberechtigte aller Altersklassen von der großen Bedeutung der Europawahl zu überzeugen“, sagt Frank Piplat, Leiter des deutschen Verbindungsbüros. An der vergangenen Europawahl nahm gerade einmal jeder dritte 21- bis 24-Jährige teil – der schlechteste Wert im Vergleich zu anderen Altersklassen.
Und um das zu ändern, gibt das EU-Parlament viel Geld aus. Insgesamt 33,3 Millionen Euro stehen für die europaweite Kampagnenarbeit von „Diesmalwähleich“ zur Verfügung, das deutsche Budget beläuft sich auf rund eine Million Euro. Ein Teil davon geht offenbar direkt an Influencer, denn nicht alle machen ehrenamtlich Werbung für die Demokratie. Drei der Internetstars, die sich an der Kampagne beteiligen, hat das Verbindungsbüro über die Berliner Agentur Divimove engagiert. Dazu zählt neben den Influencerinnen Kupferfuchs und Lisa Sophie Laurent auch der YouTuber Alexander Böhm. „Die Recherchearbeiten für die entstandenen Inhalte zur Europawahl helfen nicht nur mir ungemein weiter, sondern auch der Community, sich ein umfassendes Bild zur aktuellen Politik zu machen“, sagt Böhm alias AlexiBexi. Und diese Community ist groß: Auf ihren Profilen erreichen die drei zusammen mehr als zwei Millionen Nutzer.
Wie hoch die Aufwandsentschädigungen für die Internetstars sind, wollte Divimove auf Anfrage aus vertragsrechtlichen Gründen nicht sagen. Zwar überlege auch Böhm regelmäßig, sich ehrenamtlich zu engagieren, sagt er. In der Auftragsarbeit sieht der YouTuber aber Vorteile. So sei die Kampagne von einem kompetenten Team nicht nur effizienter sondern auch spaßiger, sagt Böhm.
CDU will sich nicht äußern
Auch Parteien haben das Potenzial der Online-Botschafter offenbar erkannt. „Diverse Parteien wollen aktuell mit mir arbeiten, aber das sage ich ab“, sagt Influencerin zur Löwen. Sie versuche so gut es geht, neutral und unparteiisch zu berichten, sagt sie. Die CDU will auf Nachfrage nicht sagen, mit welchen Influencern über eine Zusammenarbeit gesprochen wird. Die SPD lehnt finanzierte Werbepartnerschaften ab. „Wahlwerbung, gerade auch im Netz, sollte als solche zu erkennen sein“, erklärt eine Parteisprecherin. „Es muss klar identifizierbar sein, in wessen Auftrag die Werbung erfolgt.“
Auf die Reichweite der Influencer wollen aber auch die Sozialdemokraten nicht verzichten. Freiwillige Schützenhilfe aus dem Netz nimmt die Partei gern an, etwa von Lisa Banholzer. Die 29-jährige Modebloggerin ist ebenfalls Teil der Kampagne des Europäischen Parlaments und besitzt seit zwei Jahren auch ein Parteibuch der SPD. Darüber spricht sie in ihren Posts und Blogeinträgen. Im April hat Banholzer gemeinsam mit SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley einen Podcast produziert.
„Die zielgruppengerechte Onlinekommunikation hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen“, heißt es dazu von der SPD. Und Influencer würden eben jene Zielgruppen ansprechen, die mit der klassischen Wahlwerbung kaum zu erreichen sind. Ihr Budget für den Onlinewahlkampf haben die Sozialdemokraten wohl auch deshalb im Vergleich zur vergangenen Europawahl im Jahr 2014 verachtzigfacht: Damals standen 20.000 Euro zur Verfügung, bei dieser Wahl rund 1,6 Millionen.
Politische Aussagen könnten zum Problem werden
Allzu öffentlich möchte Lisa Banholzer, die in Berlin derzeit das Werbegesicht der Modekette H&M ist, ihr Engagement für die SPD jedenfalls nicht machen. Sie möchte sich in der Presse nicht politisch äußern, teilt ihr Management mit. Der Hamburger Politikberater Martin Fuchs hat dafür eine Erklärung: Influencer könnten als Werbepartner für Unternehmen unattraktiv werden, wenn sie zu politisch auftreten. Besonders dann, wenn sich die politischen Ziele gegen Unternehmen richten, die die Influencer finanzieren. „Wäre Juso-Chef Kevin Kühnert ein Influencer, würde BMW jetzt wohl nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten“, sagt Fuchs.
Doch die Parteien würden selbst schon von kleinen und freiwilligen Kooperationen enorm profitieren. Über die sozialen Netzwerke kämen sie einerseits an Wahlberechtigte, die sich sonst kaum für Politik interessieren. „Andererseits bekommen Influencer von ihren Fans einen extremen Vertrauensvorschuss“, sagt Fuchs. Seine Idee: Aktionen, die für die Internetstars weniger politisch sind. „Warum lässt sich Andrea Nahles nicht mal von einer Beauty-Influencerin schminken“, fragt Fuchs.
Auch Spitzenpolitiker tragen den EU-Hoodie
Immerhin kleiden sich Spitzenpolitiker jetzt schon so wie die Jugendvorbilder im Netz. FDP-Chef Christian Lindner trägt den Europa-Pullover der Influencer lässig über dem Hemd, Katarina Barley sogar auf Wahlplakaten. Den sogenannten EUnify-Hoodie hat die Berliner König Galerie vor zwei Jahren herausgebracht. Die Europawahl ist ihr großes Geschäft: Mehr als 10 000 Pullover hat die Galerie verkauft. „Dass sich Barley, Lindner und andere Politiker dem Hoodie annehmen, ist zwiespältig zu sehen“, sagt Christoph Pantke von der Galerie König. Das könne den Pullover wieder unattraktiv machen.