Kritik an deutscher Wirtschaftsbilanz: Warum ein hoher Exportüberschuss zum Problem werden kann
Aus dem Ausland kommt Kritik, weil die Bundesrepublik viel mehr Waren aus- als einführt. Und tatsächlich wird der krasse Überschuss zum Problem - eine Lösung könnten mehr Investitionen sein.
Die deutschen Unternehmer können die Aufregung nicht verstehen. Sie sind erfolgreich, verkaufen möglichst viele ihrer Produkte ins Ausland – und werden dafür massiv kritisiert. Der französische Präsidentschaftsbewerber Emmanuel Macron hält Deutschlands Exportstärke „nicht mehr für tragbar“. Auch seine Landsfrau Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), sieht das kritisch, der neue US-Präsident Donald Trump sowieso. Entsprechend viele Fragen muss Wolfgang Schäuble (CDU) dieser Tage in Washington beantworten. Am Donnerstag traf der Finanzminister dort bereits auf seine Ressortkollegen der G-20-Staaten. Ab Freitag halten IWF und Weltbank ihre Frühjahrstagung ab, auf der die deutsche Handelsbilanz erneut Thema sein dürfte. Doch worum geht es bei diesem Streit? Woran stören sich die anderen Staaten und wie kann man das ändern?
Wirtschaftsvertreter haben derzeit das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), sagt zum Beispiel, die hohen Exporte seien „ein Beleg für die hohe Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte und Dienstleistungen“. Mit anderen Worten: nichts, wofür man sich schämen müsste. Dabei ist es nicht der hohe Export, an dem man sich im Ausland stört – sondern der hohe Exportüberschuss. Hat ein Land einen Exportüberschuss, heißt das: Es verkauft mehr Waren ins Ausland, als es aus dem Ausland einkauft.
Deutschland hat einen größeren Exportüberschuss als China
Zum Problem wird ein solcher Exportüberschuss, wenn er immer größer wird. Und genau das ist in Deutschland der Fall. Die Exporte übersteigen die Importe inzwischen um 253 Milliarden Euro – womit der Überschuss der Deutschen sogar größer ist als der der Chinesen. Angesichts dieser Dimension warnt der IWF vor einem exzessiven Ungleichgewicht und – in der Folge – einer Instabilität des Finanzsystems.
Deutschland stehen Länder wie die USA gegenüber, die mehr Waren importieren, als sie ins Ausland verkaufen. Dafür müssen sie sich bei den Handelspartnern verschulden. Wenn wir also mehr exportieren als importieren, geben wir dem Ausland Kredit. In einem gewissen Umfang ist das in Ordnung. Werden die Dimensionen größer, kann das zum Risiko werden – und zwar auch für uns. Denn durch die Entwicklung besitzt Deutschland zum Beispiel viele US- Staatsanleihen. Sollten die aufgrund einer Finanzkrise an Wert einbüßen, geht hierzulande Vermögen verloren. Mit dem enormen Fokus auf Exporte macht sich die Bundesrepublik abhängig vom Ausland – mit entsprechenden Risiken.
Experten fordern mehr Investitionen
Nun wird kein Ökonom von den Deutschen ernsthaft fordern, sich selbst kleiner zu machen und freiwillig die Exporte zu reduzieren. Was Deutschland aber durchaus tun kann und was Ökonomen bereits seit Jahren fordern: mehr investieren. Gibt der Staat mehr Geld für Schulen, Kindergärten, Autobahnen und Breitbandverbindungen aus, stärkt das die Binnenwirtschaft. Wächst die Wirtschaft im Land, geben die Deutschen automatisch mehr Geld aus und kaufen dadurch auch mehr Produkte aus dem Ausland. Im Ergebnis steigen die Importe und der Exportüberschuss sinkt.
Umstrittener als mehr Investitionen ist dagegen die Forderung nach höheren Löhnen. In der Vergangenheit haben Ökonomen – unter ihnen auch IWF-Chefin Lagarde – den Deutschen immer wieder vorgeworfen, die Exportwirtschaft durch Lohndumping zu befördern. Deutschland könne also nur deshalb so viel ins Ausland verkaufen, weil die Firmen ihre Arbeiter so schlecht bezahlen, so der Vorwurf. Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hält das für falsch. „Deutsche Exporteure zahlen mit die höchsten Löhne ihrer Branche im internationalen Vergleich“, sagt er. Auch das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) kann die These nicht belegen, dass die niedrigen Löhne für den Exportüberschuss verantwortlich sind. In einer aktuellen Studie kommen die IMK-Forscher zu dem überraschenden Ergebnis: Wären die Nominallöhne zwischen 2001 und 2015 statt um 1,7 um 2,7 Prozent jährlich gestiegen, wäre der Exportüberschuss Deutschlands sogar noch größer ausgefallen. Der Grund: Weil Firmen die höheren Löhne auf die Preise aufgeschlagen hätten, wären zwar die Exporte zurückgegangen – ihr Wert wäre aber gestiegen, was den mengenmäßigen Rückgang überkompensiert hätte. Eine Lohnerhöhung kann nach Ansicht der IMK-Forscher den Exportüberschuss deshalb nur dann senken, wenn der Staat die dadurch steigenden Steuereinnahmen für mehr Investitionen nutzt.
Der schwache Euro macht es Exporteuren leicht
Einen anderen Faktor, der für den Export wichtig ist, kann Deutschland dagegen nicht beeinflussen: die Geldpolitik. Die Bundesrepublik profitiert enorm vom schwachen Euro. Gäbe es noch die D-Mark, wäre die in den letzten Jahren aufgewertet worden – das hätte deutsche Exporte teurer gemacht, die dann automatisch zurückgegangen wären. Durch die Gemeinschaftswährung Euro fällt dieser ausgleichende Effekt weg. Trumps Team hat Deutschland deshalb vorgeworfen, andere Länder mit seiner „krass unterbewerteten“ Währung auszubeuten. Das Problem ist nur: Den Euro-Kurs kann die Bundesregierung nicht steuern. Auf ihn hat nur die Europäische Zentralbank (EZB) Einfluss. Und die hat neben Deutschland auch die Staaten im Süden Europas im Blick, in denen ein stärkerer Euro schnell eine neue Krise auslösen kann.
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