Gesünderes Image: Warum der Handel überall Zucker reduziert
Handelskonzerne reduzieren bei ihren Eigenmarken den Anteil von Zucker, Salz und Fett. Ganz uneigennützig ist das aber nicht.
Jedes Mal, wenn sie im Supermarkt stehen, haben Verbraucher die Wahl: teuer oder billig, Frischware oder Fertigessen, kalorienarm oder Kalorienbombe? Rewe, der zweitgrößte deutsche Lebensmittelhersteller, hat seine Kunden kürzlich aber noch vor eine viel konkretere Wahl gestellt. Die Verbraucher sollten abstimmen, wie sie den hauseigenen Schokopudding künftig haben wollten: so süß wie bisher oder mit 20, 30 oder gar 40 Prozent weniger Fett. Mehr als 100000 Konsumenten machten mit. Das Ergebnis der direkten Käuferdemokratie kommt im Mai in die Filialen.
Der neue Rewe-Schokopudding wird 30 Prozent weniger Zucker haben als das bisherige Produkt. „Mit der bundesweiten Kampagne zur Zuckerreduzierung in den Eigenmarken hat Rewe gezeigt, dass alltägliche Produkte auch mit weniger Zucker schmecken“, sagt Rewe-Sprecher Raimund Esser. Für das Originalprodukt hätten sich nur fünf Prozent der Kunden ausgesprochen.
Wie gut, dass die Kunden das Richtige gewählt haben. Nicht auszudenken, wenn sie es lieber weiterhin süß gehabt hätten. Denn Zucker, Fett und Salz haben gesellschaftlich kein gutes Image. Sie gelten als Dickmacher, Nierenschädiger und Blutdrucktreiber. Nicht nur in Deutschland, auch im Ausland wird diesen Nährstoffen der Kampf angesagt. In Großbritannien müssen die Hersteller seit kurzem eine Zuckersteuer auf Limos abführen. So weit will Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) nicht gehen. Doch auch die deutsche Ministerin steht unter Zugzwang.
Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD auf eine „nationale Reduktionsstrategie für Zucker, Fett und Salz in Fertigprodukten“ verständigt. Noch in diesem Jahr soll gemeinsam mit allen Beteiligten ein Konzept und ein Zeitplan erarbeitet werden, heißt es in dem Papier, das maßgeblich unter der Federführung der neuen Ministerin entstanden ist. Ob Klöckner dabei an die Vorarbeiten ihres Amtsvorgängers Christian Schmidt (CSU) ansetzt, der für die Reduktion von Zucker, Fett und Salz zunächst auf freiwillige Zielvorgaben der Hersteller setzen wollte, ist noch unklar.
Handel setzt auf ein gesünderes Image
Doch während im Ministerium noch überlegt wird, schafft die Wirtschaft Tatsachen. Einer der großen Treiber ist der Handel. Der Preiswettbewerb ist weitgehend ausgereizt, nun geht es im Kampf um Kunden verstärkt um das Image. Mit zucker-, salz- und fettreduzierten Produkten können sich die großen Ketten als moderne, gesundheitsbewusste Unternehmen inszenieren. Dabei ist das eigentlich ein alter Hut. So senkt Aldi Nord nach eigenen Angaben schon seit sieben Jahren kontinuierlich den Salzgehalt seiner Produkte und will auch den Zuckergehalt reduzieren.
Der Discounter orientiert sich an den Vorgaben der Stiftung Warentest und Ökotest. „Wir haben zuletzt beispielsweise den Zuckergehalt von Frühstückscerealien, Fruchtkonserven sowie bei verschiedenen Molkereiprodukten und Getränken gesenkt“, berichtet eine Sprecherin. Auch Kaufland hat schon 2015 damit begonnen, bei vielen Produkten Zucker zu sparen, etwa bei Cerealien und Joghurt. Die Metro-Tochter Real hatte bereits Ende 2017 für über 150 Artikel aus dem Eigenmarkensortiment sowie für frische Feinkostartikel neue Rezepturen eingeführt. Schokomüsli enthält jetzt 20 Prozent weniger Zucker, im Kids’ Ketchup stecken mehr Tomaten und ein Drittel weniger Zucker.
Auch Edeka, Deutschlands größter Lebensmittelhändler, lässt einen Teil des Zuckers bei seinen Eigenmarken weg: bis zu 30 Prozent bei Cerealien, Feinkost- und Nudelsaucen, bis zu 25 Prozent bei Getränken und Feinkostsalaten, bis zu 20 Prozent bei Fruchtjoghurt. Doch was neu ist: In den vergangenen Jahren haben die Händler kaum Aufheben um ihre neuen Rezepturen gemacht. Das ist jetzt anders.
Ernährung ist ein gesellschaftliches Thema, bei dem es viel zu gewinnen gibt. Kein Wunder also, dass die großen Handelsketten ihre neuen, gesünderen Produkte jetzt in den Fokus der Werbung rücken und sich dabei förmlich überbieten. So hat sich Lidl im Januar 2017 öffentlich dazu verpflichtet, Zucker und Salz in seinen Eigenmarkenprodukten um 20 Prozent zu reduzieren. In Frühstückscerealien wurde der Zuckergehalt um bis zu 35 Prozent reduziert. Derzeit überarbeitet Lidl jeden seiner Joghurts.
Weitere zuckerreduzierte Produkte werden in den kommenden Wochen folgen: Bei Cola oder Eistee soll in einem ersten Schritt der Zuckergehalt um fünf bis acht Prozent reduziert werden. Dann sind „Süßgebäck“ und „Backwaren“ an der Reihe. Rewe will im Laufe des Jahres mindestens 100 ausgewählte Pilot-Produkte sukzessive ins Sortiment aufnehmen. Den Anfang – ab Mitte Mai – machen Molkereiprodukte, Cerealien, Eis und alkoholfreie Erfrischungsgetränke. Bei den „Glockenbrot“-Backwaren soll bis zu 20 Prozent Salz gespart werden. Das gesamte Eigenmarken-Sortiment will Rewe bis 2020 auf den Zucker- und Salzgehalt hin überprüfen. „Auch die großen Lieferanten kennen unsere Zuckerreduktionsstrategie. Und wir haben bei ihnen dafür geworben, gleiche oder ähnliche Schritte zu unternehmen“, sagt Rewe-Sprecher Esser.
Verbraucherschützer wollen eine Nährwertampel
Wahrscheinlich mit Erfolg. Denn der Handel hat Macht. 80 Prozent des Lebensmittelhandels liegt in den Händen der vier großen Handelskonzerne Edeka, Rewe, Lidl/Kaufland und Aldi. Deren Eigenmarken kommen oft aus den Fabriken der großen Markenhersteller. Viele von ihnen arbeiten zwar auch bei ihren Markenartikeln an gesünderen Rezepturen, doch der Handel macht nun zusätzlichen Druck. Und Probleme. „Man kann nicht nach der Rasenmähermethode den Zuckergehalt pauschal kürzen“, gibt Christian Böttcher, Geschäftsführer des Bundesverbands des Lebensmitteleinzelhandels, zu bedenken. Für jedes Produkt müsse man das richtige Rezept finden.
Denn die Kunden dürfen nicht verschreckt werden. Eine Gefahr, die die Handelsketten sehr ernst nehmen. „Unser Ansatz ist es, Zucker sukzessive zu reduzieren, so dass der Kunde Zeit hat, sich an die veränderte Rezeptur zu gewöhnen, und praktisch keinen Unterschied bemerkt“, heißt es bei Lidl. Und auch bei Kaufland nimmt man ausdrücklich Rücksicht auf die Geschmacksprofile der Kunden.
Verbraucherschützer sehen den Abbau von Zucker, Fett und Salz zwar grundsätzlich positiv, so ganz überzeugt sind sie aber noch nicht von der Gesundheitsoffensive des Handels. „Die entscheidenden Fragen sind doch: Wie wird reduziert und trägt es dazu bei, das Lebensmittelangebot gesünder zu machen?“, sagt Sophie Herr, Ernährungsexpertin des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (VZBV). Wenn Zucker durch künstliche Süßungsmittel oder Fett ersetzt wird, sei das kritisch. „Unternehmen werben zwar damit, dass sie den Zuckergehalt senken, aber nicht, dass sie gleichzeitig den Fettanteil erhöhen“, warnt die Verbraucherschützerin.
Lidl und Kaufland versichern, dass sie Zucker nicht durch Süßstoffe ersetzen. Doch Verbraucherschützerin Heer möchte sich auf solche Zusicherungen nicht verlassen. Sie fordert eine Nährwertampel auf Lebensmittelverpackungen, damit die Verbraucher selber sehen können, wie viel Zucker, Fett und Salz in Lebensmitteln stecken. Und statt Einzellösungen pocht Heer auf ein ganzheitliches und flächendeckendes Konzept für die Reduktion. „Die neue Bundesernährungsministerin Julia Klöckner muss jetzt zügig Nägel mit Köpfen machen und den Koalitionsvertrag umsetzen, der die Erarbeitung einer Nationalen Reduktionsstrategie vorsieht“, sagt die Lebensmittelexpertin.
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