Besteuerung von Softdrinks in Großbritannien: Wie gefährlich ist Zucker – und wie reagiert die deutsche Politik?
In Großbritannien werden Softdrinks von Freitag an besteuert. Wie gefährlich ist Zucker – und wie reagieren Industrie und Politik in Deutschland? Fragen und Antworten zum Thema.
Jahrzehntelang galt Fett als wichtigster Dick- und Krankmacher in der Nahrung. Bei Zucker sahen Mediziner höchstens die Kariesgefahr als wirklich problematisch an. Doch die wissenschaftlichen Belege, dass Zucker und leicht vom Körper in Zucker umgewandelte Kohlenhydrate weitaus gefährlicher sind, sind mittlerweile sehr überzeugend. Vor allem in Softdrinks gilt er als gesundheitsgefährdend, weil auf diese Weise große Mengen in den Körper gelangen können. Organisationen wie Foodwatch kritisieren auch die Marketingstrategien der Großproduzenten. Vor dem Brexit-Votum kündigte die damalige britische Regierung an, eine Steuer auf mit Zucker gesüßte, industriell produzierte Getränke zu erheben. Nach einer zweijährigen Übergangsperiode tritt die „Soft Drinks Industry Levy“ nun am Freitag in Kraft.
Worum geht es bei der britischen Zuckersteuer?
In Großbritannien müssen ab Freitag die Hersteller von Soft Drinks, denen Zucker zugesetzt wurde, eine Abgabe zahlen. Pro Liter sind 18 Pence fällig, wenn das Getränk zwischen 5 und 8 Gramm Zucker pro 100 Milliliter enthält, bei mehr als 8 Gramm sind es 24 Pence pro Liter. Als „Zucker“ gilt sowohl der normale Haushaltszucker (Saccharose) als auch beispielsweise Fruktose, Traubenzucker und Milchzucker. Ausgenommen sind Getränke, die trotz Zuckeranteil als insgesamt gesundheitsförderlich gelten, etwa solche mit hohem Milchanteil, Milchersatzprodukte sowie alkoholfreies Bier. Kalorienfreie oder extrem kalorienarme Zucker-Ersatzstoffe wie Aspartam, Stevia oder Zuckeralkohole werden ausdrücklich nicht besteuert.
Was ist zu möglichen Gesundheitsrisiken durch Zucker bekannt?
Über die allergrößte Strecke der menschlichen Evolution war Süßes extrem knapp. Selbst wilde Früchte enthielten weit weniger Zucker als heutiges Kulturobst. Honig war oft das einzige wirklich süße Naturprodukt. Dieser war energiereich und enthielt gesundheitsfördernde Bestandteile wie etwa natürliche Infektionshemmer. Ein besonderer Appetit auf Süßes war also vorteilhaft. Wegen jener historischen Knappheit ist aber der menschliche Organismus auf die großen Mengen von Zucker, die heute verfügbar sind, schlecht eingestellt. Gelegentliche hohe Zuckerdosen sind wahrscheinlich unproblematisch, chronisch hohe Zufuhr aber schädigt Zellen und Darmflora und bringt Stoffwechselvorgänge aus dem Gleichgewicht. Diabetes Typ 2 und dessen Vorstufen werden auf ein Zuviel an Zucker zurückgeführt. Körperzellen reagieren hier letztlich nicht mehr ausreichend auf das Signal des Hormons Insulin.
Zu viel Zucker verbleibt deshalb im Blut. Die Bauchspeicheldrüse versucht dann, noch mehr Insulin herzustellen – ein Teufelskreis. Anders als lange propagiert wird Zucker auch in Fett umgebaut und als solches gespeichert. Auch der lange als „gesund“ angesehene Fruchtzucker (Fruktose) gilt in großen Mengen inzwischen als Stoffwechselgift. Er ist einer der wichtigsten Auslöser der nicht durch Alkohol bedingten Variante der Fettleber. Bei zahlreichen weiteren Krankheiten steht Zucker im Verdacht, eine negative Rolle zu spielen. Dazu gehören Herzkreislauferkrankungen, Darmleiden, Demenz und Krebs. Bei Krebs ist auch bekannt, dass Tumorzellen sich fast ausschließlich von Zucker ernähren, während gesunde Zellen auch auf andere Energielieferanten – etwa aus Fett in der Leber hergestellte Ketone – zurückgreifen können.
Sind Süßstoffe als Zuckerersatz sinnvoll?
Einzelne Süßstoffe standen lange im Verdacht, krebserregend zu sein. Aktueller Forschungsstand ist, dass bei Mengen, die realistisch verzehrt werden, in dieser Hinsicht wahrscheinlich kaum Gefahr besteht. Problematisch ist eher die Tatsache, dass diese Ersatzstoffe, obwohl sie keine oder kaum Kalorien enthalten, Stoffwechsel und Gesundheit ebenfalls negativ beeinflussen können, inklusive Gewichtszunahme. Studien an Mäusen zeigen etwa, dass sich deren Darmbakterienzusammensetzung in ungünstiger Weise ändert, wenn sie Süßstoffe konsumieren. Auch Anstiege der Insulinwerte und eine verschlechterte Reaktionsfähigkeit der Körperzellen auf dieses Hormon sind bei manchen synthetischen Süßstoffen beobachtet worden.
Was fordern Verbraucherschützer?
Organisationen wie Foodwatch kritisieren seit jeher Werbung für Süßigkeiten und Limonade – besonders jene, die auf Kinder und Jugendliche abzielt. Am Mittwoch hat Foodwatch den „Coca- Cola-Report“ vorgelegt und den Weltmarktführer für zuckerhaltige Getränke aufgefordert, endlich Verantwortung zu übernehmen. „Das Marketing für Kinder ist perfide“, sagte Martin Rücker, Geschäftsführer von Foodwatch Deutschland. Der Konzern engagiert beispielsweise Youtube- und Fußballstars, um für die Marke zu werben. Statista zufolge gab Coca-Cola Deutschland allein im vergangenen Jahr 172,6 Millionen Euro für Werbung aus.
Oliver Huizinga, Autor des Reports, kritisierte die intensive Lobbyarbeit von Coca-Cola: Dazu zählen Kampagnen gegen eine Nährwertampel oder eine Steuer wie in Großbritannien. „Eine Herstellerabgabe für Zuckergetränke sollte auch in Deutschland eingeführt werden“, forderte Rücker und richtete sich damit an Julia Klöckner, die neue Bundesministerin für Ernährung. Getränke mit alternativen Süßstoffen sollten ebenfalls von der Regelung betroffen sein.
Coca-Cola Deutschland wies in einer Reaktion darauf hin, dass der Konzern bis 2020 den Zucker in seinen Erfrischungsgetränken um zehn Prozent reduzieren werde. Bis 2025 solle die Hälfte des Absatzes mit zuckerfreien und zuckerreduzierten Varianten erzielt werden. Coca-Cola biete seit Jahren sämtliche klassischen Limonaden auch in zuckerfreien Varianten an. Rund ein Drittel des Getränkeangebots sei heute schon ohne Zucker oder zuckerreduziert. Die Werbung für Getränke ohne oder weniger Zucker liege in Deutschland um 90 Prozent höher (pro Liter) als für die klassischen Getränke, hieß es von Seiten des Unternehmens.
Als eine mögliche Konsequenz aus dem „Coca-Cola-Report“ der Verbraucherorganisation Foodwatch haben jetzt auch die Grünen die Einführung einer Zuckersteuer ins Spiel gebracht. „Wie sich auf Dauer die Sonderabgabe auf Zucker in den Nachbarländern wie Großbritannien oder Frankreich entwickelt, werden wir genau beobachten und entsprechende Konsequenzen für Deutschland daraus ziehen, wenn die Industrie sich jetzt nicht bewegt“, sagte die ernährungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Renate Künast, dem "Handelsblatt".
Coca-Cola hält dagegen. „Man kann Übergewicht nicht wegbesteuern“, sagt Patrick Kammerer, Mitglied der Geschäftsleitung von Coca-Cola Deutschland. Die Steuer sei diskriminierend und erfülle nicht ihren behaupteten Zweck. Kammerer zufolge ist es verfehlt, sich auf ein Lebensmittel oder einen Inhaltsstoff zu konzentrieren: „Wer ernsthaft Adipositas, einseitige Ernährung und eine ungesunde Lebensweise in unseren Gesellschaften bekämpfen möchte, der muss etwas anderes liefern als Bevormundung der Bürger und einfache Parolen.“
Wie reagiert die Ernährungsindustrie?
Die Wirtschaftsvereinigung Zucker warnt vor einer Verteufelung des „Naturprodukts Zucker“, die Lebensmittelindustrie kritisiert die Fokussierung auf einzelne Nährstoffe oder Produkte im Kampf gegen Übergewicht. „Nicht nur die Ernährung hat Einfluss auf die Gesundheit, es kommt auch auf die Bewegung an“, heißt es beim Lobbyverband Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde. Zudem könne jeder Verbraucher auf der Verpackung nachlesen, wie viel Zucker ein Produkt enthält. In vielen Unternehmen beginnt aber bereits ein Umdenken – etwa bei Nestlé. Der weltgrößte Ernährungskonzern arbeitet an neuen Rezepturen, die weniger Zucker enthalten. „Wir haben bei Kitkat 1500 Badewannen Zucker gespart“, sagte Deutschlandchefin Béatrice Guillaume-Grabisch kürzlich im Tagesspiegel-Interview. Und der Lebensmittelhändler Rewe ließ kürzlich seine Kunden darüber abstimmen, wie viel Zucker sie im Schokopudding haben wollen.
Was plant die Politik?
Vor einem halben Jahr hatte der damalige Agrar- und Ernährungsminister Christian Schmidt (CSU) die Lebensmittelindustrie geschockt: Schmidt hatte eine Reformulierungsstrategie angekündigt und wollte in Deutschland gesündere Rezepturen mit weniger Salz, Fett und Zucker durchsetzen. Die Bundestagswahl hatte dem Projekt dann jedoch ein schnelles Ende gesetzt. Schmidts Nachfolgerin Julia Klöckner (CDU) ließ am Mittwoch erklären, sie setze auf eine „Gesamtstrategie zur Reduzierung von Fett, Zucker und Salz“.
Im Fokus stehe die gesamte Lebens- und Ernährungsweise, nicht einzelne Nährstoffe wie Zucker. Zudem will Klöckner über Ernährungsbildung ein „besseres Verständnis für unsere Lebensmittel und deren Wirkung schaffen“. Eine Steuer für Fertigprodukte klinge einfach und verlockend, sagt die Ministerin. Aber: „Es mag zwar sein, dass der Zuckergehalt in manchen Produkten sinkt. Das gilt aber nicht automatisch für den Gesamtkaloriengehalt.“
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