Feste, Demos und das "Sommermärchen": Warum Berlin viel mehr Großveranstaltungen braucht
Die Autofahrer murren mal wieder, weil die Straßen wegen eines Groß-Events gesperrt sind? Nix da, meint unser Kolumnist Joachim Hunold: Die vielen Veranstaltungen sind ein Pfund, mit dem die Stadt wuchert. Und wer mit dem Auto zur Arbeit fährt, hat eh selbst schuld.
Der nächste Ärger für Berlins Autofahrer kommt bestimmt. Etwa dann, wenn wegen einer Veranstaltung wieder einmal die Straße des 17. Juni gesperrt wird. Oder wenn in Kreuzberg und Tempelhof zum x-ten Mal im Jahr ein großes Straßenfest stattfindet. Wer mit seinem Auto schlecht gelaunt im Stau steht, ist schnell geneigt, ein Verbot oder zumindest eine Reduzierung von Großveranstaltungen in Berlin zu fordern. Zumal in der Hauptstadt täglich noch mehrere politische Demonstrationen stattfinden, die auch nicht unbedingt zur Verflüssigung des Verkehrs beitragen.
Berlin muss damit leben, Hauptstadt zu sein
Die Sache mit den Demos können wir schnell abhaken: Berlin wollte Hauptstadt werden. Berlin ist Hauptstadt geworden. Und Berlin muss nun damit leben, Hauptstadt zu sein. Doch der Hauptstadt-Status allein macht noch nicht satt. Dazu bedarf es einer florierenden Wirtschaft. Gerade auf diesem Feld hat Berlin aber Defizite. Wo einst die Wiege von Weltfirmen wie Siemens oder AEG stand, fehlt es seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges an Industriebetrieben.
Nach der deutschen Wiedervereinigung hat sich diese Situation wegen des Wegfalls der Berlin-Subventionen noch verschlechtert. An der Spitze der Umsatzträger steht heute das Dienstleistungsgewerbe. Und das lebt vor allem vom Berlin-Tourismus, der mittlerweile einen zweistelligen Milliardenumsatz bringt. Die boomenden Start-ups in der IT-Branche sind davon noch weit entfernt.
Die Besucher kommen wegen der Events
Dass Berlin heute zu den drei meistbesuchten Städten in Europa gehört, verdankt die Stadt nicht nur ihrer Historie, ihren preisgünstigen Hotels und den 19.000 Gaststätten. Millionen Besucher kommen vor allem wegen der vielen Events in die Hauptstadt. Spätestens mit dem "Sommermärchen" anlässlich der Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2006 wurde da ein Schalter umgelegt. Die Erlebnisse auf der Fanmeile zwischen Brandenburger Tor und Goldelse sind Hunderttausenden Besuchern unvergesslich geblieben. Ob Karneval der Kulturen, Christopher Street Day oder Fête de la Musique – die Besucher aus aller Welt erwarten von Berlin Events.
Events sind ein Kapital, das die Stadt nicht leichtfertig verspielen sollte. Gefährlicher noch als murrende Autofahrer sind die Behörden, die inzwischen Sicherheitsbedenken am laufenden Band produzieren. Das Nisan-Kinderfest ist ihnen bereits zum Opfer gefallen, und andere Großveranstaltungen stehen inzwischen auf der Kippe. Der "Schutz der Menschen" wird dabei leicht zum Totschlagargument. Die Mauer ist in Berlin zwar längst Geschichte, doch jetzt diskutiert man einen "unüberwindbaren" Zaun im Tiergarten. Am Ende kommt vielleicht sogar noch jemand auf die Idee, den Tauentzien zu sperren, weil sich dort ja täglich zigtausende Menschen unkontrolliert bewegen.
Lasst doch bitte die Kirche im Dorf! Und den genervten Autofahrern kann ich nur empfehlen, auf S- und U-Bahn umzusteigen. In New York oder London kämen selbst Spitzenmanager nicht auf die Idee, mit dem Auto zum Büro zu fahren.
Diese Kolumne erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin "Köpfe" aus dem Tagesspiegel-Verlag, das Sie hier bekommen können: Tagesspiegel Köpfe bestellen
Joachim Hunold