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Rechtlich gilt, dass der Arbeitgeber bis zu 30 Fehltage pro Jahr hinnehmen muss.
© picture alliance / dpa

Prozess vor dem Arbeitsgericht: Wann kostet die Krankheit den Job?

Das Bundesarbeitsgericht entscheidet am Mittwoch, ob kranke Mitarbeiter zum Personalgespräch müssen. Ein Krankenpfleger aus Berlin hatte gegen Vivantes geklagt.

Jahrelang arbeitete er bei Vivantes als Krankenpfleger, betreute die Patienten auf der geschlossenen Station. Dann verletzte sich der 48-Jährige, der anonym bleiben möchte, schwer. Konnte lange nichts tun. Während der Mann in dem Büro seines Anwalts spricht, streicht er über seinen Unterarm, der wegen seines damaligen Knochenbruchs noch immer mit einer grauen Schiene fixiert ist. Obwohl er möchte, geht er nicht zu seiner alten Arbeitsstelle. Stattdessen streitet er mit Vivantes vor Gericht.

Als der 48-Jährige vor drei Jahren nämlich zum zweiten Mal längerfristig erkrankte, forderte ihn der Konzern zur Teilnahme an einem Personalgespräch auf. Er ging nicht hin, konnte nicht. „Allein wegen der Medikamente, die ich nahm, war das nicht möglich“, erzählt er. Was er genau hatte, möchte er nicht sagen. Er meint nur, es war „sehr schwierig“ damals. Weil er das zweite und dritte Gespräch ebenfalls ablehnte, mahnte ihn Vivantes im Februar 2014 ab. Der Krankenpfleger klagte. Nachdem ihm das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg im vergangenen Jahr teilweise Recht gab, entscheidet an diesem Mittwoch das Bundesarbeitsgericht.

Urteil soll endlich für Klarheit sorgen

Es ist kein Einzelfall. Bislang haben mehrere Richter und Arbeitsrechtler die Position vertreten: Kranke Beschäftigte müssen nicht an einem Personalgespräch teilnehmen. Auch Ulf Meißner, Anwalt des Krankenpflegers, sieht das so. Er hofft, dass die höchste Instanz des Arbeitsrechts in seinem Sinne entscheidet, und wie er sagt, „endlich für Klarheit sorgt“.

Gut jeder zweite Beschäftigte war 2015 mindestens einmal krank. Eine Steigerung im Vergleich zum Vorjahr, wie die Krankenkasse DAK in ihrem aktuellen Report dokumentiert. Die häufigsten Ursachen waren Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems, des Atmungssystems und der Psyche. Im Schnitt fehlten die Mitarbeiter zwölf Tage, überdurchschnittlich oft in den Branchen „Verkehr, Lagerei und Kurierdienste“ – und im Gesundheitswesen. In der Summe machten das nach der amtlichen Statistik rund 538 Millionen gemeldete Arbeitsunfähigkeitstage. Ein Drittel der Fehlzeiten ging laut DAK auf eine lange Arbeitsunfähigkeit von mehr als sechs Wochen zurück. Ab dann muss der Arbeitgeber kein Gehalt mehr zahlen. Der Betroffene bekommt für maximal 78 Wochen Krankengeld.

Arbeitgeber muss 30 Fehltage hinnehmen

Grund für eine Kündigung sind Erkrankungen in fünf bis sieben Prozent aller Fälle. Laut dem Rechtsschutz des Deutschen Gewerkschaftsbundes gilt, dass der Arbeitgeber bis zu 30 Fehltage pro Jahr hinnehmen muss. Ist der Beschäftigte länger krank, gelte dies grundsätzlich als unzumutbar. Kündigen kann der Chef auch, wenn die Krankheit nur vorgetäuscht ist. Erfährt der Arbeitgeber, dass sein kranker Mitarbeiter einkaufen war oder beim Fußballspiel seines Kindes, liegt die fristlose Kündigung schnell im Briefkasten.

Korrekt ist das nach Einschätzung des Deutschen Gewerkschaftsbundes aber nur dann, wenn die Krankheit tatsächlich erlogen ist oder wenn der kranke Mitarbeiter seine Genesung gefährdet. Dabei kommt es zum einen auf die Diagnose an. Bei einer schweren Grippe oder einem Bandscheibenvorfall dürfte es schwer fallen, zu begründen, dass Gartenarbeit oder Sport sinnvoll sind. Bei psychischen Erkrankungen kann Bewegung hingegen nützlich sein. Relevant für die Beurteilung ist auch die Dringlichkeit der jeweiligen Tätigkeit. So sind der Einkauf von Lebensmitteln oder das Abholen der Kinder vom Kindergarten eventuell notwendig – und deswegen unbedenklich Um Missverständnisse zu vermeiden, rät der DGB-Rechtsschutz dazu, den Arzt zu fragen und den Vorgesetzten zu informieren, warum manches einfach nicht zu vermeiden sei.

Der Mann, der Vivantes verklagt hat, erhält noch ein Jahr Krankengeld. Sein Vertrag gilt zwar noch, doch das Arbeitsverhältnis ruht. Er möchte nicht mehr als Krankenpfleger arbeiten, Vivantes würde derzeit keine Alternative sehen. Ein Dilemma. Sollte sich daran nichts ändern, sagt er, wird er in einem Jahr Arbeitslosengeld beantragen müssen.

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