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In See stechen. Die Freihandelsbewegung basiert auf der Idee, dass Länder spezielle Güter produzieren und deswegen besser miteinander handeln.
© picture-alliance/ dpa/dpaweb

TTIP & Co.: Vorzüge und Gefahren des Freihandels

AM Montag gehen die TTIP-Verhandlungen weiter. In Berlin sind Tausende Menschen dagegen auf die Straße gegangen. Die Idee vom Freihandel ist jahrhundertealt.

Wäre Adam Smith vor einer Woche in Berlin gewesen, er hätte wohl die Welt nicht mehr verstanden. Mindestens 150 000 Menschen standen auf der Straße. Demonstrierten gegen TTIP, die denkbar größte Freihandelszone der Welt. Smith, geboren 1723, gilt als Begründer der modernen Ökonomie. Als Liebhaber des Freihandels. Für ein Abkommen, das Tausende von Menschen rasend macht, schuf er vor mehr als 200 Jahren die Grundidee.

Das Wesen vom Freihandel basiert auf der Lehre des klassischen Wirtschaftsliberalismus. Einer seiner Vertreter: Adam Smith. Danach ist der Wohlstand eines Landes am größten, wenn sich der Staat so wenig wie möglich einmischt. Das Gegenteil des freien Austauschs von Waren und Dienstleistungen ist der Protektionismus. Die Abschottung nach außen.

Wie der Freihandel entstand

Im 19. Jahrhundert wurde der Gedanke von Smith zu einer Bewegung: In England schloss sich eine Vereinigung gegen Getreidezölle zusammen, die Korngesetze (Corn Laws) wurden abgeschafft. 1834 gründete sich der Deutsche Zollverein. Ein Zusammenschluss von Staaten des Deutschen Bundes schuf einen zollfreien Binnenmarkt. Einen gemeinsamen Wirtschaftsraum. Auch wegen der starken englischen Exportindustrie. Weitere Abkommen in Europa folgten. Ein Netzwerk an Freihandelsverträgen entstand.

Über die Zeit hinweg wurde das Bestreben nach freiem Handel immer mal wieder durch Krisen gehemmt: Der Börsencrash von 1873, die Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929, Ölkrisen, die Finanzkrise vor acht Jahren – immer dann, wenn das System kollabiert, isolieren sich Länder. Machen die Grenzen zu. 1992 wurde die Europäische Union (EU) gegründet. Ihre Geschichte gilt als Erfolg: Der Handel hat seitdem zugenommen, Arbeitsplätze wurden geschaffen, die Wirtschaft ist gewachsen. Die EU hat wiederum Freihandelsverträge mit mehr als 30 Ländern.

Die Vorteile des Freihandels
Weltweit gibt es immer mehr Freihandelszonen, Zollunionen, Wirtschafts- und Währungsunionen. Der Sinn des Freihandels ist es, den internationalen Handel zu erleichtern. Zu diesem Zweck bauen Länder Handelsbarrieren wie Zölle und nicht tarifäre Hemmnisse wie Import-Kontingente ab. Sie öffnen ihre Märkte. Die Idee: Durch den Tausch können sich die Länder auf bestimmte Güter, die sie gut herstellen können, spezialisieren. Es gibt mehr und bessere Produkte, Produktionskosten und Preise für die Konsumenten sinken, ein freier Wettbewerb garantiert Innovationen. Wachstum, Wohlfahrt und Wohlstand sind das Ziel.

Das Problem ist, wie das - Befürworter wie Kritiker sagen: sehr weitrechende - Abkommen ohne jegliche Beteiligung des EU-Parlaments, geschweige denn der Bevölkerung, nur unter Beteiligung von Lobbyisten großer Konzerne beiderseits des Atlantiks, erarbeitet wird.

schreibt NutzerIn fabthiuks

Druck in einer globalen Welt

Die fortschreitende Freihandelspolitik geht einher mit der Globalisierung. Es geht darum, mitzuhalten. Mitzuspielen. Weil die USA sich vor zwei Wochen mit elf Pazifik-Staaten auf das Abkommen TPP geeinigt haben, nimmt der Druck bei den TTIP-Gesprächen zu. Fachleute glauben: Europa müsse jetzt nachziehen, dürfe nicht zusehen, wie andere die Regeln für die Weltwirtschaft von morgen schreiben. Kürzlich besuchte Angela Merkel Indien. Die Bundeskanzlerin forderte die Regierung auf, die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit der EU wieder aufzunehmen. Das war genau einen Tag nach den TPP-Gesprächen.

Die Kehrseite des Freihandels

Wenn Ökonomen von den Vorteilen des Freihandels schwärmen, berufen sie sich neben Smith auf die Theorie vom „komparativen Kostenvorteil“, die der Brite David Ricardo 1817 formulierte. Demnach bringt der Warenaustausch auch solchen Ländern Gewinn, die weniger produktiv sind als ihre Partner. Zum Beleg verwies Ricardo auf den Handel zwischen Portugal und England mit Tuch und Wein. Weil die Portugiesen für beides etwa gleich viel Arbeit investierten, während in England die Weinherstellung aufwendiger war als die Tuchproduktion, lohnte es sich, dass Portugal vermehrt Wein für den Export produzierte, während England sich auf Tuch spezialisierte. Ricardos Gedankenspiel erklärt, warum der internationale Handel allen Beteiligten nutzen kann. Vorausgesetzt: die Märkte sind tatsächlich offen und die Produzenten haben keine Marktmacht oder Größenvorteile. Das ist aber fast nie so. Problematisch wird es insbesondere dann, wenn ein Land anderen technologisch überlegen ist.

Erst die Zölle, dann die Öffnung

Der Aufstieg der Wohlstandsnationen begann damit, dass sie die jungen Industrien mit Schutzzöllen gegen die ausländische Konkurrenz abschotteten. Zunächst Großbritannien, später auch die USA und selbst die Bundesrepublik und Japan begannen erst dann ihre Zölle zu senken und andere Staaten zum Freihandel zu drängen, als sie den Wettbewerb nicht mehr fürchten mussten. Der deutsche Ökonom Friedrich List verglich die Strategie 1841 mit dem Verhalten eines Mannes, der hinter sich die Leiter umstößt, ohne die er selbst seinen höheren Stand gar nicht erreicht hätte. Asiens Aufsteiger von Südkorea bis China folgten dem britischen Vorbild.

Nicht alle Länder profitieren

Vielen Ländern in Südamerika und Afrika blieb dieser Weg versperrt. Weil sie überschuldet waren, machten der Internationale Währungsfonds und die Weltbank eine Liberalisierung des Handels zur Bedingung für weitere Kredite. Das blockierte deren Industrialisierung aus eigener Kraft. Zum Zuge kamen Konzerne aus Europa, den USA und Japan. Auch deshalb bleiben viele ärmere Staaten im Status der Rohstofflieferanten gefangen.

Die EU-Regierungen drängen bis heute afrikanische Staaten in sogenannte Partnerschaftsabkommen, die Zollschranken verbieten. So exportiert Europas Agrarindustrie seit Jahren Massen von billigem Geflügelfleisch und Milchprodukte nach Afrika und verdrängt die einheimischen Produzenten. Als Kenia sich weigerte, einen entsprechenden Vertrag zu unterschreiben, drohte die EU-Kommission im vergangenen Jahr mit der Verhängung von Strafzöllen auf Schnittblumen, Kenias wichtigstem Exportprodukt. Die Regierung in Nairobi gab nach. Nun müssen auch Kenias Kleinbauern die europäische Dumping-Konkurrenz fürchten.

Das Gleiche geschah Millionen mexikanischen Maisfarmern, nachdem ihr Land ab 1994 mit den USA und Kanada die nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA) bildete und die US-Agrarindustrie ihre Maisprodukte auf dem mexikanischen Markt verkaufte. Gleichzeitig verlagerten die US-Auto- und Konsumgüterkonzerne im großen Stil die Fertigung nach Nordmexiko, wo sie zu Armutslöhnen produzieren können. So machte der Freihandel viele Menschen ärmer.

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