Wie anstrengend der Sicherheitsjob in Geschäften ist: Von früh bis spät: Nehmen Sie einen Korb! Halten Sie Abstand!
Er sorgt in Geschäften für genügend Sicherheit. Dafür muss Martin H. momentan eher auf Abstände achten als auf Diebe. Was ermüdender ist.
So ein Blödsinn. Warum muss ich denn einen Korb nehmen? Ich brauche nur ein Duschgel, geht ganz schnell. Aber da sind doch erst recht Bakterien dran. Herrje, machen Sie sich mal locker! Seit Wochen hört Martin H. die immergleichen Sätze. Von früh bis spät. Als wäre er derjenige, der nicht verstehen will.
Martin H. trägt weißes Hemd und Brille. Die schwarzen Haare sind kurz geschnitten. 14 Jahre arbeitet er nun schon bei dem Sicherheitskonzern Securitas. Wie jeden Tag steht er an diesem Donnerstagmorgen im Eingangsbereich der Drogerie dm. Vor der Pandemie wachte der 39-Jährige darüber, ob ein Dieb durch den Laden schleicht, eine teure Creme oder Nagelschere in den Rucksack gleiten lässt. Doch wie so vieles ist auch sein Job nicht mehr das, was er mal war.
Supermärkte und Drogerien durften in den vergangenen Wochen offen bleiben und einen Rest Normalität bewahren. Da gerade jeder ein Risiko zu sein scheint, nicht nur Kriminelle, gelten neue Regeln. Sicherheit fängt bei 1,50 Meter an. Deswegen darf Martin H. nicht zu viele Menschen in den Laden lassen. Ist es drinnen zu voll, muss draußen gewartet werden. Bis der Türsteher Erlaubnis erteilend nickt. Einkaufen ist das neue Ausgehen, heißt es in den sozialen Netzwerken. Endlich wieder Clubfeeling! Rossmann kreierte aus dem Vergleich einen Werbespot.
Davon hat Martin H. nichts gehört. Gibt zu viel zu tun. Gerade besprüht er einen Einkaufskorb mit Desinfektionsmittel, reicht ihn einer Kundin. „Es ist deutlich anstrengender als sonst. Wie oft ich allein das mit den Körben erkläre.“ Anhand derer kann er abzählen, wie viele Frauen und Männer im Laden sind. Jeden Zweiten, Dritten spricht er an: Entschuldigen Sie! Nein. Doch. Nein. Er ordnet an, nur das anzufassen, was man kauft, Körbe nicht auf den Boden zu stellen. Sonst stolpert doch jemand.
Gewinner der Krise? Von wegen!
Wer die vielen Ordner vor Supermärkten, Drogerien und Krankenhäusern sieht, könnte meinen, die Sicherheitswirtschaft gehört zu den großen Gewinnern der Krise. Doch so einfach ist das nicht. Mit 267000 Beschäftigten machte die Branche vergangenes Jahr zwar 9,3 Milliarden Euro Umsatz, aber gerade mal vier Prozent davon im Einzelhandel. Die Hälfte wird im Objektschutz eingenommen, zum Beispiel vor Museen, und elf Prozent an Flughäfen.
Dort ist das Geschäft massiv eingebrochen. Zugleich wächst der Bedarf nach Sicherheitskräften vor Läden und Kliniken. „Die Anfrage ist deutlich gestiegen und steigt noch weiter, da jetzt weitere Geschäfte wieder öffnen dürfen“, sagt der Securitas-Sprecher Bernd Weiler. Innerhalb des Unternehmens wurden Beschäftigte versetzt. Doch nicht alles, was fehlt, können sie aufwiegen.
Martin H. ist seit 2006 bei Securitas angestellt. Er kennt die Müllerstraße hier im Wedding, kennt die Leute. Deswegen – und weil Pöbelnde gerne auf seinen Ausweis schauen – nennt er nicht seinen vollständigen Namen. Seinen Job mag er, weil er Menschen mag, gerne mit ihnen plaudert, ihr Verhalten analysiert. Die letzten Wochen boten ihm viel.
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Martin H. sah Frust und Langeweile in den Gesichtern. Er sah, wie irrational Angst Menschen machen kann, wie sonderbar. „Was die Leute hier in der ersten Woche an Putzmitteln gekauft haben. Als hätten sie ewig nicht ihre Wohnung gereinigt“, sagt er. Gerade würden viele Kondome kaufen. Davor natürlich Toilettenpapier, bis nichts mehr da war. Neulich wollte ein Mann einen Karton mit 20 Paketen Taschentüchern mitnehmen. Er begriff nicht, wieso das ein Problem sei. Warum Geschäfte manche Produkte nur noch in Maßen rausgeben.
Während Martin H. erzählt, kaufen jüngere Frauen und ältere Paare in der Drogerie ein. An der Kasse halten sie den gebotenen Abstand. Obwohl an diesem Tag noch keine Pflicht in der Stadt herrscht, tragen manche eine Maske. Bei drei Kunden bedeckt sie Nase und Mund. Bei den anderen baumelt sie um den Hals.
„Die meisten hier sind nett und grüßen“, sagt Martin H. Vor einigen Tagen warteten zwei Stammkunden vor dem Eingang. Einer stand auf der Abstandslinie und meinte: „Erst geh ich auf’n Strich, dann krieg ich einen Korb und muss auch noch was bezahlen.“ Martin H. musste über den Witz schmunzeln. Sind es doch die vergnüglichen Momente.
„Wir haben auch Kunden, die wütend werden, wenn sie von uns auch noch Regeln aufgedrückt bekommen.“ Für jene gibt es endlich ein Gegenüber, dem sie ihr ganzes Zuwider zubrüllen können. Eine Mitarbeiterin von dm wurde schon so beleidigt, dass sie kurz nach hinten in den Laden ging. Durchatmen, Tränen wegwischen, weiter machen. Die Krise teilt die Kunden in Vernünftige und Unbelehrbare. Freundliche und Aggressive. Einmal ging jemand an Martin H. vorbei und hustete absichtlich in seine Richtung.
Eine Auflistung von Polizeimeldungen der vergangenen Wochen zeigt: Das ist kein Einzelfall. Aggressiver Mann beißt Sicherheitsmitarbeiter. 20-jährige Diebin spuckt nach Sicherheitsmitarbeiter. Prügelei wegen Corona-Auflagen im Supermarkt. 48-Jährige will Security-Mann überfahren. 69-Jährige schlägt Sicherheitskraft wegen Klopapier. Mann niest Supermarkt-Sicherheit ins Gesicht. Hans Reinhardt leitet in Berlin den Securitas-Bereich Einzelhandel und Kaufhäuser. Er sagt: „Die Leute werden gereizter je länger die Einschränkungen andauern. Unter den Kunden sind natürlich auch ein paar Kriminelle.“ Deswegen sei es enorm wichtig, geschultes Fachpersonal an den Türen und im Laden einzusetzen. Nicht alle tun das.
Der Sicherheitsjob kann unsicherer werden
500 Meter vom dm in der Müllerstraße entfernt arbeitet Sascha Schulz in einem großen Kaufhaus. Er ist dort Objektleiter und abends müde vom Mahnen. „Man redet sich den Mund schon fusselig“, sagt er. „Gerade die älteren Kunden über 60 meckern viel.“ Ein Saftladen sei das, empören sie sich, und sowieso dieser Staat! Soweit sei es schon gekommen, dass man jetzt Körbe nehmen muss.
Seit anderthalb Wochen darf das Kaufhaus einen Teil seiner Fläche wieder öffnen. Am ersten Tag standen sie draußen hundert Meter an. Anders als gedacht, gingen die meisten nicht zügig hindurch, sondern schlenderten gemächlich, blieben ein, zwei Stunden. Ein Mann schlief auf einem Sofa ein. Dass er aufgeweckt wurde, machte ihn zornig. Sascha Schulz bleibt da gelassen. „Ich war bei der Bundeswehr, seit 2003 bin ich im Sicherheitsgewerbe. Da bin ich es gewohnt, Risiken einzugehen und nicht panisch zu werden“, sagt er. Die Kündigungswelle mancher Kaufhäuser vor einigen Jahren fand er schlimmer als das Virus jetzt. Die Gefahr war sichtbarer.
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Das kann sich ändern. Weitere Unsicherheiten bahnen sich an. Seine Kollegin Sabine Witter ist zuständig für das Qualitätsmanagement bei Securitas und noch immer Kaufhausdetektivin. „Diebe konnten wochenlang nichts in den Läden klauen und stehen untern enormem Beschaffungsdruck“, sagt sie. Sie brauchen Geld für Drogen oder bloß endlich mal wieder Geld. „Die Banden werden jetzt wieder kommen, zumal sie sich sicherer fühlen, wenn weniger Menschen um sie herum sind“, sagt sie. Die würden es in einer Minute schaffen, einen Schaden von 3000 Euro anzurichten.
Ladendiebe bringen nicht nur das Kaufhaus in ein Dilemma. Martin H. steht wegen der Einlasskontrolle meist vorne. Hin und wieder lösen ihn Mitarbeiterinnen von dm ab. Dann kann er in den Gängen kontrollieren, ob alle tun, was sie sollen – und lassen, was nicht. Zweimal war die Polizei in letzter Zeit da, weil gestohlen wurde. Für Martin H. bedeutet das, denjenigen festzuhalten, nach hinten ins Büro zu bringen. Ein Risiko in Ansteckungszeiten. Wie er sich schützt? Er wäscht und desinfiziert sich regelmäßig die Hände, hält Abstand. Inzwischen trägt er permanent eine Maske. Bis zu zehn Stunden lang. Ständig beschlägt seine Brille.
„Das wird für noch mehr Stress sorgen“, sagt er über die Maskenpflicht in Geschäften. Wieder was, das er erklären muss. Was nicht jeder einsehen will. „Aber ich hab doch in meinem ganzen Leben noch keinen Schal getragen“, sagt ihm eine ältere Dame. Es wird nicht der letzte Protest gewesen sein.
Die Mimik wird fehlen. Mit maskiertem Gesicht sieht Martin H.schlecht, ob ein anderer fröhlich oder traurig ist, die Umgebung prüft, normal oder nervös wirkt. Und wenn jemand was einsteckt und geht, wird er den Fremden wohl kaum wiedererkennen.
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